Film Kultur

Ein Spiel mit dem Licht – ein Review zu „Perfect Days“

Im Dezember kam Wim Wenders’ neuer Film „Perfect Days“ in die Kinos – auch im Arsenal ist er zu sehen. Es ist ein Werk, das durch seine Anspruchslosigkeit beeindruckt und durch subtile, aber kraftvolle Bildtechnik das Publikum verzaubert. Nicht umsonst ist er zu Japans diesjährigem Oscar-Kandidaten gekürt worden.

Weniger ist mehr, so könnte man die ganze Botschaft des Filmes in ein paar Worten zusammenfassen. Hirayama, der Held des Films, ist ein Mann, der sich mit dem wenigen zufriedengibt, das er hat. Er ist rund 60, lebt in Tokio und reinigt tagtäglich die öffentlichen Toiletten im Bezirk Shibuya. Viel Inhalt hat sein Leben nicht: Morgens steht er auf, kauft an dem Automaten vor seiner Wohnung eine Dose Kaffee, dann klappert er die Reihe an Toilettenhäuschen ab, die auf seiner Liste stehen. Schließlich kehrt er zurück nachhause. In der Zeit, die er noch bis zum Abend hat, gönnt er sich eine kleine Mahlzeit in einem Lokal in der Passage einer U-Bahn-Haltestelle oder geht zu einer Bar, in der man ihn bereits kennt. Zurück zuhause liest er noch ein wenig und geht dann schlafen. Trotzdem merkt man ihm an, dass er durch und durch glücklich ist. So lautet grob die Handlung. Die ist allerdings nur Nebensache.

Siebzehn kleine Tempel

Perfect Days ist ein Film, den es fast nicht gegeben hätte. Wie bei jedem Film ist das, was wir auf der Leinwand sehen, nur ein Schlüsselloch der Realität. Um ihn zu verstehen, muss man jedoch die ganze Tür öffnen und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte kennen. Von vornherein ist es ungewöhnlich, dass ein deutscher Regisseur einen Film über einen japanischen Toilettenreiniger dreht. Eigentlich war Wim Wenders auch gerade mit etwas anderem beschäftigt, nämlich dem Schnitt seiner Dokumentation Anselm, als er plötzlich nach Tokio eingeladen wurde, erzählt er im Interview mit „MovieStart“.

In der japanischen Hauptstadt hatte man für ein Projekt 17 Stararchitekten damit beauftragt, jeweils ein Toilettenhäuschen zu entwerfen – eine erfrischend nüchterne Aufgabe für jemanden, der gewöhnlich Museen oder Ministerien errichtet. Mit wenig Zeit auf dem Plan, jedoch von Neugier getrieben, machte Wenders sich also auf den Weg in das Land der aufgehenden Sonne. Einen Film in Japan zu drehen, war überhaupt nicht sein Plan. Angekommen jedoch war er fasziniert, nicht nur von den Toiletten, sondern von der Atmosphäre in dem Land, das gerade aus dem Lockdown erwacht war.

Einige der Toiletten aus dem Projekt „The Tokyo Toilet“. Bilder: Mr. Asylum auf Wikimedia Commons

„Das war fast eine Meditation, da aufs Örtchen zu gehen“, erinnert sich Wenders. Die Vision von diesem Mann, dessen Leben maßgeblich aus dem Reinigen der Toiletten besteht, der jedoch nichts sonst im Leben braucht, um glücklich zu sein, kam ihm sofort, und er wusste: Es muss einen Film geben. Zeit dafür war jedoch kaum mehr als ein Monat. Für einen Film, zu dem es noch nicht einmal ein Drehbuch gibt, scheint das unmöglich. Mit einem kleinen, deutsch-japanischen Filmteam machte sich Wenders sogleich an die Arbeit. Für die Hauptrolle stellte man ihm fast ungefragt Kōji Yakusho an die Seite, ein in Japan beliebter Schauspieler, der für die Rolle in Perfect Days später die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat. Und das vollkommen zurecht.

Aus dieser Knappheit an jeglichen Ressourcen, allen voran der Zeit, entstand also ein Film, der diesen Mangel im Produktionsprozess zwar widerspiegelt, daraus jedoch eine Stärke werden lässt.

Eine Frage der Reduktion

Als Kameramann engagierte Wenders seinen Vertrauten Franz Lustig, der auch schon bei Anselm hinter der Kamera gestanden hatte. Beim Dreh, der komplett ohne Stativ von der Schulter von Lustig aus stattfand, wurde eine moderne Kamera verwendet, die, so Wenders, enorm empfindlich auf Licht reagierte, sodass jede Einstellung zu einer Frage von Lichtreduktion wurde, sogar die, die am späten Abend in Hirayamas Wohnung spielten.

Reduktion lautet das Stichwort, das eigentlich auch den Rest des Films charakterisiert. Denn es stellt sich viel weniger die Frage, was er zeigt, sondern viel mehr die, was er nicht zeigt. Tokio ist eine gewaltige Stadt voller Lichter, Lärm und Leute. Wenders verzichtet allerdings vollständig darauf, dies in all seinen Facetten darzustellen, sondern entscheidet sich für ein selektives Bild aus wenigen, aber dafür umso kräftigeren, vor allem visuellen Reizen: Die Morgensonne in Hirayamas Schlafzimmerfenster. Das Sonnenlicht, das durch die Blätter an den Bäumen im Park fällt. Die meditative Autofahrt auf der fast leeren Straße zwischen den Wolkenkratzern, die stumm wie Bäume aus dem Boden wachsen.

Bis zur letzten Einstellung des Films ist Licht das zentrale Motiv des Films, denn tontechnisch verzichtet er auf fast alles. Bis auf Hirayamas sorgfältig kuratierte Musikauswahl aus Kassetten, die er morgens im Auto hört, ist der Film überaus still. Dies beginnt als Selbstverständlichkeit, wird dem Publikum aber erst dann bewusst, als Hirayamas Mitarbeiter Takashi als Kontrastfigur auftritt, ein hektischer junger Mann mit krächzender Stimme und der Tendenz, schnell aus der Ruhe zu kommen.

Tokio wird mit seinen 14 Millionen Einwohner*innen im Film als ein sanfter Gigant dargestellt. Bild: Tuan P. auf Unsplash

Neben seinem Mitarbeiter steht Hirayama wie ein Monolith der Friedfertigkeit. Sobald Takashi vom Bildschirm verschwindet, wird klar, dass jenes Tokio, das wir auf der Leinwand sehen, vor allem auch das ist, das Hirayama sieht. Geradezu geräuschlos fügt er sich in seine Umgebung ein, in der er auftritt wie der Mönch in einem Zen-Garten. Die kleinen Demütigungen, die er tagtäglich erlebt, gehen spurlos an ihm vorbei, so zum Beispiel die Mutter, die die Hand ihres kleinen Sohnes desinfiziert, nachdem Hirayama diesen zu ihr zurückbringt, oder der junge Geschäftsmann, der das Achtung-Rutschgefahr-Schild beim Verlassen des Toilettenhäuschens versehentlich umtritt.

Hirayama ist gerade deshalb ein so starker Charakter, weil er nicht versucht, ein solcher zu sein. Seine Glaubwürdigkeit beruht voll und ganz auf seiner Anspruchslosigkeit: Vielleicht ist Perfect Days damit der erste Film, in dem der Statist die Hauptrolle spielt – und dies auf eine durchgängig meditative Art. Auf subtile Weise wird man hineingezogen in eine Welt dieses unzerstörbaren Gleichgewichts: Fast wünscht man sich, man hätte selbst das Privileg, die Toiletten im Stadtbezirk Shibuya zu reinigen.

Beitragsbild: The Match Factory

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