Zwei Semester Russland, erst Moskau und dann Sankt Petersburg. Klingt verrückt? Ist es vermutlich auch ein bisschen. Und daher genau das Richtige für mich! Mein Name ist Holly und ich nehme euch hier mit auf mein russisches Abenteuer.
Eine Kolumne über mein Jahr in Russland. In den kommenden zwei Semester werde ich euch regelmäßig über das Studienleben, das Wohnen, die Kultur und die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Umgebung berichten.
Hallo Tübingen!
Ich bin Holly und studiere normalerweise ganz gediegen Internationale Literaturen im Hauptfach und Slavistik im Nebenfach. Schon im ersten Semester wird in der Slavistik das Auslandssemester hoch angepriesen. Da meine Reiselaune nie auf sich warten lässt, habe ich mich sofort informiert, wann und wo ich hin verschwinden kann. Russland liegt nahe. Zwar nicht was die geografische Lage angeht, aber mein Nebenfach lädt dazu ein.
Gesagt, getan, ich will nach Russland. Schnell muss die Entscheidung gefällt werden, ob es nach Moskau oder Sankt Petersburg gehen soll. In die Hauptstadt der Russen oder die Hauptstadt der Europäer in Russland. Roter Platz oder Ermitage.
“Sehr geehrte Frau Geiß, hiermit bestätigen wir…”
Und wie soll ich, mit Zweifel an jeder meiner Entscheidungen, solch eine Wahl treffen? Diese Frage ist schnell geklärt, wenn klar wird, dass zwei Auslandssemester im Bereich des Möglichen liegen sollten. Warum nicht in den beiden wichtigsten Städten Russland studieren?
Der Bewerbungsprozess war eine Tortur, jedes Formular dreimal ausfüllen und an drei verschiedene Stellen versenden. Wieder und wieder die nahezu gleichen Informationen in aller Welt verstreuen. Möchte sonst noch jemand meine Adresse wissen? Doch alles das hat sich für den Moment gelohnt, als ich im Supermarkt an der Kasse nur auf die Uhrzeit auf meinem Handy schauen wollte und zwei Mails angezeigt wurden. “Sehr geehrte Frau Geiß, hiermit bestätigen wir…”, ein Freudenschrei, eine verwirrte Kassiererin und eine auf und ab hüpfende Holly. Im Anschluss wurden etliche Listen geschrieben – was muss ich packen, was muss ich noch besorgen, was muss ich noch erledigen, wo ist die Duolingo-App verschollen, wem sag ich zuerst Bescheid?
Wie war das nochmal… brauch ich ein Visum für Russland? Ja! Und was für eins! Haltet euch fest: man muss einen negativen HIV Test vorweisen, um an ein Visum für Russland überhaupt denken zu können. Aber ich kann euch beruhigen: alles safe bei mir. Außerdem benötigt man eine offizielle Einladung von einer russischen Einrichtung, welche 4 Tage vor Weihnachten endlich ihren Weg in unser bezauberndes Tübingen gefunden hat. Leider war bis dahin noch nicht geklärt, wo die Beantragungsunterlagen hingeschickt werden sollten und was denn noch alles beinhaltet sein muss. Am 27.12. wusste ich dann endlich über alles Bescheid und am 30.12. konnte ich alle Unterlagen zur Post bringen. Reichlich spät, denn, in Russland, also auch im Generalkonsulat sind vom 13.12. bis 09.01. Weihnachtsferien. Exakt eine Woche vor Abreise, und viele Telefonate mit dem Visumszentrum später, kam das Visum endlich an.
Die Einreise ist ein spannender Vorgang. Eine Beamtin an der Passkontrolle starrt abwechselnd mich und meinen Reisepass an für gefühlte 45 Minuten, bis sie einen Stempel knallen lässt, etwas auf russisch murmelt und nickt. Ich murmle also auch „Спасибо“ (Spasibo – Danke), gehe durch das Tor und atme tief durch. Ich bin in Russland.
МГУ имени М.В. Ломоносова
Mit dem Taxi fahren wir zu viert eine Stunde für umgerechnet ca. 25 Euro bis zum Haupteingang der Московский Государственный Университет имени М.В. Ломоносова (Moskauer Staatsuniversität, benannt nach M.V. Lomonosov). Ein überwältigendes, riesengroßes Gebäude, in dem ich die nächsten fünf Monate leben werde. Stalin lies sieben dieser mächtigen Gebäude in Moskau bauen. Ursprünglich waren acht geplant, das letzte Gebäude schenkte er Waschau. Alle acht haben einen mächtigen Stern auf der Spitze und die sieben Gebäude in Moskau nennt man auch die Sieben Schwestern.
Der zweite mehr als überwältigende Anblick war der Красная Площадь (Krasnaja Ploschatz – Roter Platz). Ein paar Stationen mit der berühmt berüchtigten Moskauer Metro, ein langer Fußmarsch durch unterirdische Tunnel, ein paar Treppen hinauf und plötzlich steht man direkt neben dem Roten Platz. Gebäude ringsum rot, ein Weihnachtsmarkt mit Schlittschuhen und bunten Lichtern, die Basilius Kathedrale und das ГУМ (GUM) übersäht mit Lichterketten. Der Boden ist zu meinem Bedauern nicht rot geziegelt, die magische Stimmung durch Lämpchen, Musik und Schnee dennoch hergestellt.
Langsam ankommen
Nach den ersten vier Tagen in Russland kann ich eines mit voller Gewissheit sagen: die Russen lieben aufwendigen Papierkram mindestens genauso wie wir Deutschen! Eine Registrierung im Land ist zusätzlich zum Visum nötig, die korrekte Einschreibung in der Fakultät und im Wohnheim bedarf mehrerer Bürobesuche und Kopien meines Reisepasses. Der Vertrag für das Zimmer im Wohnheim ist bis heute nicht vollständig.
Erneut weiß alle Welt, nun auch in kyrillischer Schrift, meine Adresse.
Noch am ersten Abend konnte uns nichts aufhalten – auch nicht die minus acht Grad Celsius – eine Metrokarte zu kaufen und auf den Красная Площадь (Krasnaja Ploschatz – Roter Platz) zu fahren und in einer Seitengasse Вереники (Vereniki – gefüllte Teigtaschen, ein bisschen wie Maultschen nur unterschiedlicher gefüllt und ein echter Schwabe würde so einen Vergleich auch kaum wagen) zu bestellen.
Ich halt euch auf dem Laufenden!
Nach 6 Tagen und insgesamt mehr als 91 tausend Schritten bin ich immer noch nicht sicher, ob ich bereits verinnerlicht habe, dass ich jetzt in Russland lebe. Mal sehen, wie sich dieses Gefühl in mir entwickelt. Wenn euer Interesse geweckt ist, habe ich gute Neuigkeiten: ich werde euch auf dem Laufenden halten. Wer ungeduldig ist und vor Aufregung nicht auf den nächsten Artikel warten kann, darf mir sehr gerne auf Instagram folgen. Ich bin keine Influencerin, sondern zeige schlichte Bilder in meinen Stories für Freunde, Bekannte und Interessierte. @f.holly.g.
Fotos: Holly Geiss