Kultur

Kaffee – eine Geschichte von Genuss und Gewalt

Wir alle kennen ihn, wir alle lieben ihn – Kaffee. Kaffee ist das Mittel, das uns morgens weckt und gegen Semesterende durch die Klausurenphasen zieht. Doch drei Autor*innen stellen sich eine Frage, die die Meisten bei der Alltagsdroge vergessen haben: Welchen Preis hat Kaffee? Im Tübinger Buchladen Quichotte präsentieren sie Mitte November ihr Werk: „Kaffee – Eine Geschichte von Genuss und Gewalt“. Darin ziehen sie die Verbindung zwischen der Geschichte der Kaffeeproduktion und den sozialen und ökologischen Auswirkungen des Herstellungsprozesses.

Zwischen Büchern und Kaffee

Als ich Quichotte betrete, sind alle kleinen türkisfarbenen Plastikstühle belegt. Im Hinterzimmer des Buchladens scheinen sich die Bücher mit ihren bunten Buchumschlägen und die Menschen in ihren farbigen Pullovern zu vermischen. Ganz vorne in einem kleinen Kreis sitzen Toni Keppeler und Laura Nadolski, zwei der drei Autor*innen des Buches. Cecibel Romero, die Dritte im Bunde, befindet sich in San Salvador. Toni hält das graugrüne Buch in den Händen, während die Menge seinen Erzählungen lauscht.

 

Kaffee – Eine Geschichte von Genuss und Gewalt trägt die bekannte Kaffeebohne auf dem Cover. Bild: Jana Svetlolobov

Eine der ersten wissenschaftlichen Einordnungen der Kaffeekirsche, so Toni Keppeler, sei 1753 vom schwedischen Naturforscher Linné, vorgenommen worden. Linné habe nur eine Art der Kaffeekirsche gekannt. Da er glaubte, dass sie aus Arabien stamme, nannte er sie Coffea arabica. Der tatsächliche Ursprung des Kaffees, erklärt der Autor, liege allerdings im Südsudan und im Hochland von Äthiopien. Der äthiopische Wildkaffee habe sich zunächst in die arabische Welt und Asien – und schließlich nach Lateinamerika, der zentralen Anbauregion heutzutage – ausgebreitet. Kaffee war und ist jedoch nicht nur ein Genussmittel. Er habe, so Keppeler, auch eine lange Geschichte der Zwangsarbeit, Sklaverei und des Völkermords. 

Mit jedem Schluck ein bisschen Blut vergossen

Bei diesem Stichwort machen wir einen kleinen Sprung in die Vergangenheit. Autor Toni Keppeler drückt das kleine Buch ein bisschen fester in den Händen, während sein Blick direkt auf die Menge gerichtet ist. Auch Deutschland habe seinen Teil zu den Grausamkeiten in der Kaffeeindustrie beigetragen. 1877 wurde in Guatemala ein Gesetz verabschiedet, das Ausländern den Landkauf erleichterte. Wer nun kam, um Kaffee anzubauen, dem wurden für zehn Jahre die Steuern erlassen. Die 1880er brachten daher eine Welle deutscher Einwanderer nach Guatemala, erklärt uns Toni.

Durch günstige Vorfinanzierung der Ernte und den internationalen Kredit zum Landverkauf konnten die Einwanderer*innen schnell große Plantagen aufbauen und bereits im Jahr 1890 dominierten sie die Kaffeeproduktion in Alta Verapaz, so erzählt Toni. Die Deutschen brannten die Mais- und Bohnenfelder einheimischer Kleinbauern nieder und zwangen sie und ihre Kinder, durch die eigens kreierte Not, auf ihren Plantagen zu arbeiten. Zu einem der größten Landbesitzer in Alta Verapaz gehörte Erwin Paul Dieseldorff. Er sei für seinen menschenunwürdigen Umgang mit den indigenen Menschen bekannt gewesen. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der Niederlage Deutschlands und dem Druck der USA, Deutsche als Tauschware für eigene Kriegsgefangene auszuliefern, habe das deutsche Kaffee-Imperium ein Ende gefunden, führt Toni aus und pausiert einen Moment, damit das Publikum die Informationen verarbeiten kann.

