Draußen wird es langsam kalt, die Tage werden kürzer. Man wacht auf – es ist dunkel -, man geht seiner Arbeit nach und wenn man nach Hause kommt, ist es auch schon wieder dunkel. Der Winter fordert seinen Tribut, kalt, nass und in der klimaverwandelten Gegenwart häufig schneelos. Nur gut, dass Jesus sich ausgerechnet zu dieser trüben Zeit entschlossen hat, das Licht der Welt zu erblicken; wenn auch nicht das der Sonne, die uns so bitter fehlt in der kalten Jahreszeit.
So haben wir, die wir nicht einen magischen Zauberstern mit uns tragen, einen kollektiven Hoffnungsschimmer, der uns so herrlich durch den matten Winter bringt: Weihnachten. Oder besser gesagt, die verklärte Vorstellung davon. Endlich kommt die ganze Familie mal wieder zusammen. Die Kinder, die in der Hoffnung auf ein erfülltes Leben in die Städte ausgeströmt sind, um dort zu merken, dass sie zwar ihr Dorf, aber nicht sich selbst zurücklassen können, kehren in Scharen zurück zu ihren Elternhäusern, die sie, wie die Kirche, nur zu dieser Jahreszeit besuchen. Man hatte einfach zu viel Stress, die Arbeit, der Partner, oder auch die Kleinigkeit mit der Pandemie – sucht euch einen Grund aus. Schön, dass man an Weihnachten dem Stress entsagt und bei seinem Liebsten entspannen kann. Doch um sich mit Gänsebraten gefülltem Bauch auf die Coach fläzen zu dürfen und endlich in die zwischenjährliche Trance zu fallen, muss die letzte Hürde überwunden werden, man sich ein letztes Mal dem Stress hingeben: dem Geschenkekauf.
Weihnachtskitsch
Und so schleppen sich die Menschen jedes Jahr auf ein Neues in die Einkaufszentren, durch den Einzelhandel oder durchstöbern das Netz nach dem perfekten Geschenk, was auch immer das sein soll. Vor ihrem geistigen Auge läuft der Heilige Abend genau ab wie in einem dieser vielen miserablen Weihnachtsfilme: Am Ende sitzt die Familie doch wieder beisammen, alle umarmen sich und sind glücklich. Ein Hund ist natürlich ebenfalls dabei, wahrscheinlich ein Golden Retriever.
Am Ende ist es dann doch der Onkel, der zu laut seine Meinung kundtut, die Tante, die vorwurfsvoll in die Kirche drängt und zu viele Menschen, zu schlechtes Wetter. Und dann denkt man, die richtig guten Weihnachtsfeste haben nur die anderen und man wird das Gefühl nicht los, nicht intensiv genug gewesen zu sein. Eine überzeichnete Geste der Liebe fand nicht statt, das Glück, das man nie so stark spürt, wie man es sich wünschte, hat man nicht genug gezeigt. Außer durch Geschenke, obwohl die zu besorgen keine Freude macht. Doch dieses Jahr wird alles anders, denken sich die Menschen dann und legitimieren so den Kauf.
Dann war da ja noch die Sache mit dem Virus und der Pandemie. Gemeinheit, dass sich der Virus gerade die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel aussucht, um „zurückzukommen“ und uns zu ärgern. Christlich ist das auf jeden Fall nicht und ökonomisch schon gar nicht. Der Einzelhandel ist auf das Weihnachtsgeschäft angewiesen: ein Viertel seines kompletten Jahresumsatzes verdiente der deutsche Einzelhandel 2019 allein im Weihnachtsgeschäft.
Die patriotische Aufgabe
Erinnert ihr euch noch an das Bild-Interview mit Peter Altmaier aus dem letzten Jahr? Über einem Bild, dass Peter Altmaier mit einem mit Geschenken überladenen Fahrrad zeigt, prangert die Überschrift: „Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe“. So wurde versucht, uns mit der Analogie zwischen Pandemie und Krieg, welche die Werbung #besonderehelden der Bundesregierung damals zog, zum Kaufen zu verleiten. Auch die nun ehemalige Bundeskanzlerin hatte in ihrer Fernsehansprache im März 2020 die Corona-Krise als größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg beschrieben. Ein Jahr nach dem ersten Corona-Weihnachten kommt mir die Kriegsanalogie umso seltsamer vor. Die Situation hat den Charakter eines Deja-vus, das Moment eines Krieges ist für die meisten jedoch verloren gegangen. Die Menschen sind nach zwei Jahren Pandemie müde, sie sind verärgert von der Politik, den ausstehenden Hilfsgeldern. Das Wort „Eigenverantwortung“ kann kaum noch jemand hören. Ich weiß nicht, wie es euch dabei geht, aber bei mir hält sich der Patriotismus in Grenzen.
Am Ende ist es egal, ob man es als patriotische Aufgabe anerkennt oder es als Zeichen der Anerkennung ansieht: Weihnachten bedeutet Konsum, weil es eben Weihnachten ist. Also auf, schnappt euch euren Mantel und dann raus in die Kälte und schnell noch die letzten Geschenke besorgen. Und zum Friseur wollte man ja auch noch. Und dekorieren. Und Weihnachtskarten verschicken. Und…
Frohe Weihnachten!
Fotos: Emilian Weber, pixabay