Politik

Orangene Warnfarbe für Tübingen – Protest der „Letzten Generation“ auf der Morgenstelle

Ein normaler Montagmorgen, Menschen steigen aus dem Bus oder kommen mit dem Fahrrad den Berg zur Morgenstelle an der Universität Tübingen hochgestrampelt. Und dann das: Große orangenfarbene Buchstaben „schmücken“ den Eingang des Geo- und Umweltzentrums (GUZ), dort steht: „Wissen ist Verantwortung“. Die große Glasfront ist meterhoch mit Farbe bespritzt.

Am vergangenen Montag, den 30.10.2023, protestierte die Letzte Generation vor dem Geo- und Umweltzentrum auf der Morgenstelle. Die fünf beteiligten Aktivist*innen starteten ihren Protest ungefähr um 10 Uhr, dabei besprühten sie die Glasfassade mit neon-orangener Farbe aus Feuerlöschern. Zudem wurde über den Eingangstüren des GUZ der Spruch „Wissen ist Verantwortung“ mit weiterer Farbe angebracht. Die Aktivist*innen positionierten sich mit zwei Bannern vor dem Uni-Gebäude: „Wissen ist Verantwortung“ und „Letzte Generation vor den Kipppunkten“ waren darauf zu lesen. Ein anderer Aktivist lief zwischen den zusehenden Studierenden und Mitarbeiter*innen der Universität hin und her, er verteilte Sticker mit QR-Codes, die zu einem öffentlichen Treffen der Gruppe einluden. Mehrere Menschen machten ihrem Ärger über diese Protestart Luft: „Schämt euch!“, fordert ein Studierender die Aktivist*innen auf. Andere Mitarbeiter*innen der Universität begannen wenig später eine Diskussion mit der protestierenden Gruppe, es gab einen hitzigen Wortwechsel. Zwischen diesen Situationen hielt ein Aktivist auf dem Eingang immer wieder kurze Reden.

Während die Worte des Aktivisten leise über den Campus klingen, kamen neue Studierende vor dem GUZ zum Stehen, manche in großem Abstand, andere stellten sich neugierig in die ersten Reihen. Doch nicht alle Student*innen verweilten lange vor dem Protest: Man sieht Kopfschütteln, Stirnrunzeln und diskutierende Grüppchen.

Wenig später trafen zwei Polizeiautos ein, sie fuhren direkt vor den Eingang des Unigebäudes. Polizist*innen stiegen aus und begannen mit umherstehenden Menschen zu reden: Wer steht schon länger vor dem Gebäude und kann Aussagen zum kompletten Verlauf der Protestaktion tätigen? Währenddessen begann ein Polizist damit, die Personalien der Aktivist*innen aufzunehmen. Eine Stunde später war der Protest beendet.

Polizeiautos vor dem Geo- und Umweltzentrum auf der Morgenstelle. Foto: Hanna Neumann

Was fordert die „Letzte Generation“ von der Universität?

Die Reden des Aktivisten auf der Eingangstür des Geo- und Umweltzentrums fordern die Universität und die Studierenden dazu auf, sich politisch zu positionieren und sich gegen die aktuelle Klimapolitik der Regierung einzusetzen. Außerdem sollen sich die (Natur-)Wissenschaften nicht „hinter ihren erhobenen Daten verstecken“, sondern auch Verantwortung für diese übernehmen und ihr Wissen aktiv nutzen, um selbst gegen die fortschreitenden Klimakrise vorzugehen. In einem später veröffentlichten Instagram-Post schreibt die Letzte Generation, dass sie die Universität(en) mit ihrem Farbprotest daran erinnern wollen, „wissenschaftliche Erkenntnisse zur Klimakrise unmissverständlich, unüberhörbar und unaufhörlich“ zu kommunizieren und dies „bis die Wende eingeleitet ist“.

Was denken Studierende & Mitarbeiter*innen der Universität darüber?

Der Protest trifft bei den Studierenden und (wissenschaftlichen) Mitarbeiter*innen der Universität auf gemischte Gefühle. Um einen kleinen Einblick in die Meinungslandschaft zu geben, haben wir verschiedene Personen aus dem universitären Kontext zu ihren Ansichten befragt.

Welche Rolle nehmen die Naturwissenschaften denn überhaupt in der aktuellen Debatte um den Klimawandel ein? Prof. Dr. Kira Rehfeld vom GUZ sagt dazu: „Als Klimatologin stelle ich fest, dass die derzeitigen internationalen Absprachen zu Emissionsreduktionen nicht für das Einhalten des 1,5 Grad-Ziels ausreichend sind. Die Naturwissenschaften sind die Grundlage jeder quantitativen und sich auf konkrete Ziele und Maßnahmen beziehenden politischen Debatte über den Klimawandel.“ Als Mitarbeitende der Arbeitsgruppe Klimatologie und Biosphäre ist sie der Meinung, dass „der wissenschaftliche Konsens zum Klimawandel eine objektive Basis für Entscheidungen“ sei.

Einige Studierende des Faches Geoökologie am GUZ sind allerdings der Meinung, die gesamte Aktion und vor allem der Spruch ‚Wissen ist Verantwortung‘ lenke den Fokus zu sehr auf die Wissenschaft und eben nicht auf die Politik, wo Entscheidungen getroffen werden. Der Konsens der befragten Studierenden-Gruppe: Wie viel mehr können die Wissenschaftler*innen denn tun? Sie positionieren sich bereits zu veröffentlichen Forschungsergebnissen und sprechen Empfehlungen an die Politiker*innen aus.

Darf Wissenschaft politisiert werden?

Ist das Geo- und Umweltforschungszentrum der richtige Ort für solch eine Aktion? Die meisten jungen Leute im GUZ studieren nicht ohne Grund, wie unser Planet arbeitet. Die Studierenden fühlen sich unberechtigt angeprangert, es fallen Ausdrücke wie „respektlos“ oder „keine Wertschätzung“. Ein Student sagte dazu: „Politik und Wissenschaft sollten getrennt werden, aber die Politik sollte sich auf die Wissenschaft berufen“. Prof. Dr. Kira Rehfeld meint dazu: „Welchen Weg wir nehmen wollen, ist eine Frage für die Politik, und darüber kann und muss man sich streiten.“

Die Protestaktion stößt aber auch auf Zuspruch auf der Morgenstelle. „Die Radikalität der Aktion kann ich nachvollziehen“, sagen einige Studierende. Die Wissenschaft trägt eine Verantwortung und laut mancher wurde dieser Verantwortung bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt.

Während der Diskussionen im Foyer des betroffenen Gebäudes, hört man mehr als einmal: „Endlich mal Farbe fürs GUZ“. Wie auch immer man selbst die Protestaktion findet, einen farblichen Kontrast zum eher tristen Grau der Morgenstelle bildet das Neonorange allemal.

Text: Hanna Neumann und Lena Schulz
Beitragsbild: Hanna Neumann

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