Der Name “Eberhard Karls Universität Tübingen” hat in den letzten Wochen und Monaten für eine rege Debatte gesorgt. Angestoßen wurde sie durch einen Antrag studentischer Senator*innen, die für eine Streichung der beiden Namensgeber plädierten. Am Donnerstag hat sich der Senat gegen die Umbenennung entschieden.
Alle Augen waren am Donnerstag auf die Senator*innen gerichtet, die im Festsaal der Neuen Aula über den studentischen Antrag zur Namensänderung abstimmten. Dieser Teil der Sitzung war für die Öffentlichkeit freigegeben, sodass jede*r, der*die wollte, die Debatte verfolgen konnte. Dass dieses Angebot so zahlreich wahrgenommen wurde, macht deutlich, wie groß das Interesse an der Entscheidung ist.
Lob der Diskussionskultur
Um 13.30 Uhr eröffnete der Rektor Bernd Engler die Sitzung mit dem Verweis darauf, dass der Programmpunkt der Namensstreichung auf zwei Stunden angesetzt worden sei. Danach müssten alle Zuschauenden den Saal verlassen, damit der nicht-öffentliche Teil der Senatssitzung stattfinden könne. Zudem machte er ein paar weitere eröffnende Anmerkungen. Zunächst lobte er ausdrücklich die Diskussionskultur, die während dieser Debatte geherrscht habe, und die stets konstruktiv geblieben sei. Bereits vor Monaten, fuhr er fort, habe man sich darauf geeinigt, so schnell wie möglich zu einer Entscheidung in dieser Angelegenheit zu gelangen, aus Respekt vor der Institution. Ein schnelles Verfahren würde eine Endlosdebatte verhindern, wie sie beispielsweise an der Uni Greifswald geführt worden sei. Dort habe sie zu zahlreichen internen Spaltungen geführt. Anschließend verwies er auf eine Petition, die vom Arbeitskreis Politische Bildung des StuRa gestartet und von Studierenden und Angehörigen der Universität unterschrieben wurde, welche sich für die Namensstreichung aussprechen. Zuletzt erwähnte er ein Statement von Oberbürgermeister Boris Palmer, in dem dieser sich klar gegen die Umbenennung der Uni Tübingen aussprach.
Eine politische Entscheidung
Anschließend durfte Sigrid Hirbodian, die Vorsitzende der Gutachter*innenkomission, wesentliche Punkte des Gutachtens vorstellen. Alle Gutachtenden betonten, dass sie nur Argumente sowohl für Gegner*innen, wie auch Befürworter*innen der Namensstreichung geliefert hätten, die Entscheidung jedoch ein politische sei. Die Verantwortung in dieser Frage liege letztendlich beim Senat. Das betonte auch der Rektor abermals. Man müsse sich die Frage stellen, ob man die Taten Eberhards und Karls im historischen Kontext oder ihre Verwerflichkeit aus einer Gegenwartsperspektive betrachten wolle. Erstmals verriet Engler an dieser Stelle zudem die Positionierung des Rektorats in dieser Debatte. Es spricht sich gegen eine Namensstreichung aus. Der Grund: Die Maßstäbe, die man anlegen müsse, wenn man die Uni umbenennen wolle, führten dazu, dass fast keine historische Persönlichkeit mehr geehrt werden könne. Vielmehr brauche es an der Uni Tübingen eine stärkere Aufarbeitung der eigenen Geschichte auch jenseits der NS-Zeit.
Eberhard und Karl nicht mehr zeitgemäß
Nach dieser Einleitung öffnete der Rektor die Debatte für Statements und Fragen der Senator*innen. Als erste Sprecherin durfte die studentische Senatorin Johanna Grün ans Mikrofon treten, da sie eine der Studierenden war, die den Antrag im Senat eingereicht hatten. In ihrem kurzen Statement zeichnete sie das Bild einer pluralistischen und offenen Gemeinschaft an der Uni, die sowohl aus Studierenden als auch Mitarbeitenden besteht. Der Name Eberhard-Karls-Universität würde diese pluralistische Gemeinschaft nicht widerspiegeln, und könne daher nicht zur Identifikation mit der Universität dienen. “Universität Tübingen” hingegen sei ein Name, mit dem sich alle Menschen identifizieren könnten. In Verbindung damit brauche es jedoch auch eine stärkere Auseinandersetzung mit der Geschichte der Uni. Der Antrag habe bereits zu einer verstärkten Information und Aufklärung beigetragen.
