Kultur Theater

King Lear: Shakespeare-Premiere in Tübingen

Intrigen und Generationenkonflikte um einen dem Wahnsinn verfallenen König und seine drei Töchter: Mit einer überraschend modernen Inszenierung von Shakespeares Tragödie “King Lear” feierte das Brechtbau Theater vergangenen Samstag Premiere im Tübinger Sudhaus.

Am Samstagabend fand im Tübinger Sudhaus die Premiere der Shakespeare-Tragödie “Lear” des Brechtbau Theaters statt. Gleichzeitig  stellte das Stück auch die erste Produktion des Theaters in zwei Jahren Pandemie dar.  Bei dieser Inszenierung von Shakespeares „König Lear“ (in deutscher Übersetzung) handelt es sich um eine Gemeinschaftsproduktion der Provisional Players und des Theaters U34.  Provisional Players, gegründet 1987, sind eine Tübinger Studierendentheatergruppe der Neuphilologischen Fakultät. Das Ensemble Theater U34 hingegen wurde im Jahr 1999 gegründet und vereint ehemalige Mitglieder der Tübinger Studierendentheatergruppe. Regie führte Diane Schreitmüller, die schon viele Stücke mit den Provisional Players erfolgreich auf die Bühne gebracht hat.  Die zweite Aufführung fand am Sonntag, den 24.04.2022  um 20 Uhr im Sudhaus statt.

Aufnahmen aus den Proben: Regisseurin Diane Schreitmüller. © Daniel Michalos

Proben in den eigenen vier Wänden

Eine Besonderheit der Inszenierung bildete der pandemiebedingt veränderte Probenablauf. Statt gemeinsam, mussten die Darstellenden aus verschiedenen Lockdowns heraus von daheim aus proben. Erst gegen Ende konnte das Stück wirklich zusammengefügt werden.  So habe statt eines echten Kampfpartners schon erstmal das ein oder andere Plüschtier herhalten müssen, erzählt die Regisseurin. Diese Schwierigkeiten merkt man dem Endergebnis jedoch in keiner Weise an. Die Inszenierung ist lebendig, der Handlungsverlauf dynamisch und ergreifend.

Aufnahmen aus den Lockdown-Proben: Jan-Jakub Czerski als König Lear. © Daniel Michalos

Shakespeares “King Lear”

Die erste Fassung der Tragödie “King Lear” entstand um 1605 und wurde im folgenden Jahr am Hof Jakobs I. uraufgeführt. In diesem Stück verarbeitet Shakespeare die Sagen um einen der legendären Könige Britanniens – König Leir (auch Llyr oder Lir) – und seine Töchter. Von seinen Zeitgenossen wurde das Stück als außerordentlich düster empfunden und galt daher lange Zeit als unspielbar. Heute zählt es zu Shakespeares berühmtesten, aber immer noch grausamsten Stücken.

Brutal heruntergebrochen könnte die Handlung so beschrieben werden:

King divides kingdom, snubs daughter, goes mad, there’s a storm, and everyone dies.

https://www.shakespeare.org.uk/explore-shakespeare/shakespedia/shakespeares-plays/king-lear/

Tatsächlich hält das Stück jedoch weitaus abgründigere Tiefen parat:

Der alte und eitle König Lear möchte das Reich an seine Töchter übergeben und fordert von ihnen dafür eine Liebesbeteuerung. Während die beiden älteren Schwestern Goneril und Regan dieser Bitte bereitwillig nachkommen, verweigert die Jüngste Cordelia die Aufforderung. Aus Zorn darüber verbannt Lear sie und seinen Gefolgsmann Kent, der für sie ein gutes Wort einlegen will. Goneril und Regan, unter denen nun das Reich aufgeteilt wird, schmieden Pläne, um ihren Vater endgültig zu entmachten.

Gleichzeitig intrigiert Edmund, der uneheliche Sohn des Grafen von Gloucester, gegen seinen Bruder Edgar, um dessen Position einzunehmen. Edgar muss fliehen und verkleidet sich als Bettler. Während König Lear über die Zurückweisungen seiner Töchter langsam verrückt wird, erzählt Edmund Regan und ihrem brutalen Ehemann, sein Vater Gloucester hätte Lear geholfen und sympathisiere mit den Franzosen, deren Truppen gerade in Dover landen. Daraufhin stechen sie Gloucester zur Strafe die Augen aus. Im anschließenden Kampf stirbt Regans Ehemann.

Der wahnsinnige Lear und sein erstaunlich weiser Narr irren im Sturm auf der Heide herum. Edgar trifft in der Nähe auf seinen blinden Vater und hält ihn vom Sprung über die Klippe ab. Während Regan und Goneril sich um Edmunds Gunst streiten, wird die französische Armee von der britischen besiegt. Lear und Cordelia, nun wieder vereint, werden gefangen genommen. Edmund gibt den Befehl, sie zu töten. In einem Duell mit seinem Bruder Edgar wird Edmund tödlich verwundet. Goneril erkennt ihre Ausweglosigkeit und vergiftet ihre Schwester Regan und sich selbst. Trotz Edmunds Tod ist es zu spät, Cordelia zu retten. Über den Tod seiner geliebten Tochter verzweifelt König Lear endgültig und stirbt. Am Ende bleiben nur Edgar und Gonerils sanftmütiger Ehemann, der Herzog von Albany übrig, um eine neue Ordnung aufzubauen.

Kurz vor Aufführungsbeginn. © Helena Geibel

Moderne Premiere im Sudhaus

Ursprünglich war die Premiere auf den 08.04.2022 angesetzt, doch die ersten beiden Termine mussten wegen Krankheit abgesagt werden. Vor dem Beginn um 20 Uhr gab es eine lockere Stückeinführung von der Regisseurin Diane Schreitmüller, die an diesem Abend auch für die Rolle des Narren einsprang. Die Aufführung belief sich auf etwa zweieinhalb Stunden inklusive Pause, während welcher der Saal pandemiegerecht gelüftet wurde.

Die Inszenierung verknüpft eine Mischung aus verschiedenen Theaterstilen, darunter auch Elemente des Zimmertheaters und des Tanztheaters. Die Geschichte um den alten Lear und seine Töchter wurde aus dem 8. Jahrhundert vor Christus in die Gegenwart versetzt mit einem mittelalten Lear als Gründer eines erfolgreichen Familienunternehmens, Smartphones auf der Bühne, gemeinsamen Selfies der Kinder und der Tochter Regan als Influencerin.  Auch das Aussehen und die Kostüme der Besetzung reichte von normaler Alltagskleidung bis zu trendigen Hosenanzügen und rotem Lippenstift. Die Requisiten des Bühnenbilds wurden minimalistisch gehalten und bestanden vor allem aus weißen Holzstühlen, die, je nach Szene, von den Darstellenden neu arrangiert wurden. Um Erinnerungen der Figuren an ihre individuelle Verbindung zu Lear darzustellen, wurden Stimmen aus dem Off eingespielt. Einige Szenen wurden zudem mit ausgewählten Musikstücken verschiedenster Genres handlungsbegleitend ergänzt.

Dramatische Stimmung auf der Bühne.  © Theater U34

Nach den Unterbrechungen der Pandemie bildete diese kreative Inszenierung des “Lear” einen grandiosen Wiedereinstieg der Theaterkultur an der Universität Tübingen. So kann man auch schon auf die nächste Inszenierung des Brechtbau Theaters gespannt sein.

 

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit von Katharina Steffen und Helena Geibel.

 

Titelbild: Theater U34 & Provisional Players, © Daniel Michalos
Beitragsbild 1: © Daniel Michalos
Beitragsbild 2: © Daniel Michalos
Beitragsbild 3: Helena Geibel
Beitragsbild 4: Theater U34 © https://www.theater-u34.de/lear/images/DSC_2411.JPG

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