Politik

Vortrag bei der Menschenrechtswoche: Ein Aufruf zu mehr Intersektionalität

Wie stehen Feminismus und Indigenenrechte miteinander in Verbindung und was haben patriarchale Strukturen damit zu tun? Dieser Frage widmete sich die brasilianische Doktorandin Lieli Loures ausführlich in ihrem Vortrag am Freitag in der Neuen Aula. Vor etwa 15 Zuhörenden schilderte sie ausführlich, wozu es Intersektionalität braucht und wie Indigene in Südamerika davon profitieren können. Organisiert war der Vortrag von der Klima-Protestbewegung Ende Gelände.

Intersektionalität bedeutet, dass verschiedene Gruppen sich hinter einem gemeinsamen Ziel vereinen und gemeinsam für dieses kämpfen. Im Feminismus und anderen Aktivismus-Bewegungen gewinnt dieses Konzept zunehmend an Bedeutung: Frauen sind in sämtlichen marginalisierten Gruppen aufzufinden, weswegen es für diese sinnvoll ist, sich intersektional zusammenzuschließen. Darüber hinaus geht es oftmals um die gleichen oder ähnliche Machtstrukturen, die es zu bekämpfen gilt, auch wenn man von diesen ganz unterschiedlich betroffen sein kann.

Das machte auch Lieli Loures deutlich und bezog sich dabei hauptsächlich auf indigene Frauen, denn diese haben eine besondere Bürde zu tragen. So wie schwarze lesbische trans Frauen sehr viel häufiger Diskriminierung, Hass und Gewalt erfahren als weiße heterosexuelle cis Frauen, so weisen auch indigene Frauen mit ihrer Indigenität einen weiteren Faktor auf, der Diskriminierung ermöglicht. In diesem Fall aufgrund der noch bis heute über Generationen spürbaren Auswirkungen von Kolonialismus sowie aufgrund des heute stattfindenden Neokolonialismus.

Neokolonialismus, also „neuer Kolonialismus“, nennt sich das Prinzip, indigene Völker und Nationen ihrer Heimat zu berauben, um die Flächen wirtschaftlich auszunutzen. Meistens geschieht ein solcher Landraub mit tatkräftiger Unterstützung der jeweiligen Regierung. So auch in Brasilien, wo etwa 900.000 Indigene in rund 305 Völkern leben: Dort werden seit Jahren indigene Territorien für Bauprojekte besetzt, meistens Staudämme, die durch entsprechende Gesetze ermöglicht und legitimiert werden. Aktuell befindet sich beispielsweise noch das Belo-Monte-Wasserkraftwerk im Bau, welches voraussichtlich 40.000 indigene Menschen von ihrem Grund und Boden verdrängen wird.

Die Hintergründe und Grausamkeit von Landraub

Indigene Frauen sind davon besonders schwer betroffen, denn sie erfahren bei der Vertreibung von ihrem eigenen Land häufig sexuelle Gewalt: Loures, welche selbst indigene Wurzeln hat und im Rahmen ihrer Doktorarbeit auch zu Vergewaltigung forscht, weist daraufhin, dass wohl mehr als die Hälfte der indigenen Frauen in Alaska bereits sexuelle Gewalt erfahren haben – inklusive Dunkelziffer. Unter den älteren Generationen seien es sogar um die 80%. Das erkläre auch die Verbindung zwischen Landraub und Vergewaltigung: Beides sei eine Machtdemonstration durch das gnadenlose Ausnutzen einer Macht-Asymmetrie. In beiden Fällen gehe es um die Inanspruchnahme eines fremden Körpers, da von einem natürlichen Recht auf diesen ausgegangen werde. Damit findet auch eine Objektifizierung des weiblichen Körpers und eine Entmenschlichung der betroffenen Frauen statt, was Ausdruck genau dieser Machtdemonstration sei.