Als nächster sprach sich auch Andreas Hasenclever, Senator für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, für eine Namensstreichung aus. Man müsse die Verdienste Eberhards und Karls um die Uni anerkennen, jedoch seien beide Persönlichkeiten aus der Zeit gefallen. Er plädierte für eine Distanzierung vom Adel. Zudem müsse man berücksichtigen, dass der Name der Universität hochgradig verstörend auf Juden*Jüdinnen wirken könne. Nachdem Matthias Moring-Hesse von der Katholisch-Theologischen Fakultät den Anwesenden von seiner inneren Zerrissenheit in dieser Frage berichtete, ergriff wieder Bernd Engler das Wort. In einem etwas längeren Statement legt er noch einmal die Gründe für seine Entscheidung, gegen eine Namensstreichung zu stimmen, dar. Er persönlich halte das Argument der Identifikation für überzogen, da er sich nie mit dem Namen einer Universität identifiziert habe. Es sei auch nicht nötig, den gesamten Namen der Universität in den eigenen Lebenslauf zu schreiben. Uni Tübingen würde da völlig ausreichen. Die meisten Studierenden seien seiner Ansicht nach ohnehin geschichtsvergessen und wüssten nicht um die Geschichte der eignen Uni. Ein stärkere geschichtliche Aufarbeitung sei daher zielführender als eine Namensstreichung.
Geschichtsvergessenheit und Austauschprogramme
Diesem Statement folgten weitere Positionierungen gegen die Namenstreichung von einem Vertreter der Doktorand*innen, sowie Vertretern der Medizinischen, Juristischen und Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Alle ließen mehr oder weniger durchblicken, dass sie keine starke Verbindung zu den Namensgebern hätten. Es sei jedoch ein aufklärerischer Akt gewesen, im 15. Jahrhundert eine Universität zu gründen und jede*r Mitarbeitende und Studierende sei beiden Persönlichkeiten zu Dank verpflichtet für das, was sie ihnen ermöglicht hätten. Ein weiteres Argument, das öfter von den Gegnern der Namensstreichung genannt wurde, war die Geschichtsvergessenheit, die ihrer Meinung nach der Namensstreichung folgen würde. Ein Vertreter der Juristischen Fakultät fügte zudem hinzu, dass es aufgrund eines speziellen Programmes zum Austausch jüdischer Studierender aus Tel Aviv und Tübinger Studierender komme. Der Fakt, dass jüdische Studierende an die Uni Tübingen kämen, zeige, dass der Name von jüdischen Studierenden nicht als hochgradig verstörend wahrgenommen würde.
An dieser Stelle meldeten sich wieder die Befürworter*innen der Umbenennung zu Wort. Eine studentische Senatorin gab zu bedenken, dass jüdische Studierende wahrscheinlich nicht wegen, sondern trotz des Namens an der Uni Tübingen studierten. Dem Argument der Geschichtsvergessenheit hielt sie entgegen, dass eine breite Auseinandersetzung erst mit dem Antrag auf eine Namensstreichung in Gang gesetzt worden sei, die es in der Jahrhunderten vorher kaum gab. Ein bisher noch wenig diskutiertes Argument brachte die Gleichstellungsbeauftragte Ruth Scoralick in die Debatte ein. Nur wenige wissen nämlich um die Rolle, die Graf Eberhards Mutter – Mechthild von der Pfalz – bei der Gründung der Universität spielte. Der Name Eberhard Karls Universität trage weiterhin zur historischen Unsichtbarmachung von Frauen bei, und zum Vergessen ihrer Leistungen. Genau wie die Senator*innen vor ihr, ist auch sie der Meinung, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht an einen Namen gebunden ist.
