Von Ziggy Stardust, über Aladdin Sane, bis hin zum Thin White Duke – David Bowie hinterlässt ein facettenreiches Lebenswerk. Das unaufhörliche Spiel mit Identität, Alter Egos und verschiedenen Aspekten des künstlerischen Ausdrucks ist die wohl einzige Konstante in der wandelbaren Musikkarriere des Künstlers. Regisseur Brett Morgen umreißt Bowies kreatives Wirken und Lebensphilosophie in einem zweistündigen Musikfilm. Die Kupferblau besuchte Mitte November eine der finalen Aufführungen von Moonage Daydream im Kino Arsenal.
Ein filmisches Künstlerportrait stellt Produzent*innen und Regieführende vor eine wahre Mammutaufgabe. Insbesondere, wenn es gilt, das Leben eines so wechselvollen und facettenreichen Künstlers wie David Bowie einzufangen. Regisseur Brett Morgen nähert sich der Aufgabe mit der Sorgfalt und Leidenschaft eines lebenslangen Bewunderers.
Fünf Jahre lang durchforstet Morgen das persönliche Archiv des 2016 verstorbenen Musikers. Dieses umfasst Aufzeichnungen von Live-Auftritten, Songs, Interview-Mitschnitte, Fotos und Filmszenen. Das Ergebnis: Ein unkonventioneller, fragmentarischer Dokumentarfilm, dessen Struktur David Bowies künstlerische Essenz widerspiegelt.
Moonage Daydream scheint in den Kinos auf ein begeistertes Publikum zu treffen. Der Guardian betitelt den Film als “glorreich”; Timeout beschreibt ihn als “hypnotisch”. Ein “spektakuläres” Filmerlebnis verspricht Variety. Die positiven Rezensionen im Sinn wirft auch die Kupferblau einen Blick hinter die Kulissen von Bowies Musikkarriere.
Vorhang auf im Kino Arsenal
Vollbesetzt ist der Kinosaal im Tübinger Kino Arsenal an einem Dienstagabend Mitte November nicht. Der Film läuft schon eine Weile in den deutschen Kinos. Das Publikum ist eine eklektische Mischung aus Musik- und Filmbegeisterten Student*innen sowie Zuschauer*innen, die Bowies Glanzjahre wohl selbst noch miterlebt haben. “Sind Sie auch Bowie Fan?”, fragt eine ältere Dame in buntem Blazer ihre Sitznachbarin, die wiederum ganz enthusiastisch nickt. Die gespannte Vorfreude im Kinosaal ist spürbar.
Bowie trifft Nietzsche
Moonage Daydream eröffnet mit einem Zitat Nietzsches. “Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet.” Das Sentiment setzt den Ton für den Film. Dabei wird schnell klar, dass Bowie sich keiner bestimmten Philosophie verschrieben hat. 1973 bezeichnet sich der Musiker in einem Interview vielmehr als “Sammler”. Sammler von Persönlichkeiten, Ideen wie auch philosophischen Denkweisen. Er verehre keinen Gott, dafür aber das Leben.
Ganz im Sinne von Nietzsches Philosophie bewegt sich Bowie losgelöst von vermeintlich sinnentleerter Religion und überholten Moralvorstellungen. In seinem Ausdruck übersteigt der britische Künstler traditionelle Gendernormen. Oft trägt Bowie auf der Bühne androgyne Kleidung und Make-up. Ein Umstand, dem die Presse in den 80er Jahren nicht selten mit Unverständnis begegnet.
Doch der Musiker weiß mit der mangelnden Einsicht der zeitgenössischen Medienwelt umzugehen. Auf die Nachfrage eines Reporters, ob seine glitzernden Plateau-High-Heels “Männerschuhe”, “Frauenschuhe” oder “Bisexuellen-Schuhe” seien, antwortet Bowie lächelnd: “Das sind Schuh-Schuhe, Dummerchen.”
