Wissenschaft

Grundlegende globale Gesundheitsversorgung – grundsätzlich möglich oder Größenwahn?

Wer krank ist, kann für eine einfache medizinische Behandlung in Deutschland die nächstgelegene Arztpraxis aufsuchen, ohne sich vor den Kosten fürchten zu müssen. Doch diesen Luxus genießen nicht alle Menschen auf der Welt. Deshalb hat die UN für ihre Agenda 2030 auch die Optimierung der globalen Gesundheitsversorgung in ihre 17 Sustainable Development Goals (SDGs) aufgenommen. Letzte Woche Montag ging es bei der Vortragsreihe des Studium Generale mit SDG 3 um die Frage, wo wir bei der Erreichung dieses Zieles stehen und was noch alles dafür getan werden muss.

„Gesundheit und Wohlergehen“ – was man einander häufig wünscht, ist auch Titel und Inhalt von SDG 3. Im Detail haben sich die Länder der Welt darin Folgendes vorgenommen: „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.“ Worin dabei die Herausforderungen bestehen und was es dafür braucht, das erklärte Dr. Gisela Schneider in ihrem Vortrag Gesundheit für alle ein Menschenrecht oder Traumtänzerei. Schneider ist Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission e.V. (Difäm), einer gemeinnützigen christlich-medizinischen Hilfsorganisation aus Tübingen.

Eingangs betrachtete sie zunächst die politischen Aspekte von globaler Gesundheitsversorgung. Dafür zeigte sie auf, was sich die UN mit SDG 3 bis 2030 genau vorgenommen haben. Als erste Rednerin der Vortragsreihe ging sie dabei auch auf die einzelnen Unterziele ein. So etwa 3.1 die weltweite Müttersterblichkeit bei Geburten auf unter 0,07% senken; 3.3 Aids, Tuberkulose, Malaria und Tropenkrankheiten beseitigen; 3.4 die Frühsterblichkeit durch nicht übertragbare Krankheiten um ein Drittel senken […]; 3.5 Behandlung und Prävention von Substanzmissbrauch stärken; 3.7 den allgemeinen Zugang zu reproduktionsmedizinischer Versorgung gewährleisten.

Die WHO sieht Gesundheit als zentral für sämtliche anderen Nachhaltigkeitsziele und setzt SDG 3 daher in die Mitte dieser Grafik. Bild: World Health Organization

Im Detail konzentrierte sich die Rednerin allerdings auf den Inhalt von Ziel 3.8, der „allgemeine[n] Gesundheitsversorgung“, genauer gesagt den „Zugang zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten und zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen“; am Ende spielte außerdem noch mit 3.c die „Weiterbildung und Bindung von Gesundheitsfachkräften in den Entwicklungsländern“ eine Rolle, welche bis 2030 „deutlich [erhöht]“ werden soll. 

Die globale Gesundheitsversorgung

Zusammenfassen lässt sich das, so Schneider, in dem Prinzip der Universal Health Coverage (UHC), welches hauptsächlich den in SDG 3.8 beschriebenen Zugang zu medizinischer Versorgung beinhaltet. Die WHO spricht auf ihrer Website vom Zugang zu „essential health services, from health promotion to prevention, treatment, rehabilitation and palliative care.“

Die Missionsärztin betrachtet dieses Konzept standortübergreifend als universelles Ziel und führt dessen Relevanz zurück auf die Verfassung der WHO. Dort werde Gesundheit definiert als ein „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und der Besitz des „bestmöglichen Gesundheitszustandes“ als „eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens“. Um dieses Grundrecht auch allen Menschen zu gewähren, brauche es UHC. Das verdeutlicht sie, indem sie auf eine andere Passage der Verfassung verweist. Dort heiße es, dass die „Gesundheit aller Völker […] eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit“ sei und von der „Zusammenarbeit der […] Staaten“ abhänge. Daraus ergebe sich auch die Relevanz für die Agenda 2030.

Der weltweite errechnete UHC Service Coverage Index (SCI) von 2021. Ein Coverage-Index von 80% oder höher wird dabei als sehr hoch eingestuft. Bild: WHO global service coverage database, May 2023 (1)

Die WHO gibt immer wieder, laut Schneider alle zwei Jahre, einen Global Monitoring Report zum weltweiten Grad der UHC heraus. Der diesjährige Bericht mit Daten von 2021 zeigt: Die Abdeckung ist zwar im globalen Schnitt von 45% auf 68% gestiegen. Viele Teile der Welt sind allerdings nach wie vor von einer schlechten Gesundheitsversorgung betroffen (siehe Grafik). 

Die gesundheitlichen Probleme und wie UHC sie lösen kann

Diese schlechte Gesundheitsversorgung schlägt sich auch in Zahlen nieder, wie Schneider zeigt: So würden beispielsweise täglich 800 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt sterben und von den 63 Mio. Menschen mit Diabetes Typ II bekäme nur jeder zweite die notwendige Behandlung. Darüber hinaus würden jedes Jahr mehr als 1,3 Millionen Menschen an Tuberkulose sterben.

Was laut der Medizinerin einen „großen Unterschied“ machen könnte: Primary Health Care (PHC). Eine solche Primärversorgung müsse vor allem patientennah, also verfügbar, sein, und sowohl gesundheitsfördernd als auch präventiv (vorbeugend) als auch kurativ (behandelnd) wirken. Zudem müsse sie Menschen direkt in die Entscheidungsfindung mit einbinden und von bereits bestehenden, etwa kirchlichen, Gemeinschaften getragen werden. Ein derartiges Gesundheitssystem könne laut WHO 75% der Ziele von SDG 3 ermöglichen und 60 Mio. Menschenleben retten.

