Preis für herausragende Wissenschaftskommunikation verliehen. Der Neurowissenschaftler Tobias Hauser startete eine Online-Kampagne, die über die Zwangsstörung aufklärt; der Archäologe Michael Kienzle entwarf ein Projekt, um seine Forschung zu einer schwäbischen mittelalterlichen Adelsfamilie mit der Öffentlichkeit zu teilen. Ihre Arbeit wurde letzte Woche im Pfleghofsaal geehrt.
Wer von einer psychischen Störung betroffen ist, kennt das damit oftmals verbundene gesellschaftliche Stigma. Das Unverständnis anderer für die eigenen Herausforderungen, das eigene Unverständnis der Funktionsweisen des eigenen Gehirns und niemand, der all dem Gehör verschafft. So geht es auch einem Großteil der 3 Prozent der Bevölkerung, die von einer Zwangsstörung betroffen sind. Man unterscheidet verschiedene Arten derselben Störung, daher ist häufig auch im Plural von Zwangsstörungen oder Zwangserkrankungen die Rede.
Tobias Hauser forscht bereits seit fünfzehn Jahren an den neuronalen Ursachen der Störungsbilder, die man im Englischen unter OCD zusammenfasst (Obsessive Compulsive Disorder). In einem Gespräch mit einem Kollegen über die Gestaltung einer interaktiven App für eine Studie zu OCD kam schließlich die Idee auf, das Ganze auszuweiten. So setzten sich Hauser und sein Team mit Betroffenen und Eltern von Betroffenen zusammen, um ihre Erfahrungen einzuholen und herauszufinden, wo für sie noch Bedarf für Aufklärung besteht.
Zwänge und ihre Ursachen
2024 ging schließlich die Website des Projekts an den Start: ocdandthebrain.com. Hier findet sich nun, auf Deutsch wie auf Englisch, ein Glossar mit wichtigen Infos und Begriffen zu Zwangserkrankungen, Quellen zur Bildung und Weiterbildung über die praktischen Aspekte von OCD sowie eine sehr ausführliche, aber dennoch für Laien sehr verständliche Erläuterung der neurophysiologischen Prozesse, die für Zwangsgedanken und -handlungen verantwortlich sind.

Dazu zählen vorrangig die fronto-striatalen Netzwerke: Neuronale Verbindungen, die einen Informationsaustausch zwischen dem vorderen Teil und einer inneren Hirnregion, dem Striatum, verbinden und mitunter auch für die Entscheidungsfindung zuständig sind. Was genau dazu führt, dass diese Netzwerke und der damit einhergehende Informationsfluss gestört sind, und welche anderen Faktoren das Entstehen und die Beschaffenheit einer Zwangssymptomatik beeinflussen, ist nach wie vor Bestandteil der Hirnforschung.
Mit seiner Aufklärungskampagne wollte Hauser in erster Linie Betroffene über die neurologischen Hintergründe ihrer Zwänge informieren, da ein besseres Verständnis der eigenen Erkrankung oftmals auch den Umgang damit erleichtere. Dabei sei stets auch mit Betroffenen zusammengearbeitet worden, um für die notwendige Sensibilität und Verständlichkeit zu sorgen. Die Festigung des Kontakts zur OCD-Community ermögliche einen dauerhaften Austausch habe sogar beeinflusst, wie und woran man forsche. Für sein Projekt wurde Hauser der mit 10.000 Euro dotierte Hauptpreis für Wissenschaftskommunikation verliehen.
Schwäbische Burgherren
Mit mittelalterlichen Burgen und Rittertum dürften sich die meisten von uns zuletzt im Geschichts-unterricht der achten Klasse aktiv beschäftigt haben. Für den Archäologen Michael Kienzle hingegen stellt es den Dreh- und Angelpunkt seiner Forschung dar. 2019 beschäftigte er sich für seine Doktorarbeit bereits mit einigen Adelsfamilien und ihren Burgen auf der Schwäbischen Alb sowie deren Einfluss auf die Kulturlandschaft der Region. Das umschließt die Formen der Landwirtschaft, das Wegenetz und die errichteten Gebäude.
Dabei widmete er sich auch der regionalen Adelsfamilie Greifenstein, die vom 12.-14. Jahrhundert im oberen Echaztal zwischen Pfullingen und Honau geherrscht hat. Wesentlich mehr als dass es sie gab und sie wohl mehrere befestigte Niederlassungen in der besagten Region hatte, war bis vor kurzem nicht bekannt und selbst diese Informationen bezog man bis vor Kurzem hauptsächlich aus lokalen Sagen. So entstand in Kienzle der Wunsch, die Geschichte dieser Adligen erzählen.

Das von ihm 2020 offiziell ins Leben gerufene Greifenstein-Projekt machte sich daher zur Aufgabe, die Geschichte der Greifensteiner Herrschaft durch bessere Ergründung der lokalen Burglandschaft zu erforschen. Dazu zählen auch einige Ausgrabungen an überlieferten, bislang aber nicht oder nur kaum untersuchten Burgstellen, die auch tatsächlich Ergebnisse zu Tage brachten. Um die Öffentlichkeit an den neuen historischen Erkenntnissen teilhaben zu lassen, bot Kienzle von Anfang an Führungen durch aktive Ausgrabungsstellen an.
Somit gab er nicht nur Wissen weiter, sondern informierte auch über den Weg des Erkenntnisgewinns, das wissenschaftliche archäologische Arbeiten. Die Forschungsarbeit und Erkenntnisvermittlung des Greifenstein-Projekts verlief dabei stets in Kooperation mit lokalen Partnern wie dem Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein, der Freiwilligen Feuerwehr Holzelfingen und dem Landesamt für Denkmalpflege. Unterstützung erhielt Kienzle dabei auch vom Institut für Geschichtliche Landeskunde der Uni Tübingen.
Gelebte Geschichte und lebendige Archäologie
In seinem Redebeitrag erklärt Michael Kienzle, dass es ihm wichtig sei, dass Wissenschaftler*innen „nicht nur erklären, was wir tun, sondern auch wie wir es tun und warum es von Bedeutung ist.“ Forschung solle nicht vom Elfenbeinturm aus betrieben werden, sondern mit der Öffentlichkeit zusammen. Er wünsche sich eine „Wissenschaft, die begeistert und verbindet.“ Getreu diesem Prinzip vermittelte Kienzle, oftmals sogar selbst im Ritterkostüm, in den letzten Jahren seine Forschungsergebnisse auch bei öffentlichen Veranstaltungen wie etwa Ausstellungseröffnungen mit Living-History-Elementen.
Sein Ziel sei, somit einen Gegenpol zu der starren historischen Wissensvermittlung über Film und Fernsehen oder gar pseudo-historischem Wissen darzustellen. Man müsse „selbstbewusst aufzeigen, wie spannend geschichtliches Wissen sein kann.“ Für die Öffentlichkeitsarbeit seines Forschungsprojekts wurde Kienzle mit dem Nachwuchspreis für Wissenschaftskommunikation und einem Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro ausgezeichnet. Die Arbeitsprozesse und Forschungsergebnisse des Greifenstein-Projekts sind auf der Website des Projekts nachzuvollziehen.
Beitragsbild: Universität Tübingen/Patrick Gerstorfer