Während die Statements vorgetragen wurden, herrschte vor und auf dem Podium viel Hektik. Der Kanzler des Senats betrat und verließ nach mehrmaliger Besprechung mit dem Rektor immer wieder den Saal. Nach einiger Zeit klärte Engler die Zuschauenden schließlich über den Grund auf. Eine studentische Senatorin könne nicht an der Sitzung teilnehmen, da sie zur selben Zeit eine Klausur schreibe. Daher prüfe man, ob eine Briefwahl rein rechtlich möglich sei. Wenig später stellte sich heraus, dass die Stimmabgabe per Brief nicht erlaubt ist, und so durften nur die anwesenden Senator*innen abstimmen.
Öffnung der Debatte
Bis zu diesem Punkt war es nur den anwesenden Senator*innen gestattet sich zu äußern, doch da es einen hohen Gesprächsbedarf unter den Zuschauenden gab, ließ Bernd Engler über die Öffnung der Debatte abstimmen. Der Antrag wurde mit nur einer Enthaltung angenommen. Für die Jüdische Studierendenunion trat Hanna Veiler ans Mikrofon und wiederholte den Standpunkt der Union, den sie bereits bei der Podiumsdiskussion vorgetragen hatte: Die Namen Eberhards und Karls seien nicht mehr tragbar. Sie plädierte dafür, sich mit den Positionen der Juden und Jüdinnen, die hier und heute in Deutschland lebten, auseinanderzusetzen, anstatt mit den Positionen, die man selbst israelischen Juden und Jüdinnen zuschreibe.
Allgemein sprachen sich die Stimmen aus dem Publikum vor allem für eine Namensstreichung aus. Besonders eindrücklich war auch das Statement einer Zuschauerin, die die Senator*innen an ihre eigene privilegierte Situation erinnerte. Es sei ein Privileg sagen zu können, dass ihnen persönlich der Name der Universität egal sei, da es für Betroffene sehr wohl einen Unterschied mache. Daher forderte sie Solidarität mit den Betroffenen. Sie persönlich sei nicht stolz auf Eberhard und Karl und deren Leistungen. Vielmehr sei sei sie stolz auf die kritischen Studierenden, die diesen Antrag eingebracht haben.
15 Für-Stimmen, 16 Gegenstimmen, 2 Enthaltungen
Nach fast zwei Stunden Diskussion wurde es Zeit für die Abstimmung. Doch zunächst wurde noch eine Änderung des Antrags besprochen. Statt eines schnellstmöglichen Änderungsprozesses sollten zunächst alle bisherigen Materialen mit dem Logo und Namen Eberhard Karls Universität Tübingen aufgebraucht werden. Erst danach sollen neue Materialien mit neuem Layout und Logo Schritt für Schritt eingeführt werden. Dem Antrag wurde stattgegeben. Dann war es so weit. Vor der Abstimmung erklärte der Rektor dem Publikum noch, dass von den 33 anwesenden Senator*innen 22 für den Antrag stimmen müssten, damit dieser angenommen werde. Doch das Ergebnis fiel zugunsten der Antragsgegner*innen aus. 15 Senator*innen stimmten der Namensstreichung zu, 16 waren dagegen und zwei enthielten sich. Bei den Gegner*innen löste dieses Ergebnis Jubelrufe und Applaus aus. Den Befürworter*innen stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.
Versöhnlicher Abschluss
Abschließend ergriff Bernd Engler nochmals das Wort und bemühte sich um einen versöhnlichen Abschluss. Er dankte den Studierenden für den Antrag, da sie damit einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Vergangenheit der Uni Tübingen geleistet hätten. Sie hätten den Rest der Uni daran erinnert, dass man es sich bisher zu einfach gemacht habe mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Ein Schritt in die richtige Richtung sei daher die Einrichtung eines Lehrstuhls für jüdische Geschichte in Tübingen. Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte sei Aufgabe aller, die Teil der Uni Tübingen seien. Auf seinen Dank an die Antragsteller*innen folgte ebenfalls Applaus.