Beim künstlerischen Schreiben kann den Verfassenden eventuell die Inspiration entgleiten. Viele Schreibenden beschweren sich über eine Blockade, fehlende Motivation oder simple Unlust zu schreiben und nach der hundertsten Wiederholung von Mozarts epischster Sinfonie sind einem die Musen letztendlich auch gestorben. Ein Besuch im Museum verspricht allerdings ein Gegenmittel für die Inspirationslosigkeit.
Ekphrasische Lyrik, was ist das? Eine Ekphrase, griechisch Beschreibung, bezeichnet die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk, das durch ein rhetorisches oder künstlerisches Medium erschlossen wird. Hierbei kommt oft die Lyrik als nächstes Medium zum Einsatz. Bei ekphrasischer Lyrik wird versucht, die Essenz des betrachteten Kunstwerks in einem Gedicht wiederzugeben und es als Kunstwerk zu ergänzen, ihm so eine weitere Ebene der Betrachtung zu leihen.
Diese Methode kann sich als recht effektiv herausstellen, wenn man bedenkt, dass es Malereien von Kunstwerken, Vasen oder Skulpturen gibt – ein Kunstwerk denotiert ein Anderes – es kommentiert und ergänzt es so. Beide stehen somit in Verbindung und denotieren einander, sie können unerwartete Tiefe und eigentümliche Aspekte kreieren.
Ab ins Museum
Im Amsterdamer Van Gogh Museum befindet sich ungefähr die Hälfte der Werke des legendären Künstlers. Auf dem Bildschirm zu Hause auf dem Sofa ist sein Bild De Aardappeleters, Die Kartoffelesser, aus dem Jahr 1885 zwar schön, hat aber in einem dunklen Raum von warmem Licht angestrahlt eine völlig andere Wirkung: es inspiriert. Ich war vor Ort und habe mich von einigen von Van Goghs Gemälden zum Schreiben verleiten lassen.
Über Van Goghs Die Kartoffelesser:
Warped faces observe and tell tales
Worked hands reach with cutlery
Thick lips point at a humble plant
Yet are unmoving
They only give away everything
In the green glow of the oil lamp
From a single stroke of orange flame
In der Reflektion über das Gemalte wird Geschriebenes erschlossen. Man kann es zuerst eine Übung nennen und dann letztendlich zu einer eigenen Kunst machen; das ist ekphrasische Lyrik. Sich ganz dem Kunstwerk hingeben ist nicht leicht und bedarf einer gewissen Offenheit gegenüber neuen Methoden. Wenn figürliche Darstellungen in einem komplexen Raum noch überfordern, kann auch ein Porträt helfen, sich dieser Art der Lyrik zu nähern.
Ebenfalls im Amsterdamer Van Gogh Museum hängend, befinden sich einige von Van Goghs 1887 entstandenen Selbstporträts, die zunehmend abstrakter wurden. Obwohl die Ölfarbe seines Selbstporträt mit Grauem Filzhut vermutlich über die Zeit hinweg weniger intensiv oder gar ganz anders geworden ist wie einst beabsichtigt, ist die Malweise und farbfrohe Selbstdarstellung jedoch mit Faszination lyrisch einzufassen:
Über Van Goghs Selbstporträt mit Grauem Filzhut:
Looking past
From a field of blue, a sky, a wall
Sharp blades that point towards one, eyes and strokes alike
A mass of lines floating about without intent yet coordinated, given purpose, direction by a brush
Your coat merges with all beyond
A violent gaze made one stern and sorrowful
Forevermore afraid of an approaching darkness
The last rays of the sun collecting fading green and light yellow on your face
Wo ein einziges Subjekt, wo man Angesicht zu Angesicht, mit einem Kunstwerk steht, kann man die eigenen Gefühle mit ekphrasischer Lyrik fassen und sie in der Reflektion darüber einbringen. Was bewirkt das Kunstwerk in dir? Warum hat der Künstler sich hier in dieser Art und Weise inszeniert? Van Goghs Malweise hat eine eigentümliche Wirkung in diesem Gemälde und ist gänzlich anders als seine Kartoffelesser.
Für alle, die es satt haben Menschen zu betrachten und sich mit Ihnen zu beschäftigen, gibt es einen willkommenen Ausweg – zum Beispiel die Landschaftsmalerei.
Van Goghs Sonnenuntergang in Montjamour von 1888 ist eine erstaunliche Darstellung einer Landschaft, in der der Künstler dem Himmel, der Natur und allem Dargestellten eine Richtung durch die Pinselstriche gibt – sein populäres Gemälde Sternennacht stellt zum Beispiel eine extremere Verwendung dieser Technik dar.
Über Van Goghs Sonnenuntergang in Montmajour:
Plants, invisible lines encroach a distant meadow
Lead the eye astray and hide the bodies of water in the foliage and undergrowth
And the much closer ruin
Where a muddy palette splits the earth from the ethereal
And the sky is given shape
Where light is both put to and awoken from sleep
Das Fazit
Die ekphrasische Lyrik ist eine wunderbare Beschäftigung, um die alte Inspirationsmaschine wieder in Gang zu setzen und sich einer neuen Herausforderung zu stellen. Während der Betrachtung von Kunst im Museum hat es eine fast magische Wirkung auf den Schreibenden. Ich kann nur sagen: erfahre es selbst.
Genug von Figurenkonstellationen, Porträts und Landschaftsmalerei? Lass dich doch einfach von der aktuellen Ausstellung deines lokalen Museums überraschen, geh einfach hin. Die Inspiration vergibt nämlich Extrapunkte für Gedichte mit Überraschungsfaktor.
Fotos: Patrick Muczczek (fotografiert im Amsterdamer Van Hogh Museum)
Titelbild: Patrick Muczczek (fotografiert im Amsterdamer Van Gogh Museum, Schneebedecktes Feld mit Egge (nach Millet), 1890)