People stared at the makeup on his face
David Bowie, “Lady Stardust”
Laughed at his long black hair, his animal grace
The boy in the bright blue jeans jumped up on the stage
Lady Stardust sang his songs of darkness and disgrace
Zu Beginn seiner musikalischen Karriere steht Bowie selten als “David Bowie” auf der Bühne. Stattdessen erfindet der Musiker eine Reihe exzentrischer Kunstfiguren, die er in Live-Shows verkörpert. Moonage Daydream legt den Fokus insbesondere auf Bowies wohl bekanntestes Alter Ego – den androgynen Alien Rockstar Ziggy Stardust. Bowies rasante Metamorphose entschleunigt sich erst in den 90ern. Durch seine Ehe mit Model Iman Abdulmajid scheint der Sänger erstmals innere Ruhe zu finden. Moonage Daydream hebt diese Jahre als einen entscheidenden Wendepunkt in Bowies Leben hervor. Auf eine Periode, die den Musiker trotz kommerzieller Erfolge spirituell und kreativ erschöpft, folgen Jahre, in denen Bowie neue Inspirationen und einen neuen Zugang zur Musik findet.
Intermedialität
Moonage Daydream ist gespickt mit literarischen und filmischen Referenzen. Neben Nietzsche wird unter anderem der deutsche Schriftsteller Bertold Brecht zitiert. Weiterhin ergänzen Bilder und Filmszenen aus Murnaus Nosferatu (1922), Langs Metropolis (1927), sowie The Wizard of Oz (1939) die visuelle Collage.
Mit dieser Intermedialität würdigt Regisseur Brett Morgen Bowies eigenes interdisziplinäres Wirken. Neben der Musik widmete sich Bowie vor allem der Malerei und Schauspielkunst. Zu seinen bekanntesten Filmauftritten zählen wohl seine Alien-Hauptrolle in The Man Who Fell To Earth (1976) sowie seine Rolle als Goblin King in Labrinth (1986).
Ohne Frage hat Bowies kreatives Wirken die Musikwelt und Popkultur nachhaltig geprägt. Noch heute ist der Musiker eine beliebte Muse der visuellen Künste. So inspirierte Bowies Kunstfigur des Thin White Duke beispielsweise die Erzählung “The Return of the Thin White Duke” in Neil Gaimans illustrierter Kurzgeschichtensammlung Trigger Warning (2015). Weiterhin dient Bowies Lebenswerk als Inspirationsquelle für zahlreiche Filme und Serien. Zu nennen ist hier unter anderem die BBC-Polizeiserie Life on Mars (2006-7).
Turn and Face the Strange
Moonage Daydream ist kein konventioneller Dokumentarfilm. Die kaleidoskopische Reise durch Bowies Leben lädt zur Partizipation und Selbstreflektion ein. Auch wird die Rolle von Kunst in unserer modernen Gesellschaft in den Vordergrund gerückt. Brauchen wir kreatives Schaffen – als Individuen und als Gemeinschaft? Moonage Daydream bejaht diese Frage nachdrücklich. Kunst um jeden Preis. Kunst, geboren aus Unbehagen. Das scheint Bowies Motto zu sein – zumindest bis er in den 90ern die große Liebe findet und sich neuen musikalischen Herangehensweisen widmet.
If you feel safe in the area you’re working in, you’re not working in the right area. Always go a little further into the water than you feel you’re capable of being in. Go a little bit out of your depth. And when you don’t feel that your feet are quite touching the bottom, you’re just about in the right place to do something exciting.
David Bowie, Moonage Daydream
Der Abspann läuft zu Bowies „Changes“ über die Leinwand. Vereinzelter Applaus erklingt aus den Rängen. Einige Zuschauer*innen verlassen den Saal bereits eilig, um letzte Zugverbindungen nach Hause rechtzeitig zu erreichen. Auf die Credits folgt eine Sprachaufzeichnung Bowies. Im halbleeren Kinosaal wirkt die Aufnahme wie eine persönliche Nachricht an die Zuschauer*innen.
“And all I can say is / Goodbye, goodbye / We’ll meet again sometime, somewhere …”
David Bowie, “Well you know what, this has been an incredible pleasure …”
Wer auf eine chronologische oder kritische Auseinandersetzung mit Bowies Lebenswerk hofft, verlässt Moonage Daydream enttäuscht. Diesen Anspruch bedient das von Brett Morgen gewählte Format nicht. Vielmehr sorgt der unkonventionelle Dokumentarfilm durch hypnotische Bilder und grandiose Musik für eine lohnenswerte cineastische Erfahrung.
Mittlerweile ist Moonage Daydream nicht mehr im Kino Arsenal zu sehen. Der Film ist jedoch seit dem 8. Dezember auf DVD, BlueRay Disc sowie diversen Streaming-Plattformen erhältlich.
Das aktuelle Kinoprogramm vom Kino Arsenal findet ihr hier.
Bildrechte: Verleih – Universal Pictures International Germany.