Zurückzuführen ist das der Forscherin zufolge auf die patriarchalen und kapitalistischen Strukturen des globalen Nordens und die fehlende Repräsentation indigener Personen in der medialen und politischen Öffentlichkeit.  Indigene Menschen seien seit der ersten europäischen Erklärung der Menschenrechte, die im Zuge der Französischen Revolution entstanden ist, bei Entscheidungsprozessen stets außen vor gelassen worden und daher auch nicht in der internationalen Politik vertreten. Dabei verweist sie auf die Tatsache, dass die größten der globalen politischen Entscheidungsträger weiße (und damit europäischstämmige) Männer sind, als Symptom dieser Problematik. Das Resultat davon: Indigene Menschen würden zugunsten kapitalistischer und politischer Interessen als verzichtbar und bei besagten Bauprojekten als hinnehmbarer Kollateralschaden angesehen.

Kolonialismus wirkt bis heute nach

Doch nicht nur durch den Neokolonialismus erfahren indigene Frauen häufig sexuelle Gewalt, sondern auch innerfamiliär als immer noch anhaltende Nachwirkung des früheren Kolonialismus: Die Gewalterfahrungen der älteren Generationen sowie die Übertragung der patriarchalen Strukturen der Kolonialisten auf die einheimische Bevölkerung hat diese stark geprägt. Dieses Trauma wurde von Generation zu Generation weitergegeben, auch durch intergenerationelle und innerfamiliäre Gewalt. Daher sieht Loures Kapitalismus, patriarchale Strukturen und Kolonialismus eng miteinander verknüpft, weswegen es einen intersektionalen Feminismus brauche.  

Die Doktorandin zeigte außerdem einen Ausschnitt einer NBC-Dokumentation, in der Caroline, eine indigene Frau aus Nordamerika, von ihren Gewalterfahrungen berichtet. Nachdem sie als Jugendliche aufgrund von sexuellem Missbrauch durch ein entfernteres Familienmitglied von zu Hause geflohen war, gründete sie eine Hilfsorganisation, um Frauen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, bei der Beweissicherung und Gerichtsverfahren finanziell und praktisch zu unterstützen.

Indigene Personen leben häufig außerhalb der bei uns üblichen Binarität. © Tatiana Zanon auf Unsplash
Patriarchat und Indigenität

Ein anderer, wichtiger Teilaspekt der Intersektionalität indigener Menschen sind Geschlechterrollen. Die Menschheit, so betont die Doktorandin, ist sehr viel bunter und vielfältiger als in der modernisierten Welt vermittelt wird. Dazu zählt sie insbesondere auch die geschlechtliche Vielfalt und betont, dass das binäre Geschlechtersystem Menschen nicht nur in ein enges Schema zwinge, das mit der menschlichen Realität nichts zu tun hat, sondern dass dieses auch zur aktiven Unterdrückung von Menschen diene. Diese Kategorien seien zur Aufspaltung von Menschen erschaffen worden, da sie, wie man an indigenen Völkern sieht, nicht von vornherein natürlicherweise gegeben seien. Stattdessen könne man bei Indigenen feststellen, dass diesen das von den Kolonialisten vertretene Geschlechterschema schon immer völlig fremd war und sie stattdessen männliche und weibliche Merkmale völlig fluide in sich vereinen und variieren, ohne sich einem strikten Schema unterzuordnen.

Zum Schluss gab es noch die Möglichkeit, Fragen an die Rednerin zu richten. Die am längsten diskutierte Frage war, was man denn von hier aus machen könne. Ihre Antwort: Geld helfe immer, da es die Unabhängigkeit indigener Menschen stärke. Die direkte politische Einflussnahme in Deutschland ist zwar nur sehr begrenzt möglich, da Indigene bei uns kaum Thema sind, allerdings gibt es zahlreiche NGOs, die sich für ihre Rechte einsetzen, auch auf politischer Ebene; diese gelte es zu unterstützen. Außerdem müssten wir unsere Standards überdenken und neue entwickeln – auch was unsere Haltung zu Land und Besitz angeht, denn nach indigender Vorstellung gehört Land niemandem. Von diesen friedlichen, naturbezogenen Einstellungen können wir Europäer*innen uns definitiv eine gehörige Scheibe abschneiden.

Beitragsbild: Manny Becerra auf Unsplash

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1 Kommentar

  1. […] stattgefunden hatte die Veranstaltung zu Indigenenrechten in Brasilien (wir berichteten). Für die Referentin Lieli Loures wurde ein Honorar von 300 Euro beantragt. StuRa-Mitglieder […]

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