Wissenschaft

Für mehr Hoffnung in der Krise: Einblicke einer Klimajournalistin

Für ihre Live-Reportage „Grad°jetzt – Gegen die Angst“ hat die Klimaaktivistin und Journalistin Louisa Schneider fünf Regionen der Welt besucht, die von der Klimakrise besonders betroffen sind. Im Tübinger Kino Museum hat sie Einblicke in die Kipppunkte der Erde gegeben.

Hitzewellen, Hochwasser, steigender Meeresspiegel. Die Folgen der Klimakrise dürften mittlerweile allen bekannt sein. Doch nicht alle Menschen der Welt bekommen diese gleichermaßen zu spüren und nur wenige haben eine konkrete Vorstellung davon, wie man das Voranschreiten dieser Krise aufhalten kann. Nicht verwunderlich also, dass bei vielen Leuten die Zuversicht auf ein Ende der Erderwärmung schwindet, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt.

Dem will Louisa Schneider entschlossen entgegentreten. 2021 habe sie während der Flutkatastrophe im Ahrtal, ihrer Heimatregion, begriffen, dass die Klimakrise uns alle betreffe, so erzählt sie zum Beginn ihres Vortrags im Tübinger Kino. Von da an habe sie sich zur Aufgabe gemacht, die Klimakrise sichtbar zu machen und darüber aufzuklären. Um das zu tun, hat sie sich Ende 2022 für Greenpeace mit dem Naturfotografen Markus Mauthe sowie zwei Filmemachern auf eine Recherche-Reise begeben. Sie besuchte dabei fünf Orte der Welt, an denen das Klima unwiderbringlich zu kippen droht.

Sie wollte „einmal ganz bewusst, ganz genau hinsehen“ und die Verantwortlichen für die jeweilige Lage vor Ort ausmachen, so Schneider. Zugleich habe sie aber auch Hoffnung gesucht. Mit ihrer Reise-Reportage wolle sie daher nicht nur die spürbaren Auswirkungen der Erderwärmung aufzeigen, sondern auch deutlich machen, dass man etwas dagegen tun könne.

Der Amazonas-Regenwald brennt

Die erste Station ihrer Reise führte die damals 23-Jährige in den brennenden brasilianischen Regenwald. Stunde um Stunde verliert dieser mehrere hundert Hektar an Fläche (ein Hektar entspricht etwas mehr als der Fläche eines durchschnittlichen Fußballfeldes). Weltweit werden jede Minute 18 Hektar an tropischen Wäldern gerodet, davon bildet der Urwald des Amazonasbeckens den Großteil. In einem mit ihrem Handy aufgezeichneten Hochkant-Video, das auf Instagram 2022 viral gegangen ist, hört man das Knacken fallender Bäume, der Rauch treibt der Journalistin Tränen in die Augen und erschwert ihr sichtlich das Atmen. 

Ein gesunder, intakter Regenwald beherbergt eine immense Artenvielfalt und hat Unmengen an Kohlenstoffdioxid gebunden. Bild: Alenka Skarvc auf Unsplash

Aber warum brennt der Regenwald überhaupt? Er brennt, weil Brandrodung die schnellste, einfachste und günstigste Art ist, Bewaldetes zu entwalden und damit frei zu machen für insbesondere drei Zwecke: Das massenweise Halten von Rindern durch Großkonzerne wie Cargill; den Anbau von Soja, das zu 76 Prozent in Tierfutter landet, in der EU sogar zu 87 Prozent; sowie den Anbau von Ölpalmen, aus deren Fruchtfleisch das Pflanzenfett gewonnen wird, das sich in zahlreichen verarbeiteten Lebensmitteln wiederfindet.

Umweltschutz durch Profis

Um zu zeigen, was sich dagegen machen lässt, zeigt Schneider Filmmaterial von ihrem Besuch bei den Yanomami, einer dem Amazonas-Regenwald indigenen Nation, in der Dorfgemeinschaft Watoriki. Diese und andere Indigene konnten trotz kolonialen Landraubs Teile ihres Lebensraums zurückerobern. Durch ihre bloße Existenz schützen sie eine grün bleibende Insel in einem um sie herum immer weiter verschwindenden Regenwald.

Der spirituelle und politische Sprecher dieser etwa 30.000 Menschen umfassenden ethnischen Gruppe, Davi Kopenawa, erklärt der Journalistin das Weltverständnis seines Volkes. Da sie in, mit und von der Natur leben, hätten sie keinen Grund, zwischen ihrer Gemeinschaft und ihrem Lebensraum zu unterscheiden und daher keinen Begriff, der auf unser Konzept von „Umwelt“ passt. 

