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Liebe zwischen Körper und Kultur

In einem interdisziplinären Austausch besprachen Eva Illouz und Larry Young, welchen Einfluss Kultur und Hormone auf die Liebe haben. Warum funktioniert Online-Dating so selten? Kann es Liebe ohne Körperkontakt geben? Was ist Liebe eigentlich? Und wie hat sie sich in der Moderne verändert?

Eva Illouz wurde 2012 von der Zeit zu einer der Intellektuellen, die das Denken der Zukunft prägen werden, gewählt. Sie ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem und ihre Thesen über Liebe sind schon heute weltbekannt. Sie betrachtet Liebe nicht von einem individualpsychologischen Standpunkt aus, sondern erforscht, wie sie sozialen Einflüssen unterworfen ist. 

Larry Young (Emory University) ist ein Neurowissenschaftler, der sich mit den biologischen Mechanismen, die das Sozialverhalten beeinflussen, beschäftigt. Sein Labor nutzt diese grundlegenden Kenntnisse, um Medikamente zur Behandlung psychiatrischer Störungen, beispielsweise Autismus-Spektrum-Störungen, zu finden. Bei einem Vortrag am 6. Juli, der vom College of Fellows organisiert wurde, diskutierten Illouz und Young miteinander. 

Moderiert wurde der Abend von der Wissenschaftsjournalistin Alison Abbott. Diese leitete den Abend ein, indem sie ins Publikum fragte, wer aus den Naturwissenschaften und wer aus den Geisteswissenschaften komme. Die Anzahl der Hände, die sich hoben, war in etwa ausgeglichen. Ihre Überraschung darüber, dass manche Menschen überhaupt nicht ihre Hand gehoben hatten, zeigt ein weiteres Mal, wie sehr Akademiker*innen bei solchen Veranstaltungen unter sich bleiben.

Liebe im Laufe der Zeit

Illouz sprach die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Wissenschaften an das Thema Liebe an. Die Biologie und die Kulturanalyse hätten sehr unterschiedliche Herangehensweisen, doch die Kulturanalyse habe in der Emotionsforschung definitiv auch eine Daseinsberechtigung. Dass Emotionen die Kultur reflektieren und gleichzeitig einen kognitiven Aspekt haben, schließt einander nicht aus. Laut Illouz verändern sich die gesellschaftlichen Normen rund um Liebe ständig: Die Beziehung zwischen Liebe und Sex, die Beziehung zwischen Liebe und Identität, … Illouz hatte viele Beispiele dafür, wie der Ausdruck unserer Emotionen die gesellschaftlichen Normen widerspiegelt: Männer im 18. Jahrhundert weinten häufig, allerdings nicht aus Trauer, sondern um ihren „Geist zu verfeinern“. Die Praktik des Datings entstand erst im 19. Jahrhundert, als Frauen in den kapitalistischen Arbeitsmarkt eintraten. Sie begannen, das Haus zu verlassen, um zu arbeiten, und hatten nun außer Haus Dates.

Von links nach rechts: Wissenschaftsjournalistin Alison Abbott, Neurowissenschaftler Larry Young, Soziologin Eva Illouz.

Illouz konstatiert eine historische Logik, die zu den heutigen Datingplattformen führte. Auf diesen liegen alle potenziellen Partner*innen wie auf einem Buffet vor uns ausgebreitet, und wir können uns diejenigen aussuchen, die uns am besten gefallen. Unterbewusst bewerten wir die Profile, die wir sehen, und bilden uns ein Urteil über die Attraktivität und Persönlichkeit der dazugehörigen Personen.

Marktlogik und Austauschbarkeit

Laut Illouz funktionieren Datingplattformen wie ein Markt: Es gibt ein Angebot an und eine Nachfrage nach Liebe; manche Menschen sind mehr gefragt als andere, und werden von den Algorithmen bevorzugt. Da sie merken, dass eine hohe „Nachfrage“ nach ihnen herrscht, erhöhen sie ihren eigenen „Preis“.

Nicht nur aus diesem Grund sei es schwierig, auf Plattformen wie Tinder überhaupt ein Date zu bekommen: Ein anderer Grund sei die Austauschbarkeit der Personen, mit denen wir dort schreiben. Wir haben nicht das Gefühl, dass eine reale Person hinter dem Profil steht. Wir wissen, dass – falls es mit ihr nicht klappt – eine unendliche Vielfalt an anderen Menschen bloß darauf wartet, von uns nach rechts gewischt zu werden.

