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Feminismus im Wandel: Vortrag über Frauenrechte an der Uni Tübingen

Wie entwickelten sich die Geschlechterverhältnisse an der Uni Tübingen in den 1960er Jahren? Wann, wie und warum genau fand dieser Wandel statt? Die Antworten darauf bot die Historikerin Sonja Levsen im Rahmen der Studium-Generale-Reihe „Frauen an der Universität Tübingen“.

In den 1960er-Jahren entstanden parallel zur Bürgerrechtsbewegung in den USA auch in Westdeutschland und anderen Staaten linke, gesellschaftskritische Bewegungen, die 1968 ihren Höhepunkt fanden. Die unter dem Begriff der 68er-Bewegung zusammengefassten, oftmals von Universitäten ausgehenden Initiativen standen auch im Fokus von Sonja Levsens Vortrag.

Die zentrale Frage dabei: Gab es durch diese Bewegung auch an der Uni Tübingen einen Bruch der Geschlechterverhältnisse, der sich in Lebensweisen und in der Anzahl von Studentinnen und Professorinnen niederschlug? Die These von Levsen: Der Zäsurcharakter war begrenzt.” So habe es 1978 immer noch nur vier ordentliche Professorinnen an der Uni Tübingen gegeben.

Früher Feminismus in Tübingen

Trotzdem gab es für die rund 30 Hörer*innen vieles an feministischer Geschichte zu entdecken. Wer heute in feministische Diskurse involviert ist, konnte einiges finden, das auch heute noch allzu bekannt ist oder an das man anknüpfen kann. In einem sogenannten Kinderladen wurde in den 1970ern selbstverwaltete Kinderbetreuung organisiert. Dabei sollten auch die gängigen Vorstellungen aufgebrochen werden, wer für solche Betreuungsarbeit zuständig ist. Allerdings gab es schon damals die Beschwerde, dass sich ungefähr die Hälfte der Männer nach einer Weile aus dem Projekt verabschiedete.

Nach Jahrzehnten des Kampfes haben Frauen mittlerweile weitestgehend den gleichen Zugang zu Bildung wie Männer. Bild: Erik McIean auf Unpslash.

Die Historikerin stellte eine Quelle vor, in der Frauen der Studentenbewegung sich über das intellektuelle Gehabe und Sprücheklopfen ihrer männlichen Genossen beschweren, welche dann im Beziehungsleben „rücksichtslose Schweine” seien. Eine Kritik, die an den aktuellen Topos des „linken Mackers” erinnert, dem man häufiger auf Instagram begegnet. Doch auch positive Anknüpfungspunkte fanden Erwähnung. So etwa der Salon der Hundert, eine in den 1970ern bestehende Institution für Theatermenschen, Künstler*innen und ein wichtiger Ort queeren Lebens in Tübingen.

Ab 1978 gab es die Walpurgisnacht-Demonstrationen in Tübingen, bei der Frauen sich die Nacht zurückholten, indem sie gegen patriarchale Gewalt demonstrierten – eine Tradition, die danach immer wieder aufgegriffen wurde. So auch zuletzt wieder dieses Jahr durch die Take Back The Night-Demo am 30. April. Levsen betonte auch die Rolle, welche die WG als neue Wohnform spielte, um Lebensweisen zu verändern. Das Wohnen und Leben abseits der klassischen Kleinfamilie sei damals von vielen als unglaublich befreiend wahrgenommen worden.

Ein bruchartiger Wandel der Geschlechterverhältnisse insbesondere an der Uni sei aber zunächst ausgeblieben. Zwar wurde durch die 68er-Bewegung und ihre feministischen Anteile vieles sag- und denkbar gemacht, doch Lebensrealitäten änderten sich kaum. Eine Dynamisierung des Wandels an der Universität sei erst ab den 1990er-Jahren zu sehen gewesen.

Während Frauen zunächst gar nicht an Universitäten studieren durften, bilden sie dort heute eine knappe Mehrheit. Bild: uslikajme auf Unsplash.

Damals bildeten sich Netzwerke von Wissenschaftlerinnen und institutionalisierte Gleichstellungsarbeit nahm ihre Arbeit auf. So gab es auch feministische Ringvorlesungen sowie erste wissenschaftliche Arbeiten zu Hemmnissen für Frauen an der Uni. Eine deutlich steigende Anzahl an Professorinnen sei allerdings erst ab den 2000er-Jahren zu beobachten, so Levsen.

Geschlechternormen an der Uni

In aktuellen feministischen Diskursen seien hingegen Fragen der Konstruktion von Geschlecht viel mehr im Mittelpunkt. Dies zeige sich an Fragen wie: „Was ist Geschlecht eigentlich und wie werden Geschlechterkategorien gesellschaftlich hergestellt?” Dabei nannte Levsen auch das Beispiel der Zeitschrift „Wissenschaft und Zärtlichkeit”, in der diese Frage 1980 bereits verhandelt wurde.

Die Historikerin nahm bei diesem Thema auch die Uni als geschlechtsnormierende Institution in den Blick. In den 60ern erstellten Wissenschaftler Gutachten zu Fällen der Homosexualität, die damals unter Strafe stand. Bis vor kurzem war es für trans Menschen nötig, ein Gutachten einzuholen, um ihren eingetragenen Namen gerichtlich ändern zu lassen. An beiden Prozessen der Begutachtung und Normierung waren auch bereits Tübinger Professoren beteiligt und haben so einschränkende Geschlechternormen fälschlicherweise wissenschaftlich legitimiert.

Die Vortragsreihe Frauen an der Universität Tübingen wird am Mittwoch abgeschlossen mit dem Vortrag von Gero Bauer vom Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung der Uni über das „Unbehagen mit dem Geschlecht”.

 

Beitragsbild: Lindsey LaMont auf Unsplash.

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