So die Worte des neidischen Adario zu seinem liebeskranken Rivalen Alvar, die beide um die Gunst ihrer Angebeteten Zima buhlen. Zima und Adario sind in der Oper “Les Indes Galantes” amerikanische Ureinwohner und ein Liebespaar. Doch auch der französische Offizier Damon und der spanische Offizier Don Alvar haben sich in Zima verliebt. Im Kontext der Oper zeugt der Satz von der Erleichterung eines Verzweifelten angesichts der Befürchtung, seine Auserwählte könne sich in den verfeindeten kolonialen Landbesetzer verlieben. “Les Indes Galantes” wurde vom französischen Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau komponiert und wurde 1735 uraufgeführt. Die Oper ist eine Weltreise auf der Suche nach den Spielarten der Liebe, ins osmanische Reich, nach Persien, zu den Inkas und in die Wälder Nordamerikas. So bietet die Oper reichlich Spielraum, tief in die Orientalismus-Klischee-Kostümkiste zu greifen, wovor die konservative Pariser Oper nicht unbedingt zurückscheut.
In ihrer neuesten Inszenierung, die zurzeit auf arteCONCERT online als Stream abgerufen werden kann, wird die romantische Oper jedoch auf beeindruckende Weise ihrer Zeit enthoben. Der Versuch einer anti-rassistischen und zeitgemäßen Interpretation, die hochpolitisch ist. Toni Morrison schrieb im Vorwort zu ihrem Buch Im Dunkeln spielen:
„Meine Verletzlichkeit würde eher da liegen, wo Schwarzsein romantisiert, als wo es dämonisiert wird, eher da, wo Weißsein verunglimpft, als wo es konkretisiert wird.“
In diesem Sinne gelingt es in der neuen Inszenierung, die scheinbare Grenzenlosigkeit der Liebe und die Illusion des Pazifismus zu enttarnen. Gefährlich ist die Liebe zur Klischeeoper. An der Zeit wäre es, das Sublimieren von Privilegien in Wut aufzugeben.
Pazifismus statt Polizeigewalt
Die Göttin der Jugend Hébé besingt gerade die süßen Freuden der Liebe, als die Kriegsgöttin Bellone in einer Travestierrolle, gesungen von einem Bass, auftritt. Zum Klang eines Marsches betreten Polizisten in voller Montur, mit Lanzen und Schildern ausgestattet, die Bühne, um Bellone bei der Anwerbung neuer Rekruten die nötige Autorität zu verleihen. Die Gestaltung der Uniformen weckt unverkennbar Assoziationen mit den Kräften der RAID, des französischen SEK, die auch bei den Gelbwestenprotesten im Einsatz waren. Im Kontrast dazu die Musik Rameaus, der nicht den Schrecken bewaffneter Gewalt, sondern die ruhmversprechende Lust am Krieg vertont hat. Doch Amor greift ein. Als Konterpart zu Bellone in einer Hosenrolle, die von einer Sopranistin gesungen wird. In einem Duett proklamieren Hébé und Amor Pazifismus und Liebe. Als Gegenreaktion zur Kriegsgöttin entsenden sie die sogenannten Amouretten in die Welt, ausgestattet mit den Waffen der Liebe,
„…um die Herzen zu ersetzen, die euch Bellone raubte“.
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, über’s Mittelmeer
Der erste Aufzug spielt am Hofe Osmans, der sich in die versklavte Emilie verliebt. Diese sehnt sich jedoch treu nach ihrem Geliebten Valerian und befürchtet voller Verzweiflung, er könne auf dem Mittelmeer ertrunken sein. Auf wundersame Weise überlebt Valerian Sturmflut und Schiffbruch und erreicht den Hof Osmans. Dieser erweist sich als so selbstlos, dass er das Liebespaar gemeinsam ziehen lässt.
Bühnenbild, Kostüme und Inszenierung der Szenen lenken dabei fast schon von den Hauptprotagonisten ab. Die Unberechenbarkeit und Lebensgefahr, die das Mare Monstrum für das Einzelschicksal von Emilie und Valerian bedeutet, wird zum strukturellen Problem unserer Zeit. Ein hydraulischer Arm zieht die seelenlose Leiche eines hölzernen Kahns aus den Untiefen der Bühne. Die Ankommenden werden von Gestalten in weißen Schutzanzügen in Empfang genommen und in bedrückender Atmosphäre in goldene Wärmedecken gehüllt. Ebendiese Wärmedecken werden schließlich zum letzten Rettungsanker der Abreisenden um die beiden Liebenden, die das Schiffswrack in Gold kleiden. Die afrikanischen Sklaven, die in der Oper das Schiff mit Geschenken Osmans beladen, scheinen hier selbst Passagiere zu werden. Das Gold der Wärmedecken als Symbol der Hoffnung auf Heimat und Rettung, doch zugleich ein Spott auf die Tatsache, dass die in See stechenden nichts zu verlieren haben:
“Mit dieser kühnen Flotte ist nichts zu viel gewagt.”