Davi Kopenawa im Gemeinschaftshaus von Watoriki. Bild: Markus Mauthe / Greenpeace

Es seien indigene Nationen wie diese, die seit tausenden von Jahren bestehen, die die Natur am besten zu schützen und zu pflegen wissen. Sie machten nur 5 Prozent der Weltbevölkerung aus, schützten allerdings 80 Prozent der weltweiten Biodiversität. Daher sei es von enormer Bedeutung, so Schneider, diese indigenen Gemeinschaften nicht nur in ihrem Existenzrecht zu stärken, sondern sie auch in ihrem politischen Kampf für den Schutz ihrer Lebensräume zu unterstüzten. Ermöglicht werde dies auch durch NGOs, welche in Zusammenarbeit mit Indigenen immer wieder politisch Druck machen.

Kanadas Öl-Seen

Ihre nächste Reiseetappe brachte Schneider nach Kanada, welches in puncto Umwelt besonders für seine Ölsand-Industrie bekannt ist. Ölsand, oder auch Teersand, ist ein Gemenge, das sich als durch Mineralien (Sand) verunreinigtes und mal mehr mal weniger verwässertes Erdöl beschreiben lässt. Gewissermaßen Sand, der unterirdisch mit Erdöl in Berührung gekommen ist. 

Dieser ölhaltige Sand liegt nur wenige hundert Meter unter der Erdoberfläche und wird daher wie deutsche Braunkohle im Tagebau gefördert. Diese Ölsand-Gruben machten eine Fläche der Größe Englands aus, so Schneider. Die Förderung sei zwar einfach, doch müsse erst noch das Erdöl unter hohem Energie- und Wasseraufwand von dem Sand getrennt werden.

Ölsand-Verarbeitung in Alberta bei Fort McMurray, Auffangbecken für Reststoffe. Bild: Markus Mauthe / Greenpeace

Die kanadische Provinz Alberta hat mit Venezuela die weltweit größten Ölsand-Vorkommen. Das sorgt nicht nur für durch Tagebau-Gruben zerstörte Landschaften, sondern auch für riesige Freiluft-Endlager. Bei dem Trennungsverfahren von Sand und Öl entsteht jede Menge toxischer Abfall, der unmöglich in die Umwelt geleitet werden darf. In riesigen Absatzbecken würden daher insgesamt 1,4 Billionen Liter hochgiftiger Abwasser gelagert, erzählt die Journalistin; dennoch seien Anfang 2023 5,3 Millionen Liter davon in die Umgebung ausgetreten.

Verantwortlich dafür macht sie Ölgiganten wie ExxonMobile, die in großen mengen Ölsand fördern. Lediglich 100 Unternehmen seien auf diese Weise verantwortlich für 71 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. Sie verweist dabei auch auf die profitorientierte Beschaffenheit unseres Wirtschaftssystems und betont die Wichtigkeit einer Kreislaufwirtschaft.

Das Klima kennt keine Grenzen

Für den positiven Ausblick dieser Etappe erzählt Schneider von ihrer Begegnung mit einigen Feuerwehrleuten während der kanadischen Waldbrände im Juni 2023. Diese seien so stark gewesen, dass Kanada den nationalen Notstand ausgerufen hätte. 

Brasilianische Feuerwehrleute halfen 2023 in British Columbia, Brände zu bekämpfen. Bild: Markus Mauthe / Greenpeace

Auf diesen haben auch Feuerwehr-Brigaden aus Brasilien und Südafrika geantwortet. Auf die erstaunte Frage, was sie denn hier in Kanada mache, wo es bei ihr zuhause doch auch brenne, antwortet eine brasilianische Feuerwehrfrau: „Die Klimakrise kennt keine Grenzen. Also warum sollten wir es tun?“

Postkoloniales Klima

Senegal liegt an der Westküste Nordafrikas und hat mit entsprechenden Problemen zu kämpfen. Allen voran wäre da der ansteigende Meeresspiegel. Schneider besuchte die senegalesische Küstenstadt Saint Louis, welche langfristig im Meer zu versinken drohe. Darüber hinaus wird direkt vor der Küste durch ausländische Unternehmen nach Gas gebohrt und industrielle Fischerei betrieben. Beides sei nicht nur zerstörerisch, sondern gefährde auch die lokale Fischerei, betont Schneider.

20 Kilometer landeinwärts traf sie auf ein Geflüchtetenlager. In Industrienationen sei immer wieder die Rede von „Flüchtlingswellen“ oder „Flüchtlingsströmen“. Hier seien Menschen wie Naturkatastrophen, doch dort seien sie einfach nur Menschen. 

