Im Museum Alte Kulturen auf dem Schloss Hohentübingen jagt ein Höhepunkt den nächsten. Im Rahmen der Science Days gab Bettina Zundel eine Führung, bei der die ersten Zeugnisse des kulturellen Lebens betrachtet und Fragen über koloniale Kunstdiebstähle aufgeworfen wurden.
Welche Schätze sich hinter den Mauern des Schlosses Hohentübingen verbergen, wissen nur wenige. Im Museum Alte Kulturen -MUT- kann die Öffentlichkeit rund 4600 Exponate aus archäologischen und kulturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität bestaunen.
Bettina Zundel hat Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft studiert und arbeitet im MUT. Im Rahmen der Science Days gab sie am 1. Juni 2022 eine Führung durch die Abteilungen der Urgeschichte, Ägyptologie und der Antiken Kunst und Skulpturen.
Der Beginn der Kunst
Den Höhepunkt präsentiert das Museum gleich zu Beginn: die etwa 40 000 Jahre alten Eiszeittierchen. Die kleinen Figuren aus Mammutelfenbein, gefunden in der Vogelherd-Höhle bei der schwäbischen Alb, zählen zu den ältesten Kunstwerken der Welt. Die UNESCO erklärte die Tierchen 2017 zum Weltkulturerbe. „Die Beine der Tiere deuten einen Bewegungsmoment an“, beschreibt Zundel. „Um das darzustellen ist eine gewissen Intelligenz nötig. Deswegen sprechen wir hier vom Beginn der Kunst.“ Das Wildpferd ist zum Markenzeichen des Museums geworden. In seinem archäologischen Wert unterscheidet es sich keineswegs von den anderen Tieren wie etwa dem Löwen oder dem Mammut. Das Museum hat nur aufgrund der Ästhetik des Pferdchens beschlossen, es zum Aushängeschild zu machen.
Der Beginn der Musik und Religion
Das MUT bietet weitere Zeugnisse vom Beginn des kulturellen Lebens. Die Flöten aus Gänsegeierknochen stammen ebenfalls aus der Eiszeit und stellen den Anfang der Musik dar. „Die Menschen verwendeten sie entweder zum Zeitvertreib, um abends am Feuer darauf zu spielen, oder um Tiere damit anzulocken und abzuhalten“, erklärt Zundel. Ketten aus Tierknochen verwendeten die Eiszeitmenschen bei schamanischen Ritualen, was den Beginn der Religion darstellt.
Ein weiteres Weltkulturerbe ist im Museum zu Hause: 7000 Jahre alte Töpfe und Vasen von Pfahlbauten am Federsee und der Schwäbischen Alb. In der jüngeren Urzeit ließen sich die Menschen in Häusern nieder, weswegen Küchenutensilien in den Mittelpunkt rückten. Die Exponate sind sehr gut erhalten, da sie in eine Schlickschicht eingeschlossen waren.
Antike Bewegungabbildung
Ein ebenfalls prominentes Ausstellungsstück ist der Waffenläufer. Er diente vor 476 v. Chr. im antiken Griechenland als Preis nach einem Wettkampf. Ursprünglich hielt die Statuette ein Schild und eine Waffe in der Hand. Jahrelang war den Forschenden nicht klar, welche Funktion der Waffenläufer für die Griechen hatte. Erst als sie eine in der Antike wertvolle Münze im Innern fanden, wurde ihnen klar, dass sie eine Bezahlung für den Gewinner war. Neben derartigen Siegesprämien waren Amphoren gefüllt mit Olivenöl üblich. Gewinner erhielten bis zu vierzig Gefäße des hochwertigen Öls, womit sie ein gutes Auskommen für ihr restliches Leben hatten. Zahlreiche solcher Amphoren mit den verschiedensten Bemalungen sind ebenfalls zu bestaunen.
Ägyptische Frühgeschichte
Eine Wendeltreppe führt von den antiken Ausgrabungen in die Ägyptologische Abteilung. Dort sind bis zu 5500 v. Chr. alte Fundstücke der ägyptischen Frühgeschichte ausgestellt. Die Hauptattraktion ist die Grabkammer, auch Mastaba genannt. Sie war die letzte Ruhestädte des hohen Beamten Seschemnefer III. aus Giza. Falsch ist der Begriff Opferkammer, da weder Menschen noch Tiere ihr Leben zu Ehren des Toten lassen mussten. Dafür brachten die Hinterbliebenen monatlich einen Teil ihres Essens in die Kammer, womit das Weiterleben der Toten im Jenseits gesichert war. Dies war kein symbolischer Akt, so wie Trauernde heutzutage Blumen auf Gräbern pflanzen. Die alten Ägypter*innen gingen tatsächlich davon aus, die Geister würden ohne Nahrung verhungern – quasi ein zweites mal sterben.
„Eine so gut erhaltene Grabkammer gibt es in Europa sonst nur im Pariser Louvre und im Ägyptischen Museum in Berlin“, sagt Zundel. Der Unternehmer Ernst von Sieglin erstand sie 1908 auf einer Reise nach Ägypten. Der Antikenliebhaber kaufte zwei Drittel der Tübinger Ägyptologischen Sammlung sowie ein Drittel der Sammlung in der Stuttgarter Staatsgalerie. Dass sich Unternehmer wie Sieglin an dem ägyptischen Erbe bedienen konnten, ermöglichten koloniale Strukturen. Ob deutsche Museen ihre Exponate an Ägypten zurückgegeben sollten, wird auch im MUT debattiert. „Natürlich soll niemand etwas behalten, das anderen gehört“, meint Zundel. „Allerdings wäre es schade, wenn eine Reise nach Ägypten notwendig wäre, um ägyptische Kunst zu sehen. Vor allem für die Menschen, die sich keinen Flug leisten können“, findet sie. „Vielleicht wäre ein Mittelweg denkbar, bei dem das Museum einen Teil behalten kann und etwas an Ägypten zurückgibt.“
Der Sarg eines Seefahrerkapitäns verrät, wie bildlich die Vorstellung von Jenseits im alten Ägypten war. Auf dem Sargdeckel sind Sternenkonstellationen gemalt, sodass sich der Verstorbene nach dem Tod orientieren konnte. Auf der Seite sind zwei Augen, sodass er aus dem Sarg schauen kann.
Die Universität Tübingen beherbergt die größte Anzahl an wissenschaftlichen Sammlungen an einer deutschen Universität. „Wir finden es sehr schade, dass hier im Schloss nur so wenig Platz ist“, sagt Zundel. „Wir hätten noch mehr Stücke, die wir gerne ausstellen würden, doch das Museum ist leider schon voll.“ Derzeit kämpft das MUT für weitere Räumlichkeiten, um die Besonderheiten für die Besuchenden noch attraktiver darstellen zu können.
Bilder: Anne Burckhardt