„Ich habe Hunger.“ Wer diesen alltäglichen Satz in der Uni hört, wird ihn für völlig unbedenklich halten: Die betreffende Person hat wohl ein paar Stunden lang nichts gegessen und könnte nun wieder eine Mahlzeit vertragen. Doch für Millionen von Menschen ist Hunger nicht das leicht unangenehme, leicht zu vertreibende Gefühl in der Magengegend, sondern bitterer, tödlicher Ernst. „Den Hunger beenden“ – diese Thematik, der sich die Biologin Uta Eser am Montagabend bei einem Vortrag im Kupferbau widmete, ist nicht zuletzt aufgrund Putins Getreideblockade in der Ukraine von dramatischer Aktualität.
2,3 Milliarden. Das ist laut dem deutschen Entwicklungsministerium die globale Zahl der Menschen ohne gesicherten Zugang zu gesunden, nahrhaften und bezahlbaren Lebensmitteln. Was hierzulande als Selbstverständlichkeit erscheint, bleibt Utopie für eine Zahl an Erdenbewohnern, die dem mehr als 27-Fachen der deutschen Bevölkerung entspricht. Der Hunger ist nach wie vor eines der drängendsten Themen unserer Zeit; nicht umsonst zählt seine Beendigung zu den siebzehn von den Vereinten Nationen ausgegebenen Zielen für nachhaltige Entwicklung, den „Sustainable Development Goals“ (SDGs), die bis in sieben Jahren erreicht sein sollen. Der auf traurige Weise aktuellen Problematik des Hungers im Kontext von Armut, Klimawandel und globaler Ungleichheit widmete sich die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser in einem Vortrag des Studium Generale am Montagabend. Sie zeigte: Das Thema ist deutlich komplexer als gedacht, die Lage jedoch nicht gänzlich aussichtslos.
Komplexe Probleme bedürfen komplexer Lösungen
Wer um kurz nach 18 Uhr einen Blick in Hörsaal 25 des Kupferbaus warf, konnte nur staunen, wie viele Menschen sich offensichtlich nicht hatten abschrecken lassen von dem etwas spröden und sperrig anmutenden Titel des angekündigten Vortrags: „Den Hunger beenden: Die sozialökologische Transformation des Agrar- und Ernährungssystems“. Und für alle ohnehin etwas skeptisch Eingestellten im Publikum folgte gleich zu Beginn der nächste Dämpfer: Wie es zu schaffen sei, die gesamte Welt zu ernähren – diese Frage werde sie am heutigen Abend natürlich nicht beantworten, machte Eser klar. Dass dies angesichts der Vielschichtigkeit und Größe des Problems auch deutlich zu viel verlangt wäre, würde sich nach sechzig Minuten aufmerksamen Zuhörens allen Anwesenden erschlossen haben. Dennoch wurde der Saal wohl von niemandem ohne eine neue Erkenntnis verlassen: Wer bei der Bekämpfung des Hungers allein den Hunger selbst im Blick hat, dessen Anstrengungen sind von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Hunger – und Ungleichheit, Armut, Krankheit, Krieg
Denn um den Hunger zu beenden – und somit SDG 2 zu erreichen – müssen gleichzeitig zahlreiche weitere Probleme gelöst werden. Hierzu zählt beispielsweise die globale Ungleichheit (SDG 10). So ist, wie Eser betonte, keine Erhöhung der Lebensmittelproduktion vonnöten, sondern lediglich eine deutlich verbesserte Verteilung auf der Welt. Auch seien die Bekämpfung des Hungers und die der Armut (SDG 1) untrennbar miteinander verbunden: „Eine gesunde Ernährung muss man sich leisten können“. Diese wiederum stünden in Verbindung mit den ebenfalls in vielen Teilen der Welt problematischen Themenkomplexen Gesundheit (SDG 3) und Bildung (SDG 4). Es sei also nicht ausreichend, das Geld zum Kauf zu besitzen – man müsse auch lernen, was gesundes Essen sei, wie es produziert werde und woher es komme, meint die Biologin. Denn sowohl der andauernde Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung als auch die Arbeitsbedingungen in der Intensivlandwirtschaft, also die Frage der menschenwürdigen Arbeit (SDG 8), seien ein für die Gesundheit relevanter Faktor. Auch mit SDG 16 – dem Ziel des Friedens und der starken Institutionen – sei das Ziel, den Hunger zu beenden, verknüpft: Wie sich aktuell am Beispiel der Ukraine zeige, bedürfe die Welternährung zunächst einmal der Abwesenheit von Krieg.