Auch eine verbesserte Gesundheitsfinanzierung trage zum Erreichen der SDGs bei. Aktuell hätten laut WHO 2 Mrd. Menschen Schwierigkeiten, ihre Gesundheitsversorgung zu finanzieren. Davon würde die Hälfte „katastrophale Gesundheitsausgaben“ erleben und 344 Mio. Menschen seien dadurch in extreme Armut abgerutscht. Eine Investition in PHC und die lokalen Gesundheitssysteme besonders betroffener Entwicklungsländer von 30 US-Dollar pro Kopf würde 64 Mio. Todesfälle verhindern und die Lebenserwartung vor Ort um sechs bis sieben Jahre erhöhen. Was es ganz allgemein brauche: Verfügbarkeit, Finanzierbarkeit und Qualität von ärztlicher Behandlung und Medikamenten.

Tuberkulose ist eine bakterielle Erkrankung, die mehrere Organe betreffen kann – als erstes meistens die Lunge. Sie verläuft unbehandelt tödlich. Bild: Center for Disease Control auf Unsplash

Gesundheitssysteme hier und dort

Als letzten für das Erreichen einer UHC wichtigen Aspekt nennt die Medizinerin das ausreichende Vorhandensein von medizinischen Fachkräften. Diese könne schließlich erst durch genügend medizinisches Personal ermöglicht werden. Dazu wirft sie einen Blick auf die Lage in Deutschland und einigen afrikanischen Ländern.

Während wir in Europa meist genügend Stellen haben, aber nicht genügend Fachkräfte, sei es in Afrika genau umgekehrt. So seien, Schneiders Zahlen zufolge, in Malawi Stand Juli letzten Jahres 3000 ausgebildete Pflegekräfte arbeitslos, obwohl jährlich 1000 zusätzliche ausgebildet werden. Zurückzuführen sei das auf eine zu geringe Absorptionskapazität des malawischen Gesundheitsministeriums. Vereinfacht gesagt, Malawi kann sich die vielen Pflegekräfte nicht leisten. Diese würden im Schnitt 7 Jahre auf eine Anstellung warten. Laut einer malawischen Regierungsorganisation würden daher jährlich ca. 2000 Pflegekräfte auswandern. Dadurch blieben 65 Prozent der Stellen in öffentlichen Krankenhäusern unbesetzt. Das Ergebnis: Über 80 Prozent der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu ausreichend ausgebildetem Gesundheitspersonal.

Währenddessen würden in Deutschland aktuell bereits etwa 200 000 Pflegefachkräfte fehlen, um eine angemessene Gesundheitsversorgung zu gewährleisten – bis 2035 könnte diese Zahl auf knapp 500 000 steigen. Laut Schneider können daher beide Kontinente voneinander profitieren. Die in beispielsweise Malawi ausgebildeten arbeitslosen Fachkräfte könnten in Deutschland eine Anstellung finden und damit den Mangel bei uns decken. Im Gegenzug sei es unsere Aufgabe als Industrieland, die bereits vorhandenen Gesundheitssysteme afrikanischer Länder in Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort zu stärken.

Bild: Boniol M, Kunjumen T, Nair TS, et al: The global health workforce stock and distribution in 2020 and 2030. A threat to equity and ‘universal’ health coverage? BMJ Global Health

Die globale Gemeinschaft müsse zudem Medikamente auch für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen erschwinglich machen und den Zugang zu diesen verbessern. Für die Migration nennt sie Programme für Integration und Weiterbildung der migrierenden Fachkräfte als unabdingbar. Durch eine zirkuläre Migration würden somit auch die Gesundheitssysteme in anderen Ländern profitieren, wenn deren Fachkräfte aus dem Ausland zurückkehren. Die Gefahr, dass wir durch das Abziehen von Fachpersonal aus anderen Ländern den dortigen Mangel verstärken, sieht die Missionsärztin daher nicht, solange man das Anwerben der Fachkräfte entsprechend reguliere.

Zuletzt weist die Medizinerin darauf hin, dass die Klimakrise auch eine Gesundheitskrise sei. Die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise würden unter anderem die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die Zunahme der Unterernährung bei Kindern, neue Pandemien sowie die Zunahme von Hitzetoten beinhalten.

Wer einen Vortrag verpasst hat oder dessen Inhalte wiederholen möchte, kann dies auf ILIAS tun, dort werden die Vortragsfolien hochgeladen. Der Pfad des Kurs-Ordners lautet wie folgt: Veranstaltungen (Magazin) > WS 23/24 > Außerfakultäre Veranstaltungen > Studium Generale > Vortragsreihe 17 SGDs. Das Passwort für den Kurs lautet StudGenSDG. Externe ohne ZDV-Uni-Account können per Mail an nachhaltig@uni-tuebingen.de Zugang zu dem ILIAS-Ordner beantragen.

Beitragsbild: Francisco Venâncio auf Unsplash

Ähnliche Beiträge

1 Kommentar

  1. […] der Ziele. Während viele der anderen Redner*innen vor ihm das Ziel ihres jeweiligen Vortrags sinnbildlich oder sogar graphisch in die Mitte der SDGs rückten, stellt der Friedensforscher das Ziel seines […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert