Zugegebenermaßen, das Literaturgenre der Poesie hat für Viele einen antiquarischen Anstrich. Wer in seiner Freizeit Verse von Hölderlin, Shakespeare oder Bachmann liest, wird oft als Teil einer angestaubten exklusiven Bildungselite angesehen. Dabei kann dieses Genre so viel mehr, finden nicht nur unsere sechs Poet*innen – und starten nun ein neues Projekt für die Kupferblau-Community. Mitmachen erwünscht!
Es war einer dieser langen Mittwochnachmittage am Semesterbeginn im April letzten Jahres. Müde Augen starrten auf die Bildschirme als das Zoom-Meeting begann. Der Titel: „Werkstatt Lyrik – Vom Wasser“. Dagmar Leupold, Schriftstellerin und Privatdozentin am (damaligen) Studio Literatur und Theater Tübingen eröffnete die Sitzung und stimmte uns auf das Seminar ein. Doch etwas war anders als in bisherigen, üblichen Seminaren. Sie redete nicht mit der distanzierten Stimme einer Akademikerin, sondern mit der Empathie und Leidenschaft einer Person, die das Ufer der Poesie mit eigenen Beinen schon selbst durchschritten hat. Und das war spürbar – selbst über Zoom.
Club der lebendigen Dichter
Und so nahmen die Dinge ihren Lauf: über das Semester hinweg würden wir diverse Texte zum lyrischen Thema des Wassers lesen, diskutieren und – langsam aber sicher – selbst Laufen lernen auf dem nassen, fruchtbaren Boden der Poesie. Jede Woche entstanden neue Gedichte. Nach und nach wuchs unser Zusammenhalt als dichtende Gemeinschaft. Wir lernten uns kennen, nicht nur durch das wöchentliche Gespräch im Seminar, sondern vor allem durch unsere Texte selbst, unsere Schreibstile und: unsere lyrischen Perspektiven auf die Welt des Wassers.
So entstand der Club der lebendigen Dichter! Und das sind wir: Naomi, Konstantin, Marie-Christine, Magnus, Anna und Hagen!
Gemeinsamkeit in Unterschieden
Als das Seminar mit Dagmar Leupold dann im Sommer zu Ende war, blieben wir weiter in Kontakt, lasen und schrieben weiter Gedichte und trafen uns ab Oktober fast jede Woche zum Austausch über unsere Verse. Aus den Seminarteilnehmenden mit müden Augen wurde eine Freundesgruppe mit wachem, neugierigem Blick für die Poesie des Alltags. Dass Biochemikerinnen und Rhetoriker, Germanisten und Psychologinnen, Historiker und Computerlinguistinnen sich gegenseitig so gut ergänzen, war dabei keineswegs selbstverständlich, doch eine Sache hatten wir ja gemeinsam – die Liebe zum geschriebenen Vers. Unsere diversen Hintergründe entpuppten sich nicht als eine Hürde, sondern als Möglichkeit, den eigenen Horizont des Schreibens zu erweitern.
Wir finden, es ist Zeit, diese Erfahrungen mit den Leser*innen der Kupferblau zu teilen. Das, was wir durch die Poesie erleben konnten, hat unsere Sicht auf Alltag und Studium nachhaltig beeinflusst. Wir maßen uns nicht an, zu behaupten, dass Poesie eine privilegierte Stellung in der Literaturlandschaft zukommt. Wir wollen lediglich zeigen, dass der Zugang zu dieser Form von Literatur auch im aktuellen Hier und Jetzt, in der zeitgemäßen Mitte unseres Alltags liegen kann und eben nicht im staubigen Elfenbeinturm der Vergangenheit.
Neues Format auf Instagram
Darum möchten wir – in Zusammenarbeit mit dem Kulturressort – auf dem Instagram-Account der Kupferblau ein neues Format ins Leben rufen und euch von nun an jeden Montag ein Gedicht aus unserer bunten Kollektion, die über die letzten Wochen und Monate hinweg entstanden ist, vorstellen. Je nach Poet*in, Thema und Stilpräferenz gibt es dann entweder ein Foto, Audio oder eine kleine Videoaufnahme vom Gedicht und seiner Verfasser*in. Wie bei einer digitalen Lesung sozusagen.
Warum Poesie?
Mensch kann sich nun zurecht fragen, was Poesie in einer studentischen Zeitung zu suchen hat, wenn es in der Kupferblau doch eher um tagesaktuelle Themen und studentische Perspektiven geht. Wir finden, gerade deswegen verdient die Kupferblau eine poetische Nuance! Denn an allem, was uns tagtäglich durch den Kopf geht, im Karussell des Uni-Alltags kommt das Reflektieren oft zu kurz. Zur Relevanz der Poesie im 21. Jahrhundert soll der Schweizer Buchautor Peter Bieri einmal gesagt haben:
„Das Leben wird erst erträglich, wenn wir ihm eine poetische Form geben.“
Die Beschäftigung mit Gedichten ist mehr, als sich in wohlklingende Reime und Wortschmeichelei zu entfliehen. Es ist eine Möglichkeit, Momente festzuhalten, für die es normalerweise keine Worte gibt. Es ist eine Möglichkeit, unseren Alltag zum Stillstand zu bringen und dadurch eine neue Perspektive auf das Hier und Jetzt zu gewinnen. Dass das nicht immer angenehm ist und für manche schwerer scheint als für andere, liegt auf der Hand. Darum handelt es sich bei unserem Projekt auch eher um ein Experiment als um ein definitives Vorhaben. Doch wenn wir es durch unseren bescheidenen Beitrag schaffen, andere zum Lesen und Schreiben von Gedichten zu inspirieren, haben wir schon mehr erreicht, was wir je hätten erwarten können.
Ein Projekt zum Mitmachen
Wenn ihr in eurer Freizeit auch Gedichte schreibt und diese mit der Kupferblau-Community teilen möchtet, kontaktiert uns gern per Email unter kultur.online.redaktion@gmail.com oder direkt auf Instagram unter @kupferblau_redaktion (unter Angabe von: Name, Studiengang, Gedichttext kombiniert mit Audio/Video oder Foto). Erzählt uns auch gern, wie ihr zum Schreiben gekommen seid und was Gedichte für euch bedeuten. Wir sind gespannt auf eure Zusendungen! Mit etwas Glück erscheint euer Beitrag dann schon bald auf dem offiziellen Account der Kupferblau! Geben wir der Poesie eine Chance – gemeinsam!
Euer “Club der lebendigen Dichter” – Naomi Kretschmar, Konstantin Fahrner, Marie-Christine Teichmann, Magnus Pötschke, Anna Dick und Hagen Wagner
Beitragsfoto und Illustrationen: Hagen Wagner