„De-Perception verweist auf Leerstellen, auf das über Jahrhunderte nicht kommunizieren von schwarzen Lebenswelten“. So startet Prof. Dr. Martina Thiele das Vorwort zu Dr. Natasha A. Kellys Vortrag „On the De-Perception of Structural Racism in Media and Academia“ am vergangenen Dienstagabend.
Die deutschen Medien wussten nicht, über was sie sprachen, als sie Black Lives Matter thematisierten. Mit diesem Statement startet Dr. Natasha A. Kelly ihren Vortrag und fragt in die den Vorlesungssaal, wer sich noch genau daran erinnere, wo er oder sie war, als George Floyd durch Polizeigewalt starb, als Ahmaud Arbery beim Joggen ermordet wurde, als Amy Cooper in den Medien viral ging. Mit jedem Namen werden die Handzeichen am Dienstagabend in der Keplerstraße 2 weniger.
Diese Videos zeigen sowohl die „Racial Oppression“ von People of Color (fortan PoC) sowie „White Supremacy“, denn “Whiteness” stehe immer im Zentrum von Rassismus. Kelly erinnert sich an die Berichterstattung der deutschen Nachrichten, welche die viralen Videos zeigten: „German media focused on racism as if it were a product that was imported from the US”. Wenn ein Kontinent den Rassismus importiert habe, dann Europa ganz allein, sagt die deutsche Autorin, Kuratorin, Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin, die als “Visiting International Professor” an der Universität lehrt. Statt das strukturelle Problem anzuerkennen, behandelten die Medien Rassismus als ein Problem von einzelnen Individuen. So verweigert Deutschland sich etwas anderes, als nur die Spitze des Eisberges zu sehen oder zu akzeptieren.
“Racism was born and bred in Europe!”
Dr. Natasha A. Kelly
Antirassismus und die fünf Ebenen
Seit dem Jahr 2020 positionieren sich unzählige Menschen auf den sozialen Medien gegen den Rassismus, doch scheinen einige die Bandbreite des Begriffes nicht zu verstehen. Man müsse aktiv sein, erklärt Kelly, und dafür müsse man als Erstes die verschiedenen Ebenen des Rassismus verstehen. Anhand des 5-I Modells veranschaulicht die Aktivistin diese verschiedenen Ebenen. Die erste Ebene beinhaltet Rassismus als eine strukturelle Ideologie, „that has been part of social norms and media as long as Germany has existed”.
Denn ohne den strukturellen Rassismus der Kolonialisierung wäre Deutschland und vor allem auch Europa nicht in seiner heutigen Position. Trotzdem versäumt Europa die eigene Geschichte wahrzunehmen und stattdessen ist Rassismus in Form von „Color Blindness“ populär. “Color Blindness” beinhaltet die Behauptung, Hautfarbe sei nicht relevant, denn alle Menschen seien doch „human beings“. Problematisch ist hierbei allerdings, dass struktureller Rassismus aktiv nicht betrachtet wird. So ist das „we are all human beings“-Argument ein aktives “Augenverschließen” davor, dass PoC noch immer für manche Menschenrechte kämpfen müssen.
Black Bodies/White Bodies
Die Universität Tübingen stelle ein gutes Beispiel für institutionellen Rassismus im akademischen Kontext dar. Georg Wilhelm Friedrich Hegel äußerte sich nicht selten rassistisch. Man muss sich also fragen, warum ein Gebäude der Universität Tübingen dann “Hegelbau” getauft wurde. Institutioneller Rassismus zeigt sich auch im „Racial Profiling“, den hohen Polizeikontrollen von PoC basierend auf körperlichen Merkmalen wie Haarstruktur und Hautfarbe. Als Konsequenz sehe man „black bodies as political and cultural bodies”, während weiße Körper eine unsichtbare Neutralität genießen.
Kelly führt dieses Phänomen auf koloniale Körperkonstrukte zurück, die bestimmt Merkmale negativ konnotiert haben. Diese negativen Assoziationen werden noch heute etwa in den Medien verbreitet und stereotypisiert. Zusammenhänge starten schon bei der Zuordnung von Emotionen zu Farben. So verkörpert die Farbe Schwarz in den Medien und unserer Gesellschaft grundsätzlich etwas Negatives wie den Tod, während Weiß, Güte und Reinheit symbolisiert. Institutioneller Rassismus bezieht diese Konnotationen auf Körper, auf Menschen. Das führt zurück zu der generellen Frage: Wen sieht man in den Medien? Wer ist repräsentiert und wer nicht? Dazu sagt Kelly: „black knowledge and black history and black realities are actively not communicated in media and academia”.
Striving to be white
Die konstante mediale Konfrontation mit rassistischen Stereotypen kann unteranderem zu „Internalized Racism“ führen. Es entsteht eine Form vom „Double Consciousness“ bei PoC, die sie dazu veranlasst, sich selbst immer mit den Augen der anderen zu sehen. Eine Konsequenz dessen ist das Aneignen der Stereotypen über PoC und der Glaube an die Darstellung kein “human being“, sondern anders zu sein. Man habe etwa das Bedürfnis, sich die Haare zu glätten, oder das Gefühl, die eigene Haut sei zu dunkel. Zusammengefasst: Es entsteht ein unterbewusstes „striving to be white“.
Reversed Racism?
Rassismus kommt selten allein, weshalb es von Wichtigkeit ist, ihn intersektional zu betrachten. „Intersectionality“, eine Kreuzung, die besagt, dass Diskriminierung immer etwa in Bezug auf Klasse und Geschlecht betrachtet werden muss. „Interpersonal Racism“ bildet das nächste der fünf I’s. Kelly erklärt, dass einer der beiden Akteure sich immer in einer Machtposition befindet. Diese Position kann nicht umgekehrt werden, „Reversed Racism“ existiere nicht. Einen tollen Input zu der Frage nach dem „Reversed Racism“ stellt das Video von Aamer Rahman dar. Anschauen lohnt sich!
Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen
Kelly kritisiert, dass deutsche Politiker:innen und Medien Rassismus noch immer ausblenden und es als ein importiertes Problem der USA darstellen. Dabei wird Rassismus nur als Resultat der Aktionen eines Einzelnen betrachtet. Es sei fatal, so die Augen vor dem strukturellen Rassismus in Deutschland zu verschließen. Denn strukturelle Probleme benötigen strukturelle Lösungen.
Dr. Natasha A. Kelly findet man auch auf den sozialen Medien und ihr Buch „Rassismus – Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!“ ist für alle interessant, die sich noch weiter mit der Thematik auseinandersetzen und sich selbst reflektieren möchten.
Instagram: https://www.instagram.com/natasha.a.kelly/
Buch: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1059389793
[…] am Institut für Medienwissenschaft als Gastprofessorin lehrt (hier berichteten wir über den Vortrag). Diesen nicht vom StuRa geförderten Vortrag verstand er als “unwissenschaftliche […]