Das Marvel Cinematic Universe umfasst mittlerweile 32 Filme und verschiedene Serien. Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist der neueste in Deutschland erschienene Teil und schließt die Reihe der Guardians damit ab. Eine Filmkritik über einen Marvel-Film zu schreiben ist normalerweise ebenso kurzweilig und einfach, wie die Filme selbst – eine dankbare Aufgabe, denn bekanntlich bringt es den größten Spaß mit sich, einen offensichtlich für abgestumpftes, lachwütiges, US-amerikanisches Publikum produzierten Blockbuster zu mokieren. Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist allerdings kein Marvel-Film, zumindest keiner, der sich in die Reihe der bekannten Action- und Superheldenerzählungen mit einfügen will.
Marvel mal anders
Jede*r kennt die Guardians of the Galaxy: den verpeilten Starlord Jason Quill, den einfach gestrickten Muskelprotz Drax, den schießfreudigen Waschbären Rocket, den liebenswürdigen baumähnlichen Groot, die emphatische Mantis und nach dem ersten Teil auch Quills Love-Interest Gamora und ihre Schwester Nebula, Ziehkinder des Kriegsfürsten Thanos. Kurz und bündig gesagt, beschützen die Guardians das Multiversum vor Bösem und retten gelegentlich die Welt(en).
Im dritten und letzten Teil der Filmreihe jedoch wird dem Kinopublikum kein weiteres uninspiriertes Endzeitszenario präsentiert, keine Rettung der Galaxie in letzter Sekunde. Dieser Film dreht sich um den Waschbären Rocket und um seine traumatische Vergangenheit.
Die Rahmenhandlung des Kinofilms, so spannend sie auch sein mag, muss nicht en Detail ausgeführt werden (auch um Spoiler zu vermeiden), doch so viel soll gesagt sein: Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist ein hochpolitischer und zeithistorischer Film, der Themen wie Tierleid, Krieg und menschliche Anmaßung aufgreift.
Laborexperimente, Hybris und die perfekte Gesellschaft
Die Zuschauenden werden in jenes Leben Rockets mitgenommen, bevor er zu den Guardians fand, bevor er überhaupt einen Namen hatte. Die ersten Jahre seines Lebens wurde der Waschbär 89P13 genannt. In diesen Jahren erhielt er auch seine jetzige Gestalt: durch Genmanipulation, Experimente und chirurgische Eingriffe. Der Film berichtet zwar ausführlich über Rockets Vergangenheit, sein Leben im Käfig, die Traumata, die er erlitt, dennoch kommt er auch ohne detaillierte Operations- oder Experimentierszenen aus. Diese werden weder gebraucht noch vermisst. Der Fokus liegt auf den Emotionen und der psychischen Belastung, die der Waschbär durch die ihm Zuteil werdende Behandlung entwickelt.
Die Thematik der menschlichen Anmaßung, Gott zu spielen und über schwächere Wesen zu gebieten, wird dem Publikum auf emotionale Art und Weise eröffnet. Es handelt sich nicht um eine Dokumentation über Tierleid, die sich nur eine bestimmte Sorte Mensch ansehen würde, sondern lockt als Action- und Fictionfilm die Massen ins Kino und präsentiert ihnen clever verpackte Wahrheiten. Ganz à la Victor Frankenstein präsentiert sich der „Schöpfer“ und Folterer Rockets, der sogenannte High Evolutionary. Sein Ziel ist es, eine Gesellschaft zu kreieren, die friedlich co-existiert und dazu noch (in seinen Augen) perfekt erschaffen ist. Den Weg hin zu dieser Perfektion der Schöpfung pflastern die Leichen und Tränen unzähliger Tiere, an denen der High Evolutionary experimentierte. Je länger der Film läuft, desto mehr erfahren wir über das Leben der Tiere hinter den Gitterstäben, über ihre Hoffnungen und Träume auf und über eine bessere Zukunft in der neuen Welt, die ihr Schöpfer ihnen schenken will (alles Illusion und Lüge natürlich). Es wird außerdem klar: egal, wie viele vermeintlich perfekte Kreationen der High Evolutionary in scheinbar fehlerfreien Welten aussetzt – das Ende ist doch stets dasselbe: Gewalt, Drogenmissbrauch, Hass und toxische alltägliche Muster. Seine letzte Kreation geht dann noch einen Schritt weiter: er züchtet eine Schar wunderschöner Kinder, die keine körperlichen Bedürfnisse wie Schlaf oder Hunger verspüren. Mit ihnen will er neu beginnen – der letzte Versuch, die perfekte Gesellschaft zu etablieren.