Bei den Inkas in Peru
Huascar verliert als Hohepriester der Sonne seine Angebetete Prinzessin Phani an den spanischen Konquistadoren Don Carlos. Phani, ob aus Mitleid oder Scham, weil sie sich für den ‚Fremden‘ entschieden hat, warnt Huascar vor der Übermacht der Spanier im Kampf. Eine Prophezeiung, die sich erfüllt. Huascar trauert in seinem Klagelied: „Sonne, man hat deine herrlichen Weihestätten zerstört“. Die Bühne ist dunkel. In Zeitlupe bewegen sich die Tänzer und Tänzerinnen im Kreis, in Trauer um das verlorene materielle Erbe ihrer Religion. Für die gläubigen Inkas findet die Erzählung ein gutes Ende. Gemeinsame Rituale und beeindruckend choreographiert. Geteilte Erinnerung spendet Trost und stiftet neue Zuversicht, die im Chor der Sonnenanbeter ihren Höhepunkt findet.
Huascar wird von Schuldgefühlen heimgesucht, weil er der Zerstörung keinen Einhalt gebieten konnte. Er ist verletzt, weil sich Phani für den dafür Verantwortlichen entschieden hat und stirbt an den Konsequenzen seines eigenen Racheplans in den Feuersbrünsten eines Vulkans.
Ein Friedenstanz als musikalisches Finale
Anlässlich eines Friedensfestes zwischen amerikanischen Ureinwohnern und den Franzosen und Spaniern, sinnt Adario darüber nach, unter welchen Voraussetzungen das Begraben des Kriegsbeils stattfinden konnte. Wie zuvor Osman und Huascar, lebt Adario, der Befehlshaber der Krieger seines Stammes, in der Angst nicht nur das Land, sondern auch die Liebe an die Fremden zu verlieren:
„Rivalen meiner Heldentaten, Rivalen meiner Liebe. Ach, muss ich euch immerfort den Sieg überlassen?“
Zima hält zu ihm und enttäuscht somit die Vorstellung Alvars und Damons, dass in ihrem Stamm Promiskuität und Ungebundenheit gepflegt würden. Aber das Herzstück der neuen Inszenierung ist unbestreitbar die Choreographie des Friedenstanz forêts paisible, friedliche Wälder. Keine Kulisse, kein Licht. Nur die Tänzer, Tänzerinnen und Solisten sind schemenhaft beleuchtet. Die Szene wirkt wie ein abstraktes Gemälde, das zum Leben erwacht ist. Im Duett Zimas und Adarios heißt es: „Himmel, Himmel, der du hier alles geschaffen hast. Für die Unschuld und für den Frieden.“ Die überirdische Schönheit dieser paar Takte in manchen Ohren wirft die Frage auf, inwieweit Rameau wirklich an die Botschaft seiner Oper geglaubt hat. Wenn auch nur als naiver Pazifist.
Harmonie und Weltfrieden – enttarnt als Illusion
Clément Cogitore als Regisseur und Bintou Dembélé als Choreographin der Inszenierung wollen die Ambiguität im europäischen Blick auf das ‚Andere‘ kommunizieren. Aufzeigen, welche Relevanz Themen wie Othering, Rassismus und Orientalismus heute haben. Das Libretto und auch die Musik bleiben dabei unverändert und perpetuieren weiterhin stereotype Vorstellungen. Doch sogar Sätze, die im Wortlaut erhalten bleiben, verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung und werden zu universellen Denkanstößen für die Gegenwart.
In Zeiten der Covid-19 Pandemie, wo Grenzen geschlossen werden und schiffbrüchige Flüchtende auf dem Mittelmeer vergessen werden. Wo viele an erster Stelle auf sich selbst zu schauen scheinen, ist diese Online-Oper ein Appell. Ein Appell, seine Mitmenschen als gleichberechtigte Partner anzusehen. Als Menschen, die Sehnsüchte haben. Als begehrenswerte Individuen. Egal, ob sie von weit oder fern kommen.
Titelbild: Gizem Güler