Musiker spielen bei der Lesung im Quichotte die traditionellen Lieder der Indigenen. Bild: Jana Svetlolobov

„In El Salvador war [die Ausbeutung durch Ausländer] nie so [wie in Guatemala]“, meint Toni. „Die hatten eine einheimische Kaffee-Oligarchie und es war gleichzeitig das Land, das nur vom Kaffee gelebt hat. El Salvador [war] immer eine Kaffee-Republik, weshalb man Veränderungen auf dem Weltmarkt im Kaffee ganz brutal durchgeschlagen hat. 1929 gab es den großen Crash in New York an der Börse und die Weltwirtschaftskrise, die folgte, sorgte dafür, dass der Kaffeepreis sich auf weniger als ein Drittel reduziert hat. Das lag weit unter den Produktionskosten. Trotzdem wurde häufig weitergearbeitet und man hat die Leute nicht mehr bezahlt. Das waren in aller Regel die Indigenen. In El Salvador ging man davon aus, dass man demnächst (1929/1930) nur noch zwei Tortillas am Tag ausgibt und die Leute so hungrig sind, dass sie bereit sind für zwei Maisfladen zu arbeiten. Einfach, weil alles mit Kaffee bestanden war und es keine Flächen für Grundnahrungsmittel gab.“ Die indigenen Völker schlossen sich jedoch zusammen und versuchten 1932 einen Volksaufstand zu organisieren, der blutig niedergeschlagen wurde. In nur zwei Monaten wurden 10 % der indigenen Bevölkerung getötet – „Ein Völkermord für den Kaffee, wenn man es so ausdrucken will“, legt Toni dar. 

Bohne um Bohne, Baum um Baum

Nun richtet sich Laura an das Publikum. Sie promoviert am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Sie erzählt von den Umweltschändungen, die durch den Kaffeeanbau tagtäglich passieren. Die Rodung des Regenwalds habe drastische Folgen für unser Klima. Laura erklärt, dass Wälder aufgrund ihrer dunklen Flächen und biophysikalischen Eigenschaften wie eine Kühlanlage wirken. Das fördere die lokale Klimastabilität, da so extreme Temperaturen gemildert werden. Und zusammen mit der Albedo (beschreibt die Fähigkeit einer Oberfläche – aus z.B. Schnee – die Sonnenenergie zu reflektieren) absorbieren Wälder mit ihrer dunklen Oberfläche die Energie des Lichts. Ohne Wald wird es demnach deutlich wärmer.

Laura Nadolski erzählt von den kühlenden Eigenschaften des Regenwaldes. Bild: Yvonne Berardi

Zu Beginn der Kaffeeindustrie wurden große Teile des Atlantischen Regenwalds vollkommen willkürlich gerodet. Schätzungen zufolge wurden die Plantagen etwa zwanzig Jahre lang betrieben – danach war der Boden ausgelaugt. Dabei sei es deutlich sinnvoller, die Kaffeebohnen im Schatten wachsen zu lassen, meint Laura, da die Kirsche dadurch langsamer reife und mehr Aromen entwickle.

Nach der Lesung erklärt Laura mir noch, dass beim Kaffeeanbau, wenn eine nasse Aufbereitung vollzogen wird, das Abwasser, das während des Verarbeitungsprozesses entsteht (ca. 17.630 Liter im globalen Durchschnitt), ungeklärt in die Umwelt gelange. Dabei sei diese Verschwendung nicht notwendig, denn reife Kaffeefrüchte hätten so viel Wasser in sich, dass man auch ohne Wasserzufuhr das Fruchtfleisch von der Bohnen trennen könne. Somit würde man nur beim Transport der Bohnen Wasser benötigen und es würde kein dreckiges Abwasser, ungefiltert in die Umwelt gelangen.

Ist Kaffee nach all dem trinkbar?

Die Autoren nicken – ja, es gäbe drei Kriterien, mittels derer man einschätzen könne, ob Kaffee umwelt- und sozialverträglichen ist. „Direkter Handel“ sei ein Kriterium, „Produktion auf biodiversen, beschatteten Plantagen“ ein zweites und „Verzicht auf nasse Aufbereitung“ ein drittes. Das heißt natürlich, dass qualitativer Kaffee etwas teurer ist, doch die Autoren ermutigen: lieber etwas weniger Kaffee, der dann höhere Qualität hat, als Kaffee, der mehr Zerstörung als Genuss bringt.  

Zwei Besucher der Lesung trinken die angebotenen Kaffeeproben. Bild: Yvonne Berardi

Kaffee – Eine Geschichte von Genuss und Gewalt ist ein Buch für alle Kaffeefreund*innen, die die Etiketten auf Kaffees verstehen wollen und sich mit dem Prozess von der Bohne zum Kaffee und den damit verbundenen Konsequenzen auseinandersetzen möchten. Die nächste Lesung des Buches findet am 10. Dezember im Gewächshaus Tropicarium um 14:00 Uhr statt.

Beitragsbild: Paula Jagsch

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