Illouz bezieht sich auf die Forschungen des Psychologen Barry Schwartz. Dieser hat gezeigt, dass viele Wahlmöglichkeiten die Effektivität unserer Wahl negativ beeinflussen können. Wenn die Wahlmöglichkeiten uns überfordern, treffen wir am Ende überhaupt keine Entscheidung. Sie sprach noch einmal an, wie sich Liebe im Laufe der Zeit verändert habe: Früher gab es klare Regeln für Begegnungen, die zu einer Heirat führen können; heute herrscht sehr viel mehr Unsicherheit.

Körperlichkeit, Hormone und Online-Dating

An dieser Stelle richtete Alison Abbott eine Frage an Larry Young: Kann man diese Erkenntnisse auch auf Tiere übertragen? Wie treffen diese Liebesentscheidungen?

Larry Young berichtete von einer erstaunlichen Forschung, die ergeben hat, dass bei Tieren immer die gleichen Gehirnregionen angesprochen werden, wenn sie mit einem Partner zusammenkommen, unabhängig davon, ob sie Wahlmöglichkeiten hatten. Legt das nahe, dass die vormoderne Sicht auf Liebe, laut der es hauptsächlich um soziale Rollen geht, begründeter ist als der Fokus auf die individuelle Identität, die perfekt zu der des Partners/der Partnerin passen muss?

In die Augen schauen

Laut Young fehlen beim Internet-Dating viele biologisch wichtige Bestandteile des Verliebens, beispielsweise das In-die-Augen-Schauen. Beim In-die-Augen-Schauen wird Oxytocin ausgeschüttet – lustigerweise auch, wenn wir in die Augen eines Hundes schauen, für den das eine ganz andere Bedeutung hat. Im Tierreich ist In-die-Augen-Schauen oftmals eine Drohung.

Eva Illouz sprach ein Experiment an, das eine gewisse Popularität erreicht hat: Ein Mann und eine Frau beantworteten einander 36 Fragen, bei denen sie viele persönliche Informationen austauschten. Danach schauten sie sich vier Minuten lang in die Augen. Dies erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich ineinander verliebten, stark. Illouz fragte sich, was wohl der Grund dafür sei, dass das In-die-Augen-Schauen so ein wichtiger Bestandteil des Verliebens sei: Vielleicht habe es mit Anerkennung zu tun? Romantische Liebe sei so wichtig für die Identität und den Selbstwert, da sie in engem Zusammenhang zu Anerkennung stehe, und jemandem in die Augen zu schauen sei ein Signal dafür, ihn anzuerkennen.

“I really think that love is an addiction to a partner.”

Larry Young

Young und Illouz wurden gebeten, ihre persönliche Meinung zum Online-Dating zu teilen. Bisher haben ihre Einschätzungen eher negativ geklungen, aber hat es auch positive Seiten?

Young meinte, Dating-Plattformen könnten es einem ermöglichen, jemanden kennenzulernen, aber weniger, sich zu verlieben, da alles Körperliche fehle, aber auch andere Dinge, die fürs Verlieben wichtig seien. Wenn man beispielsweise seinem Date Blumen schenke, könne man förmlich beobachten, wie in dessen Gehirn Dopamin ausgeschüttet werde.

Illouz hingegen antwortete, dass es darauf ankomme, auf welche gesellschaftliche Gruppe man sich beziehe. Beispielsweise für Homosexuelle in kleinen Städten oder an homophoben Orten könne Online-Dating enorme Vorteile haben.

Was ist Liebe?

Im Anschluss erzählte Young von weiteren Forschungen mit Hormonen. Es sei bereits viel bekannt über die gesundheitlichen Vorteile, die es habe, mit einem Partner zusammen zu sein, doch was passiere, wenn man Tiere von ihren Partner*innen trenne? Studien haben ergeben, dass das Stressmolekül CRF ausgeschüttet wird, und dass bei Wieder-Zusammenführung das „Kuschelhormon“ Oxytocin ausgeschüttet wird. Erstaunlicherweise zeigen Tiere aber, wenn man in ihrem Gehirn einen künstlichen CRF-Unterdrücker einbaut, keine deprimierten Reaktionen bei Abwesenheit ihres Partners. Könnte man Liebesleid also durch Drogen oder Medikamente Abhilfe verschaffen?

„Philosophen versuchen schon seit langem zu definieren, was Liebe ist, oder was Freundschaft ist, doch wenn wir uns unser Innenleben anschauen, dann ist es ein einziges Chaos.“

Eva Illouz

Illouz ging aus soziologischer Perspektive auf Liebeskummer ein. Dass Leid in der Liebe seit der Spätmoderne eine universelle Erfahrung sei, liege an der Unsicherheit. Eigentlich solle Liebe uns Sicherheit bieten, aber das tue sie nicht mehr. Seit der Zusammenhang zwischen Liebe, Sex und Heirat aufgegeben worden sei, sei nicht mehr klar, was Menschen in romantischen Beziehungen täten. Die meisten Menschen hätten heutzutage im Laufe ihres Lebens mehrere Partner*innen, und machten mehrere Trennungen durch. Da diese unseren Selbstwert sehr beeinträchtigten, sollten sie in Diskussionen rund um psychische Gesundheit eine viel größere Rolle spielen. Illouz machte noch einmal den Vergleich zum 19. Jahrhundert: Damals habe der Mann der Frau oftmals schon zu Beginn seiner Werbung seine Liebe erklärt. Dies habe für Sicherheit gesorgt.