Flucht findet jedoch nicht nur nach, sondern auch aus Senegal statt. In einem Filmausschnitt wird gezeigt, wie Schneider sich mit einem jungen Fischer unterhält. Sein Bruder habe bereits drei Mal versucht zu fliehen. Nach den ersten beiden Malen sei er zurückgekommen, seit dem dritten Versuch habe er nichts mehr von ihm gehört. Trotzdem wolle er es selbst noch versuchen, auch wenn es lebensgefährlich sei. Er habe ja nichts zu verlieren.

Die Hintergründe dieser Existenznot wurden Schneider kurz darauf im Gespräch mit dem senegalesischen Menschenrechtsaktivisten Moussa Sarr gewahr. In Senegal sei die komplette Infrastruktur in den Händen ausländischer, meist französischer Firmen. Daran habe sich seit dem Kolonialismus nichts geändert. Selbst über Strom und Wasser hätten sie keine freie Verfügung, 70 Prozent der Senegalesen hätten erst gar keinen Zugang zu Strom.

Aktivist Moussa Sarr erklärt Louisa Schneider Klimawandelfolgen im Ort Baouth im Sine-Saloum Delta. Bild: Markus Mauthe / Greenpeace

Während die Industrienationen weiterhin Gas verbrennen, steigt in Küstenregionen wie Saint Louis der Meeresspiegel unaufhörlich an. Dass sie vor Ort die Verbrechen ausländischer Firmen ausbaden müssten, sei eine immense Ungerechtigkeit, betont Sarr. Wirkliche Klimagerechtigkeit bedeute daher auch Dekolonialisierung. 

Das große Schmelzen

Die nächste Station ihrer Reise führte die Journalisitn zu Menschen, deren küstennnaher Lebensraum sich durch die Erderwärmung ebenfalls stark zu verändern droht. Für die in Kanada und Grönland, jedoch nicht Alaska indigenen Inuit ist das Eis ihre absolute Lebensgrundlage. Diese schmilzt ihnen buchstäblich unter den Füßen weg.

Besonders schnell geschieht dies in Grönland. Durch das Auftauen der unter dem grönländischen Eisschild befindlichen Permafrostböden werden Unmengen an Methan freigesetzt. Dieses Treibhausgas ist in seiner Wirkung als solches etwa 25 mal so wirksam ist wie Kohlendioxid, wenn auch weniger lange in der Atmosphäre präsent. Das verstärkt einen in und über Grönland ohnehin schon stattfindenen Rückkopplungseffekt:

Die warme Luft schmilzt das Eis, welches daraufhin die Sonne weniger stark reflektiert und sich stärker erhitzt. Dadurch liegen größere Teile der Böden im Sommer häufiger und länger eisfrei, erwärmen sich, tauen auf und setzen Methan frei. Das verstärkt wiederum die Erderwärmung, wodurch das Eis immer schneller verschwindet und die eigentlich dauerhaft gefrorenen Böden immer schneller auftauen und immer mehr Metahn freisetzen. So steigt auch in Senegal das Meer stetig weiter an.

Die nördliche Westküste Afrikas ist besonders heftig vom ansteigenden Meeresspiegel betroffen. Prognosen zufolge werden bereits 2040 die hellblauen Bereiche unter Wasser sein. Mithilfe der interaktiven Karte unten lässt sich die Betroffenheit der restlichen Welt erkunden. Bild: coastal.climatecentral.org (Screenshot)

Der Grönländische Eisschild und der Permafrostboden des Nordpolarkreises sind ein Beispiel für die starke globale Verbundenheit der Klima-Kipppunkte, die alle irgendeinen Rückkopplungseffekt aufweisen. Dieser Effekt kann gestoppt werden, wenn man rechtzeitig agiert. Tut man das nicht, können diese Systeme kippen und selbst ohne weitere Erderwärmung in einem nicht mehr aufzuhaltenden Teufelskreis münden.

Schneider betont, von den 16 bekannten Kipppunkten seien vier bei 1,5°C Erderwärmung in aktuer Gefahr. Die 1,5°C haben wir bereits erreicht, aktuell steuern wir auf mindestens 2°C Erwärmung zu. Schmilzt der Grönländische Eisschild vollständig ab, würde der Meeresspiegel laut Schneider alleine dadurch um zehn Meter steigen.

