Politik

Von der Kunst des Miteinander-Redens

Prof. Dr. Bernhard Pörksen gehört zu den Professoren, deren Name man auch über die Grenzen der Stadt Tübingen hinaus kennt. Am Montagabend referierte er in den Sälen der Museumsgesellschaft vor knapp 300 Zuhörenden über die Kunst der Kommunikation und darüber, wie wir einander besser zuhören können.

„Lassen Sie mich mit der Geschichte von Misha Katsurin anfangen, mit dem ich vor kurzem gesprochen habe,“ beginnt Prof. Dr. Bernhard Pörksen den Vortrag aus der Reihe „Gesprächsforum im Museum“. Eine Reihe an Vorträgen bei der Personen des öffentlichen Lebens über gesellschaftlich relevanten Themen sprechen. Der Vortrag basiert auf einem Buch mit demselben Titel, das er vor zwei Jahren mit dem Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun herausgegeben hat. Er spricht nun über den ukrainischen Unternehmer Katsurin, der einen kleinen Gastronomiebetrieb im Herzen Kiews führte, als sein Leben, wie das von allen anderen Menschen in seinem Land, von dem plötzlichen Kriegsausbruch aus den Fugen geriet. Sein Vater lebte in Russland, und er wartete, bis dieser ihn anrufen würde, ihn bitten würde, zu ihm zu kommen, zu fragen, ob es der Familie gut geht. Nachdem das Telefon vier Tage still geblieben war, rief Katsurin selbst bei seinem Vater an. „Sorgst du dich denn gar nicht um mich, hast du keine Angst wegen des Kriegs?“ fragte er ihn. „Welcher Krieg?“ entgegnete sein Vater da. „Die Russen kümmern sich um euch, bringen euch warmes Essen, helfen euch, den Kampf gegen die Nazis in eurem Land zu gewinnen.“

„Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist alles nichts.“

Prof. Dr. Bernhard Pörksen

Wie zu erwarten artet das Gespräch in einen großen Streit aus. Infolge des Streits gründet Misha Katsurin ein Projekt, mit dem Ziel, Desinformationen in Russland aufzuklären. Die größte Hürde hierbei: Wie bringt man Menschen schonend bei, dass die Dinge, die ihnen erzählt werden, nicht stimmen? „Nur mit Kommunikation lassen sich Konflikte zivil lösen,“ sagt Pörksen, doch er stellt voran, dass es kein Rezept gebe, wie perfekte Kommunikation gelinge. Wenn man sich mit Kommunikation befasst, stelle man fest, dass wir alle in unserer eigenen Welt leben. „Nur beim Stolpern bemerken wir die Differenz,“ meint er, also, nur, wenn wir aneinandergeraten, merken wir, dass wir nicht alle gleich sind. Er möchte daher in seinem Vortrag vier Kommunikationsmythen entlarven, die sich in der Gesellschaft halten.

Kommunikationsmythen, die uns das Leben schwer machen

Den Ersten nennt Pörksen den Untergangsmythos. Hier handle es sich darum, dass wir Kommunikation für gereizter halten, als sie es wirklich ist. „Die Feuilletons sind voll davon,“ meint er. Tatsächlich gebe es drei Kommunikationswelten, die sich durch Gleichzeitigkeit auszeichnen. Zum einen die angesprochene Welt von Hass und Gewalt, reißerischen Worten und Spaltung, zum anderen aber auch die der Hypersensibilität, die sich durch Vorsichtigkeit und Trigger Warnings auszeichnet. Die Dritte sei die Welt der Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts, in der wirkliche Begegnungen stattfänden.

Darauf nennt er den Filterblasenmythos. Er widerspricht zwar nicht, dass es in den sozialen Medien Filterblasen gebe, doch er merkt an, dass diese nicht so klar abgegrenzt seien, wie Viele sich das vorstellen. „Wir können uns in diese Welt hineingooglen, aber vor anderen Weltsichten sind wir nicht immun,“ so Pörksen. Nicht in den sozialen Medien und erst recht nicht in der realen Welt. Filterblasen würden regelmäßig kollidieren, wir würden tatsächlich nicht zu wenig, sondern zu viel sehen. So entstehen ja erst Konflikte und hässliche Auseinandersetzungen in den sozialen Medien. Hier stellt sich die Frage, warum das wichtig ist. Pörksen erklärt, dass die Idee der Filterblase nahelege, dass man Menschen aus dieser „befreien“ müsse, indem man sie bombardiere mit Material, mit den Ansichten der anderen Seite.

