Kultur

„Wir lassen uns nicht unterkriegen“ – National Philharmonie Lemberg in der neuen Aula

Am Dienstagabend, 15.11.2022, sieht man im vorfreudigen Schritttempo einige elegant gekleidete Menschen sich ihren Weg gen neue Aula bahnen. Der Anlass: Die National Philharmonie Lemberg tritt im Festsaal auf. Auf dem Programm stehen Werke von Carl Maria von Weber, Johannes Brahms und Antonín Dvorák. Ein Rückblick auf einen Abend des musikalischen Hochgenusses, der mit einer starken Aussage endete.

Die Auswahl der auftretenden Künstler*innen an diesem Abend hat es in sich: Zum einen natürlich die National Philharmonie Lemberg. Das Orchester, das die gesamte Bühne des Festsaals einnimmt, ist eines der angesehensten Orchester der Ukraine. Seit seiner Gründung im Jahr 1902 tourt es regelmäßig durchs Ausland und wird dabei von namenhaften Solist*innen, Dirigent*innen und Komponist*innen wie Gustav Mahler, Béla Bartók oder Richard Strauss begleitet. Heute ist ihr Dirigent Gudni A. Emilsson. Seit 1994 ist er als Dirigent und Kulturmanager in Tübingen tätig. Zum anderen kommt das Publikum in den Genuss des Solisten Merki Komonko. Der Violinist erhielt bereits im zarten Alter von sechs seinen ersten Violinenunterricht, studierte unter den besten Professoren und ist seither erfolgreich als Konzertmeister, Ensemblemitglied und Solist.

Mit Fantasie und Vielfalt

Den Auftakt macht Carl Maria von Webers (1786-1826) Overtüre zur Oper „Oberon“. Mit der Dichotomie aus kraftvollen und träumerischen Klängen, dem forte und piano wird das Publikum in die fantastische Welt der Elfen und Ritter entführt. Voller Energie und mit vollem Körpereinsatz führt Emilsson das Orchester und ermöglicht es dem Publikum, sich voll und ganz von der Musik mitnehmen zu lassen.

Es folgt Johannes Brahms (1833-1897) Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 77. Der Solist Marko Komonko betritt die Bühne. Doch zunächst spielt nur das Orchester. Mit geschlossenen Augen wartet Komonko konzentriert seinen Einsatz ab. In einem Moment voller Aufregung und Dynamik im Orchester setzt dann sanft die Violine ein. Die Atmosphäre beruhigt sich und es folgen Minuten, die mal von zärtlich-sanften, mal von bestimmt-harten Bogenstrichen gefüllt werden. Voller Staunen verfolgt das Publikum das ausgewogene Wechselspiel zwischen Orchester und Solist. Es scheint, als habe das Orchester trotz seiner Fülle keine Chance gegen den einzelnen Solisten anzukommen. Die Fesselungskraft der Musik wird besonders an einer Stelle unterstrichen, an welcher allein Komonko spielt. Das Orchester ist ruhig. Nicht mal der Dirigent bewegt sich. Die beiden folgenden Sätzen missen nicht weniger an Virtuosität. So schaffen es die Künstler*innen sowohl den andächtigen Charakter des zweiten Satzes einzufangen als auch das Tänzerische, Fröhliche des bekannten dritten Satzes.

Das Publikum ist begeistert und wird nicht müde dem Solisten in Form von klatschen und jubeln seine Bewunderung kund zu tun. Dafür bedankt Komonko sich in Form eines extra Solos.

Ideen und Interpretationen

Nach der Pause erwartet das Publikum Antonin Dvoráks‘ (1841-1904) Sinfonie Nr. 8 in G-Dur op. 88. In vier Sätzen, welche vom Energetischen, dem Gegenspiel vom Bedrohlichen und Hoffnungsvollen, über das Befreiten bis hin zum Feierlichen die gesamte Bandbreite an Stimmungen abdecken, stellt das Orchester sein Können unter Beweis. Dvorák selbst sagte über diese Sinfonie „Mein Kopf ist voll von Ideen. Wenn man sie nur sofort niederschreiben könnte.“ Im Programm des Abend heißt es dazu ganz richtig: „Diesen Ideenreichtum hört man dieser Sinfonie zu jederzeit an.“ Und dem kann nur zugestimmt werden. Doch nicht nur ist die Mannigfaltigkeit der Ideen in den Noten festgehalten, es ist doch auch die Kunst des Orchesters diese Ideen (bzw. Noten) so zu spielen, dass das Publikum gespannt ihnen zuhört und mehr noch: immer mehr erfahren möchte. Eben das hat die National Philharmonie Lemberg unter der Leitung von Emilsson an diesem Abend in der neuen Aula geschafft.

Ende mit starkem Zeichen

Kein Wunder also, dass das Publikum hellauf begeistert ist und nicht aufhören möchte zu applaudieren. Auch dieses Mal lohnt sich diese Hartnäckigkeit. Mit den Worten „Wir haben noch ein Stück mitgebracht, das wir eigentlich nicht spielen dürfen.“ wendet sich Emilsson an das Publikum. Lemberg, bzw. Lwiw, liegt nahe der Grenze zu Polen, nur knappe 2 Autostunden von Przewodow entfernt – dem Ort, an dem gestern Nachmittag eine Rakete einschlug. „Wir lassen uns nicht unterkriegen!“ sagt Emilsson, ehe er sich zu seinem Orchester umdreht und mit einer Handbewegung den Auftakt zu Brahms Ungarischen Tanz Nr. 5 gibt. Ein Stück, das vor Lebensfreude, Spaß und Frohsinn geradezu strotzt und das uns zeigt, dass uns auch die Musik in Zeiten des Schmerzes und der Angst Halt geben und Zuflucht sein kann.

Der Abend schließt mit einer zweiten Zugabe, Myroslav Skoryk The High Pass: Melody, die für Gänsehaut und die ein oder andere Träne sorgt. Das Orchester entlässt seine Zuhörer*innen damit in einer ebenso träumerischen Stimmung, wie es sie empfangen hat und rundet damit den Abend gelungen ab.

Im Wintersemester 2022/23 sind noch einige weitere Konzerte geplant. Das volle Programm findet ihr hier. Studierende erhalten im Vorverkauf 50% Rabatt und Restkarten an der Abendkasse für 9€. Eine Investition, die sich lohnt!

Bilder: Bob-Stewart, Marie Linn Lohmann & Kulturreferat Tübingen

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