Abgebildet ist wie oben der prognostizierte Meeresspiegel in 15 Jahren, hier im Südsenegal. Die natürlichen Landflächen mancher Küstenregionen befinden sich jetzt bereits unterhalb der Meeresoberfläche. Für solche Regionen sind Angaben des Meeresspiegels nicht aussagekräftig. Quelle: coastal.climatecentral.org

In Grönland selbst ist das Verschwinden des Eises jetzt bereits Realität. Im Gespräch mit den Leuten vor Ort habe sie von der hohen Arbeitslosigkeit erfahren, durch die ein Großteil der Menschen weiterhin auf die Jagd auf dem Eis angewiesen sei. Ohne ihre Lebensgrundlage, das Eis, sei das für sie heute kaum noch möglich. 

Die Veränderung des Klimas stelle den kompletten Lebensraum der Inuit auf den Kopf und wirke sich dadurch auch spürbar auf diese aus, berichtet die Journalistin. Viele seien alkoholkrank, würden gar Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweisen; Suizidfälle seien selbst in kleinen Gemeinschaften nichts Ungewöhnliches mehr.

Klimaschutz Down Under

Zum Abschluss ihrer Reportage-Reise hatte sich die Klimajournalistin nach Australien begeben, von wo sie gleich zwei Hoffnung spendende Geschichten mitnahm. Wie für einen Australien-Aufenthalt üblich stattete auch Schneider dem Great Barrier Reef einen Besuch statt. 

In ihrem Vortrag erklärt sie die positiven Effekte eines Korallenriffs für die marine Flora und Fauna und auch für den Menschen, da durch sie 70-90 Prozent der Strömung an der Küste absorbiert werde. Daher seien Korallenriffe ein natürlicher Schutz gegen Flutwellen. Doch die Korallen sind durch die Erderwärmung enorm gefährdet. Bei 1,5°C Erwärmung könnten noch 20 Prozent der Korallen überleben, bei 2°C quasi gar keine mehr, betont Schneider.

Wird es Korallen zu warm, schützen sie sich mit einer Alge, welche sich um die Koralle legt, diese aber auch
langfristig tötet. Dieser Prozess wird als Korallenbleiche bezeichnet. Bild: Naja Bertolt Jensen auf Unsplash

Jetzt schon sei Korallenbleiche ein großes Problem, vor dem auch das Great Barrier Reef nicht verschont bleibe. Das müsse allerdings keinesfalls so bleiben, wie sie durch Paul Myers gelernt habe. Dieser leite das Forever Reef Project, welches es sich zur Aufgabe gemacht habe, eine Art Arche für die Korallenarten des Great Barrier Reefs zu schaffen.

Wie eine weitere Filmsequenz zeigt, werden dafür in einer Lagerhalle Korallenproben des Riffs in Wasserbecken gelagert. Durch die Simulation des Wellengangs und wechselnde Lichtverhältnisse die realen Verhältnisse im Meer nachgeahmt. Ziel des Projekts sei, alle 415 Korallenarten des australischen Riffs in einer Art Biobank zu konservieren und so eine Rücklage zu schaffen, sollten größere Teile des Riffs zerstört werden und eine Renaturierung irgendwann wieder möglich sei.

Paul Myers vom ‚Forever Reef Project‘ zeigt Louisa Schneider eine Koralle aus der Sammlung im Aquarium in Cairns, Queensland. Bild: Markus Mauthe / Greenpeace

Von der australischen Küste geht es in die australische Wüste, wo der indische Konzern Adani nach Kohle gräbt. Um den Flächenfraß des Kohlekonzerns im Outback zu stoppen, haben es sich zwei junge Männer, Nathan und Coedie zum Auftrag gemacht, ein bestimmtes Gebiet vor der Vernichtung zu bewahren. Sie gehören den beiden aboriginal Völkern der Wangan und Jagalingou und sind Teil einer kleinen Wohngemeinschaft mitten im australischen Outback.

Diese mache sich das australische Rechtssystem zunutze, das nach Jahrhunderten der Vertreibung erst seit 2019 Indigenen das Recht eingesetehe, unbehelligt als solche existieren und ihre Kultur leben zu können, so die Journalistin. Dazu zähle bei den Wangan und Jagalingu ein rituelles Feuer, das mittlerweile seit mehreren Jahren am Stück brennt und für Adani eine Art unüberwindbare Barriere darstelle..

So sei es ihnen möglich, ein ihnen gehörendes Stück Land dauerhaft besetzt zu halten und vor der Zerstörung durch die Kohlebagger zu schützen und gleichzeititig ihre Traditionen zu praktizieren und aufrechtzuerhalten. 

Wer die Live-Rerportage Grad°jetzt – Gegen die Angst noch erleben möchte: akteull tourt Louisa Schneider noch in Deutschland.

Beitragsbild: Markus Mauthe / Greenpeace

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