Knapp 300 Menschen sind zu dem Vortrag erschienen, darunter auch die Teilnehmer*innen eines von Prof. Pörksen in diesem Semester betreuten Seminars. Bild: Max Maucher

Er erzählt von Online-Kanälen und Projekten von Twitter, die gegründet worden seien, um genau diese Trennung zu überwinden, erwähnt jedoch auch, dass diese Projekte gezeigt hätten, dass Menschen in so einer unnatürlichen Informationsumgebung noch gestresster reagieren und sich noch mehr in ihrer Filterblase verstecken. Er meint also, man solle mehr miteinander reden, anstatt mehr für einen selbst kontroversen Content zu konsumieren.

Zuletzt nennt Pörksen den Polarisierungsmythos. In Europa herrsche Angst davor, dass die Polarisierung hier so groß werde wie in den USA. Fakt sei jedoch, dass es in der Gesellschaft sehr wohl ein großes Maß an Übereinstimmung gebe, nur zwei kleine radikale Gruppen am linken und rechten Rand verleiteten uns zur Annahme, dies sei nicht so. Er meint auch, ein Problem sei, dass sich Debatten oft um Nonsens-Themen drehten, die Polarisierung unnötigerweise vorantrieben. „Tübingen bietet hier viel empirisches Material,“ sagt er und erntet damit einige Lacher. Er bleibt jedoch ernst und fährt fort, dass es zu viel Spektakelpolarisierung gebe und zu wenig Diskurs über tatsächliche Themen. Durch diese Polarisierung über unsinnige Themen entstehe ein „programmatisches Vakuum“, und der Bezug des Gesprächs zur Realität gehe verloren.

„Erst kommt die Beziehung, dann kommen die Inhalte.“

Prof. Dr. Bernhard Pörksen

Diese drei Mythen, so Pörksen, könnten erklären, wie und warum der zwischenmenschliche Austausch gestört sei. Er möchte nun seine vier „Prinzipien der Kunst des Miteinander-Redens“ erläutern, die dem Vortrag seinen Namen geben und die uns helfen können, besser, offener, ehrlicher, doch vor allem effektiver zu kommunizieren.

Wie kann man es besser machen?

Pörksen gibt hier den Anstoß mit dem Prinzip der offenen Wertschätzung. „Erst kommt die Beziehung, dann kommen die Inhalte,“ fasst er das Prinzip kurz zusammen. Damit meint er, dass man einen Menschen zuallererst als Mensch sehen sollte, bevor man ihn oder sie nach den Einstellungen oder Meinungen bewertet. Man sollte also zuerst fragen: Wer ist diese Person, in welcher Beziehung stehe ich zu ihr? Warum spreche überhaupt mit diesem Menschen? Vor allem, wenn es sich (wie bei Misha Katsurin) um ein Familienmitglied handelt, kann das helfen, die Beziehung zu der Person zu verankern und davor zu beschützen, durch inhaltliche Differenzen gesprengt zu werden. „Pauschalisierungen helfen niemandem,“ so Pörksen, „egal, ob es sich um die ‚hysterische Feministin‘, den ‚alten, weißen Mann‘, oder den ‚frustrierten Ostdeutschen‘ handelt. Wir müssen jeden zuerst als Menschen sehen.“

Sein zweites Prinzip lautet das Prinzip der doppelten Passung. Er erinnert an das Silvester-Video von nun Ex-Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht, das Anfang des Jahres für Stirnrunzeln sorgte. Im Grunde sagt Pörksen, dass eine Botschaft zwei Anforderungen erfüllen muss: Sie muss wesensgerecht und situationsgerecht sein. Lambrechts Video war laut Pörksen zwar wesensgerecht, denn die Botschaft war gut gemeint, freundlich vermittelt und positiv, leider aber ganz und gar nicht der Situation angemessen.

„Der Mensch hat zwei Ohren.“

Prof. Dr. Bernhard Pörksen

Noch viel wichtiger jedoch ist das Prinzip der nicht-egozentrischen Aufmerksamkeit. Pörksen sagt nachdrücklich, dass er dies nicht wertend meine: Es gehe im Kern lediglich darum, sich selbst beim Zuhören auszublenden. Er erzählt hierzu die Geschichte von Klaus Mertes, Leiter eines jesuitischen Gymnasiums in Berlin. Im Jahr 2010 kamen plötzlich drei Männer in sein Büro. Sie hatten sich entschlossen, ihre Vergangenheit von Missbrauch, Gewalt und Demütigung durch Priester nicht länger zu verschweigen und den Schulleiter damit zu konfrontieren. Anstatt jedoch in den Verteidigungsmodus zu wechseln, beschloss Mertes, einfach zuzuhören.

