Das Filmdrama “Je Suis Karl” läuft ab dem 16. September im Kino. Es ist ein junger, explosiver und brandaktueller Film. Eine Geschichte über die Angst vor dem Fremden, und über das, wozu wir fähig sind, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren. Unsere Redakteurin hat für euch vorab einen exklusiven Einblick in die deutsche Produktion bekommen – und zieht eine überaus positive Bilanz.
Nach dem schier unendlich langem Pandemiefrühling und dem Sommer der nachgeholten Urlaube, haben einige die Kinokunst wohl schon abgeschrieben, oder zumindest dauerhaft auf die heimischen Smallscreens verbannt. Sind die Zeiten von Leinwänden und Popcorngeruch vorbei? Viele Kinosäle blieben im Sommer trotz großzügiger Lockerungen der Coronaregelungen leer. Und ganz ehrlich: wer kann es den Zuschauer*innen verübeln? Zwischen fragwürdigen Titeln wie „Kaiserschmarrndrama“ und schon wieder einem Marvel-Film, schien es auf den ersten Blick wenige Highlights in der deutschen Kinoszene zu geben.
Nun bricht jedoch der Herbst an – und verspricht eine Renaissance der guten filmischen Unterhaltung. Eine Produktion sticht diesen September besonders heraus. “Je Suis Karl” heißt der Film, der ab dieser Woche die Kinos erobern wird. Premiere feierte er bereits auf der diesjährigen Berlinale. Gleich vier Nominierungen erhielt er dort, und das zurecht – obwohl diese Produktion nun wahrlich kein Popcornfilm ist.
Das “neue Europa”
“Je Suis Karl” – der Titel spielt offensichtlich und bewusst auf „Je Suis Charlie“ an. Der Slogan entstand 2015 nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo. Mit den Erinnerungen an diese Katastrophe im Hinterkopf starten die Zuschauer*innen in eine der wohl fesselndsten, erschreckendsten Geschichten des Jahres.
Wir befinden uns im Berlin der Gegenwart, es könnte der Sommer 2021 sein. Bevor wir Karl, den Protagonisten, kennenlernen, treffen wir auf die junge Maxi. Ihr Leben scheint geordnet zu verlaufen, bis ein tragisches Ereignis ihr den Boden unter den Füßen wegreißt. Just als ihr Leben aus den Fugen gerät, trifft sie den charismatischen, einfühlsamen Karl. Er fängt sie auf, gibt ihr Halt und einen Zufluchtsort: Die Sommerakademie der Jugendbewegung “Re/Generation Europe”. Sie präsentieren sich als modern, stilvoll, gebildet, sie agieren europäisch. „Wer seid ihr genau?“ fragt Maxi, und die Antwort lautet: – „Wir sind das neue Europa.“ Viel zu spät realisiert das traumatisierte Mädchen, wen oder was der blitzgescheite, verführerische Leader Karl wirklich anführt.
Die Jugend am rechten Rand
Der Film thematisiert prägnant und realistisch den Vormarsch der Neuen Rechten, die auf den ersten Blick nicht immer als solche erkennbar ist. Denn gerade, wer in Stereotypen von Springerstiefeln und Glatzen denkt, schaut längst an der Realität vorbei. Jung, akademisch, europäisch – auch so kann die rechte Szene aussehen. Die „Festung Europa“ ist ihre Heimat.
Ohne anzuklagen oder zu belehren, hält uns “Je Suis Karl” einen Spiegel vor. Maxi erscheint als Abbild des Publikums und lässt uns hinterfragen, wie wir an ihrer Stelle handeln würden. Wie viel Haltung steckt tatsächlich hinter unseren Regenbogenfahnen, Black-Lives-Matter-Demos und Refugees Welcome-Stickern? Der Film zeigt, wie schnell Emotionen unser Handeln radikalisieren können. In den Worten des Regisseurs Christian Schwochow:
„Wie gefestigt sind wir wirklich, um uns gegen Angriffe durch starke politische Parolen, aber auch durch Menschen im nahen Umfeld zu schützen, die sich immer deutlicher aus der Deckung wagen und in ihren Haltungen radikalisieren? Wir wollten und mussten einen Film machen, der uns beim Beantworten dieser Fragen weh tut.“
Hochkarätige Besetzung
Neben Erfolgsregisseur Christian Schwochow wartet der Film mit zwei vielversprechenden Nachwuchsschauspieler*innen auf. Zum einen sehen wir Luna Wedler in der Rolle der Maxi. Einige werden sie aus dem Instagram-Projekt „@ichbinsophiescholl“ wiedererkennen, andere aus der Netflix-Serie „Biohackers“. Zum anderen in der Hauptrolle des Karl: Jannis Niewöhner. Dieser hat die Zeiten von Jugendfilmen wie „Rubinrot“ längst hinter sich gelassen und ist diesen Herbst gleich in zwei Hauptrollen zu sehen. Neben Karl verkörpert er auch Felix Krull in „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Ergänzt wird diese hochkarätige Besetzung durch Milan Peschel, der beispielsweise aus “Halt auf Freier Strecke” bekannt ist, sowie durch einige internationale Gesichter aus Frankreich und Tschechien.
Realistischer, als man zu glauben wagt
Nicht zuletzt aufgrund dieser Internationalität fühlt sich diese Produktion so real an. Drei Sprachen werden im Film und wohl auch am Set gesprochen: Deutsch, Englisch und Französisch. Den Zuschauer*innen wird diese Mischung zugetraut, weil sie auch den Protagonist*innen zugetraut wurde. Zudem umrahmt ein mitreißender Soundtrack die klug gefilmten Bilder. Songs auf Tschechisch und Französisch, die eigens für den Film geschrieben und in die Geschichte eingebettet wurden, verleihen der fiktiven, aber doch glaubwürdigen Geschichte eine besondere Tiefe. Es sind dreidimensionale Charaktere, die hier erschaffen wurden. Sie feiern, sie reisen, sie haben vermeintlich gefestigte Meinungen, sie verlieben sich und machen Fehler, kurzum: Sie sind ein präzises Abbild unserer Generation.
Je Suis Karl wirft Fragen auf, die die wenigsten sich zu beantworten wagen. Wer bist du, wenn deine Prinzipien auf den Kopf gestellt werden? Woran glaubst du noch, wenn in “Gottes Namen” getötet wird? Wo findest du Halt, wenn dein ganzes Leben in die Luft geht?
Es ist ein Film, der näher an der Realität liegt, als man glauben möchte und der uns zum Handeln drängt. Ein Film, bei dem diesen Herbst kein Kinosaal leer bleiben sollte.
“Je Suis Karl” von Regisseur Christian Schwochow, nach einem Drehbuch von Thomas Wendrich mit Luna Wedler und Jannis Niewöhner, läuft ab dem 16. September im Kino. Den offiziellen Trailer zum Film findet ihr hier.
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