Young stellte eine Nachfrage: Wenn die Liebe erklärt wird, bevor man sich kennengelernt hat und körperlich nahe gekommen ist, kann es dann überhaupt Liebe sein? Schließlich fehlen all die biologisch bedeutsamen Komponenten der Liebe.

Illouz antwortete mit einem Vergleich: Die Liebe zu Gott sei extrem mächtig, sie bringe Menschen dazu, lange Wanderungen auf sich zu nehmen, oder noch viel extremere Dinge zu tun. Und doch lerne niemand Gott persönlich kennen oder habe gar Sex mit ihm. Philosophen hätten schon lange versucht, Liebe oder Freundschaft zu definieren, doch wenn wir uns unser Innenleben anschauen, sei es ein einziges Chaos. Noch einmal machte sie den Anspruch ihres Faches deutlich: Als Kultursoziologin gehe es ihr um Erzählungen und Narrative, die rund um Liebe gesponnen würden.

Oxytocin in einer Flasche

Larry Young stellte klar, dass Sex seiner Ansicht nach keine notwendige Bedingung fürs Verlieben sei. Dennoch seien biologische Faktoren für die Art und Weise, wie wir Beziehungen führten, extrem wichtig. Studien haben ergeben, dass sehr frühe Verlusterfahrungen bei Tieren ihr Erbgut beeinflussen. Dies bestimmt, wie gut sie mit Nähe und Liebe umgehen können.

In seinen Forschungen beschäftigt sich Young damit, wie soziale Kognition, beispielsweise bei Autismus-Spektrum-Störungen, durch Hormone verbessert werden kann. Am Ende der Diskussion, als Publikumsfragen gestellt wurden, verteidigte er diese Forschungen gegen den Vorwurf, eine kapitalistisch ausschlachtbare Droge, die süchtig machen könne, herzustellen: Es gehe darum, Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Dieses Missverständnis könnte durch Abbotts Frage an Illouz zustande gekommen sein: Wenn wir Oxytocin in einer Flasche hätten, was würde das soziologisch für Liebe bedeuten?

Zuerst war Illouz ein wenig überfordert: „Sie verlangen von mir, die Vorstellungskraft einer Schriftstellerin zu haben.“ Dann jedoch antwortete sie, dass wir schon jetzt psychologische Techniken hätten, um uns  jeglichen Liebesschmerz zu ersparen. Das Konzept der Resilienz fordere von uns, alles auszusortieren, was uns potenziell schaden könne. Illouz sieht das eher kritisch, da das, was Liebe einzigartig mache, sei, dass sie uns zur Verletzlichkeit zwinge.

Wissenschaften ersetzen?

Gegen Ende der Gesprächsrunde sprach Abbott den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht, der in Berlin aufgrund von angekündigten Protesten abgesagt wurde, an. Der Vortrag hätte zum Ziel gehabt, zu erklären, warum es in der Biologie zwei Geschlechter gebe.

Youngs Kommentar dazu war, dass Biologie in seinen Augen nicht im Widerspruch zur Diversität von Sexualität und Geschlecht stehe. In der Fauna gebe es viele homosexuelle, transidente, polygame oder ansonsten vielfältig liebende und lebende Tiere.

“Naturwissenschaft war schon immer politisch.”

Eva Illouz

Illouz holte noch weiter aus: Zu Darwins Zeiten sei die Biologie linksgerichtet gewesen, heute werde sie oftmals als reaktionär angesehen. Auch andere Wissenschaften stünden in der Kritik. Der Klassischen Altertumswissenschaft beispielsweise werde vorgeworfen, von Grund auf kolonial und ausschließend zu sein. Wenn es etwas Neues gebe, das diese Wissenschaften ersetze, dann sehe sie kein Problem damit, sie abzuschaffen – schließlich sei auch Wissenschaft einem ständigen Wandel unterworfen. Allerdings sollte man sie nicht ersatzlos streichen.

Darin, dass der Vortrag wegen der Wissenschafts- und Diskursfreiheit nicht hätte abgesagt werden sollen, waren sich alle drei einig. Aus dem Publikum kam der Einwurf, dass Protest ebenfalls ein legitimer Bestandteil des Diskurses sei.

Bilder: Hannah Burckhardt

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