Die Interdependenz von Ernährung, Umwelt und Klima
Weitet man den Blick und betrachtet die über das menschliche Individuum hinausgehenden Konsequenzen der Ernährung, so fallen nach Meinung Esers vor allem folgende Wechselwirkungen auf: Die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft, wie wir Rindfleischproduktion betrieben, gefährde etwa das Wasser und könne dazu beitragen, den Klimawandel zu beschleunigen. Gleichzeitig sei es unmöglich, unsere Nahrung ohne Wasser und ohne Biodiversität zu produzieren. Die gegenwärtige Nahrungsmittelproduktion stellt demnach eine Gefahr für ihre eigenen Voraussetzungen dar. Einerseits könne der Schutz des Klimas die Ernährungssicherung gefährden – etwa durch zu große Schutzgebiete –, die Ernährungssicherung könne andererseits aber nicht ohne Klimaschutz auskommen. Die Umweltethikerin spricht hier von einer „ambivalenten Wechselbedingung“, was sie am Beispiel des Insektensterbens verdeutlicht: Die Art unserer Landwirtschaft sei, so Eser, eine der Hauptursachen für den Rückgang der Biodiversität, während zugleich eine hinreichend große Vielfalt an Insektenarten unverzichtbar sei für den Erfolg der Landwirtschaft. Dass sich Ernährung, Umwelt und Klima gegenseitig bedingen, begründe die „Komplexität des Themas“ und die Unmöglichkeit einfacher und schneller Lösungen.
Die „Tragik der Allmende“
Ein Großteil der Deutschen, so zeigt eine von Eser präsentierte Befragung, ärgert sich darüber, dass so viele Menschen derart sorglos mit der Natur umgingen. Obwohl jede Einzelhandlung per se „gar nicht so schlimm“ sei, entstehe insgesamt etwas, „was man nicht wollen kann“. In diesem Zusammenhang spricht der Ökologe und Mikrobiologe Garrett Hardin von der „Tragik der Allmende“ („tragedy of the commons“): Sei eine Ressource frei verfügbar, so versuche jeder, den jeweils eigenen Nutzen zu maximieren, was letztlich zu Übernutzung und einem Schaden für die gesamte Gemeinschaft führe. Uta Eser verglich diese Problematik mit dem Zusammenleben in einer WG, in der niemand derjenige sein wolle, der abspülen müsse.
„Erst die Regel ermöglicht es dem Individuum, im Einklang mit seinen moralischen Überzeugungen zu leben.“
Uta Eser
Die Lösung für beide Probleme stamme von der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom: „Man braucht einfach Regeln“. Diese Regeln müssten von allen Beteiligten akzeptiert werden, sie müssten kontrolliert und ihre Nichtbeachtung notfalls sanktioniert werden. Bei Problemen kollektiven Handelns brauche es im Großen wie im Kleinen „ein Regelwerk, das es leichter macht, das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen“. In der abschließenden Fragerunde wird Eser noch deutlicher: „Erst die Regel ermöglicht es dem Individuum, im Einklang mit seinen moralischen Überzeugungen zu leben.“ Es könne nicht durch das Individuum, durchaus aber durch Regeln gewährleistet werden, „dass alle anderen mitmachen“. Angesprochen auf die gesellschaftliche Unbeliebtheit von Regeln, entgegnete die Biologin: „Es ist ja auch ein Zeichen unserer Zeit, dass jede Regel gleich als unzulässige Einschränkung unserer Handlungsfreiheit kolportiert wird.“
Die unauflösliche Verflechtung der SDGs
Abschließend formulierte Eser noch einmal zusammenfassend ihre Hauptbotschaft: Die siebzehn Ziele für eine bessere Welt seien gleichrangig und untrennbar miteinander verbunden – weshalb sich wohl auch der Vortrag keineswegs ausschließlich auf das Problem des Hungers fokussierte. Keines der Ziele sei allein hinreichend; auch seien die SDGs nicht additiv zu verstehen. Sie seien vielmehr stets integrativ und interdependent. Auch seien Ökonomie, Ökologie und Soziales insgesamt nicht voneinander unabhängig.
„Es geht nie ums Entweder-oder, sondern ums Sowohl-als-auch.“
Uta Eser
Eine ihrer Grundpositionen hinsichtlich der Erreichung der ambitionierten Nachhaltigkeitsziele bringt Uta Eser folgendermaßen auf den Punkt: „Es geht nie ums Entweder-oder, sondern ums Sowohl-als-auch.“ Daher müssten auch die drei Probleme Überbevölkerung, Überkonsum und Ungleichverteilung als gleichrangig behandelt werden. In Bezug auf die 2,3 Milliarden Menschen ohne Zugang zu gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln verbreitet Eser vorsichtigen Optimismus: „Es geht schon ein kleines bisschen voran“. Doch stellt die Forscherin mit Blick auf die Ziele der Vereinten Nationen zugleich unmissverständlich klar: „Ich glaube, es wäre völlig naiv, zu glauben, dass wir das bis 2030 tatsächlich erreichen.“
Beitragsbild: Pixabay
[…] der Ziele miteinander: In diesem Fall zum einen mit Ziel 10 (weniger Ungleichheiten) und Ziel 2 (kein Hunger), da Entwicklungsländer besonders vom Biodiversitäts-verlust betroffen sind, zum […]