Das Raumschiff, in dem sich die Experimente des High Evolutionary befinden, explodiert ganz im Zeichen der Marvel-Filmtradition am Ende natürlich und die Guardians wollen die Menschen an Bord retten. Der Befehl lautet: „Nur höhere Lebewesen“, denn schließlich muss es schnell gehen. Als die Kinder in Sicherheit gebracht sind, trifft Rocket dann die einzig richtige Entscheidung, eine Entscheidung, in der das Topos des Films schließlich kulminiert: alles Leben ist gleichviel wert. Und somit öffnet Rocket auch die Käfige der verschiedenen Tiere und rettet sie in letzter Sekunde auf das angedockte Raumschiff der Guardians.
Frieden für alle
Marvel erzählt hier eine inklusive Geschichte der Toleranz, von einem Himmel, in dem Menschen und Tiere willkommen sind, von Recht und Unrecht. Am Ende steht Rocket seinem Schöpfer gegenüber, dem High Evolutionary. Natürlich liegt dieser bereits am Boden, denn ganz im bekannten Marvelstil, haben die Guardians ihn gemeinsam zusammengeschlagen und besiegt. Rocket soll ihn erschießen, doch der genmanipulierte Waschbär senkt seine Waffe und entscheidet sich dagegen und damit für Liebe und Frieden. Seine Verwandlung vom aggressiven traumatisierten Kämpfer hin zu einem Verfechter des Friedens ist abgeschlossen und somit auch die Filmreihe der Guardians.
Dieser letzte Film zeigt sich als eine Forderung nach Frieden. Abseits der schrecklichen Experimente an Menschen und Tieren, die im Vordergrund des Blockbusters stehen, zeigt er auch die sinnbefreite Grausamkeit des Krieges. Der High Evolutionary zerstört, ohne mit der Wimper zu zucken, die Gesellschaften, die ihn enttäuschten. Er sprengt ganze Planeten, auf denen Tiere, Väter, Mütter und Kinder ihre Leben leben. Er greift auch die Raumstation der Guardians an, den vermeintlich sicheren Hafen, den sie für sich und Verbündete geschaffen hatten, und hinterlässt Panik und Trümmer. Diese kurzen, doch prägnanten Szenen sind im Gedächtnis geblieben, sicher auch in Anbetracht der weltpolitischen Lage unserer Zeit, und das Überthema des Films ist nochmals deutlich geworden. Frieden für die Menschen, die unter den schrecklichen Auswirkungen des Krieges leiden und Frieden für die Tiere, die für sinnlose Experimente in Käfigen gehalten und missachtet werden. Auch wenn diese Forderung recht plump und naiv wirken mag, so ist sie doch mit Sicherheit der Gegenwart eher angemessen, als ein weiterer Actionfilm, der nur durch Spezialeffekte, schnelle Cuts und teure Musik in Erinnerung bleibt. Guardians of the Galaxy Vol. 3 fordert auf seine eigene Weise Frieden ein – und nicht nur für die fiktive Welt des Marveluniversums, sondern vor allem auch für unsere Welt. Und Frieden verdienen wir alle gleichermaßen, Mensch, Tier und Natur. Dona nobis pacem.
Beitragsbild: Marvel Entertainment, LLC