Jeden Montag um 20:15 Uhr findet im Kino Arsenal eine Sneak Preview eines noch unveröffentlichten Films statt. Die Kupferblau war für euch dabei – ebenso ahnungslos wie alle anderen Besucher*innen.
Es ist Montagabend, 20 Uhr, die Bar vor dem Kinosaal füllt sich stetig: Tickets und Getränke werden gekauft, einige Gäste rauchen die letzte Zigarette vor der Tür. Im Kinosaal selbst ist schon einiges los, die Stimmung ausgelassen. Alle warten gespannt, quatschen mit den Sitznachbar*innen und widmen sich der großen Frage des Abends, welchen Film sie wohl in wenigen Augenblick alle zusammen sehen werden. Diese Frage ist letztendlich das Herzstück der Sneak Peaks: Es ist wird ein Überraschungs-Arthousefilm vor seinem offiziellen Kinostart gezeigt, im Originalton mit Untertiteln und das für nur fünf Euro.
Keine Panik auf der Titanic
Meine Sitznachbarin beruhigt mich direkt: Horrorfilme sind bei der Sneak unüblich. Die Veranstalter*innen wissen, dass das bei einigen Zuschauer*innen ein No-Go ist. Gut für mich, dass sie an diesem Abend recht behalten sollte.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, ob ich heute überhaupt in der Stimmung für ein knallhartes Drama bin oder lieber etwas leichtere Kost genießen würde, kommen zwei Mitarbeiter*innen in den Kinosaal und werfen ganz neue Fragen in den Raum. Vor jeder Vorstellung gibt es ein Quiz mit attraktiven Preisen wie Kinofreikarten und Filmpostern, der für einen freundschaftlich-heiteren Wettkampf sorgt. Ich blamiere mich beim Quiz vor lauter Übereifer, verstehe aber endlich, warum der Saal so pünktlich voll ist. Im Nachhinein bemerke ich, dass das kleine Quiz teamstärkend wirkt, die Stimmung ist so belebt, dass man sie fast mit einem Filmabend zuhause verwechseln könnte. Eigentlich nicht verwunderlich, denn alle sitzen im selben Boot und warten ahnungslos auf das, was kommt. Und trotz dieser Ahnungslosigkeit fühlt sich die Veranstaltung viel bewusster an als so oft. Es ist kein stumpfer Konsummoment der einen Kinosaal voller Zuschauer*innen im Ich-Fokus heimsucht.
Vorhang auf
Endlich gehen die Vorhänge auf, das Getuschel verstummt und die wenigen Werbespots vor dem Film sorgen noch mal für ein paar Witzeleien. Als dann das Logo des Filmstudios erscheint, das uns den Abend über unterhalten wird, hört man die ersten wissenden „Aaah“s, freudiges „JA!“s und ein enttäuschtes „och nee“ von den besser informierten Gästen, die nun bereits ahnen, welcher Film gezeigt wird. Ich sitze derweil irritiert in meinem Sitz: Ich weiß nicht, welche Filme in den nächsten Wochen und Monaten veröffentlicht werden sollen und muss meine Liebe zum Kino erst wieder aus dem Versteck heraussuchen, in dem ich sie seit Pandemiebeginn schweren Herzens gebunkert habe.
Schräger Film – zufriedenes Publikum
Der Film beginnt und alle Zweifel sind vergessen. Er heißt „AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe“. Ich habe kein Plakat, keinen Trailer gesehen, keine Kritik gelesen, weiß nichts über Handlung, Regie oder Kamera. Es ist schön, zur Abwechslung mal nicht von übereifrigen Freund*innen oder Hobbykritiker*innen im Internet gespoilert zu werden. Ich bin unvoreingenommen, kann nicht von Beginn an das Ende des Films erraten und nur von Szene zu Szene den Film begleiten. Nach einigen Minuten wechseln die Figuren von Englisch und Französisch zu Deutsch und ich kann mir sicher sein, dass der Abend vornehmlich ohne Untertitel verlaufen wird.
Die Qualität des Films rückt immer mehr in den Hintergrund, die Schauspieler*innen sind gut, an vielen Stellen ist der Film trocken oder unfreiwillig komisch, aber das ist alles nicht mehr wichtig. Die Zuschauer*innen haben zu Beginn eine Art Pakt geschlossen: Egal was kommt, Spaß muss sein, ernst nehmen muss man hier gar nichts – notfalls lacht man sich eben gemeinsam über steif wirkende Dramatik und schräge Momente kaputt. Die Ansprüche sind auf eine erfrischende neue Art gesenkt. Der Genuss liegt nicht in der Selbstbestätigung, dass man den richtigen Kritiker*innen bei der Filmwahl vertraut hat, sondern im gemeinsamen Warten darauf, wie sich die Geschichte entfaltet. Alle warten gespannt welche Ausschweifungen der Filmschaffenden einem als nächstes vorgesetzt werden.
Und plötzlich ist der Film zu Ende. Er hinterlässt einige Fragezeichen, aber die Gruppe verlässt entspannt das Kino, spricht noch ein wenig über den Film. Einige bleiben noch auf ein Getränk in der gemütlichen Kinobar. Viele füllen den Fragebogen aus, der im Vorraum ausliegt. Hier kann der Film bewertet werden und Wünsche für die Nächsten angebracht werden. Ich merke, dass ich wohlig erschöpft bin. Nicht zu wissen was kommt, ist eben auch ganz schön fordernd.
Link zur nächsten Sneak Preview
Bilder: 1: Kino Arsenal; 2: Cassandra Keskin