Die Vortragsreihe „Gesprächsforum im Museum“ findet vier- bis fünfmal im Jahr statt, der Eintritt ist immer frei. Bild: Max Maucher

Was ganz normal klingt, war revolutionär. In den nächsten Wochen stand sein Telefon keine Sekunde still. Nicht nur ehemalige Schüler*innen seines Gymnasiums, auch Menschen, die überhaupt nichts mit ihm zu tun hatten, kamen zu ihm und erzählten von ihren Erfahrungen. Er hatte es geschafft, das „Ich-Ohr“, wie Pörksen es nennt, zuzumachen, und nur noch mit dem nicht-egozentrischen Ohr zuzuhören. „Der Mensch hat zwei Ohren,“ sagt Pörksen. „Mit welchem wir hören, ist essenziell.“ Mit dem „Ich-Ohr“ hörten wir alltägliche Dinge, wir reflektieren sie mit Fragen wie: Finde ich das gut? Nutzt mir das? Kann ich es mir vielleicht sogar leisten, das einfach zu ignorieren? Mit dem nicht-egozentrischen Ohr jedoch hören wir ganz anders zu. Wir fragen uns dann: In welcher Welt ist das Gehörte plausibel, in welcher Realität ist es wahr? „Es gibt einen Domino-Effekt des Zuhörens,“ meint Pörksen dazu. „Wer wirklich zuhört, ändert das ganze System.“

„Der Dialog ist ein Tanz des Denkens.“

Prof. Dr. Bernhard Pörksen

Nur noch ein Prinzip fehlt, um Pörksens Kommunikationsmodell vollständig zu machen. Er nennt es das Prinzip der respektvollen Konfrontation. „Driften wir nun ab in ein Jahrhundert der Kommunikationskonflikte?“ fragt er zu Beginn. Vielleicht, doch die Lösung ist einfach wie genial: Respektvoller Umgang ist immer da der Anfang, wo Verständnis das Ende ist. „Der Dialog ist ein Tanz des Denkens: Man erspürt gemeinsam den nächsten Schritt,“ erklärt er. Trotzdem merkt er an, man solle natürlich nicht davor zurückschrecken, Unsinn und Hetze beim Namen zu nennen. Wenn jemand behaupte, die Erde sei flach oder Impfungen lösten Autismus aus, sei das natürlich keine Debatte wert. Bei allen anderen Themen gelte jedoch: „Die Wahrheit beginnt zu zweit. Der Andere könnte Recht haben, das muss man sich bewusst sein.“

Wie prüft man also seine eigene Dialogbereitschaft? Das Zuhören hat laut Pörksen drei Stufen. Ersten das Verstehen: Was hat der Andere gesagt? Darauf folgt das Verständnis: Ergibt das für mich Sinn? Wie verarbeite ich diese Botschaft mithilfe des nicht-egozentrischen Ohrs? Zuletzt erfolgt das Einverständnis: Okay, ich verstehe dich. Du könntest Recht haben.

„Okay. Ich glaube dir.“

Vater von Misha Katsurin

Am Schluss spricht er nochmal über Misha Katsurin, der ukrainische Gastronom, dessen Vater ihm nicht glauben wollte, dass bei ihm Krieg herrscht. Er hat sein Ziel erreicht. „Okay, ich glaube dir,“ sagte sein Vater eines Tages zu ihm. Ein kleiner Satz mit einer gigantischen Wirkung. Putins Propaganda-Wall ist gefallen: Mithilfe gelungener Kommunikation. Pörksen erzählt noch von dem Gespräch über Kommunikation, das er mit Katsurin geführt hat, und von einem Satz, der ihm besonders im Gedächtnis geblieben ist. Sein Gesprächsparter hatte einige Zeit auf seinem Handy gescrollt, auf der Suche nach der Übersetzung eines Wortes, welches er nur auf Ukrainisch kannte. Schließlich fand er die Worte auf Englisch: „Nicht gleichgültig sein. Das ist irgendwie das Wichtigste.“

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