Während man sich an manchen Tagen so fühlt, als wäre man dem Lernen und Leben an der Universität eigentlich ganz gut gewachsen, scheint sich an anderen die eigene Unwissenheit wie eine Mauer aufzutürmen und unverrückbar zwischen der eigenen Existenz und dem Studienerfolg zu stehen. Die meisten Studierenden begegnen dieser Barriere des eigenen Nicht-Wissens, besser bekannt als ‘das Gefühl die dümmste Person im (universitären) Raum zu sein’ schon während der ersten Wochen ihres Studiums und meist wird das Phänomen zu einem hartnäckigen Begleiter. Warum ist das so?
Besonders unwissend fühlt man sich oft ausgerechnet im Austausch mit Kommiliton*innen. Sie scheinen manchmal einen gewaltigen Wissensvorsprung zu haben, zitieren alle relevanten Denker*innen, sind auf dem neuesten Stand der Forschung und verstehen selbst die schwierigsten Theorien mit Leichtigkeit.
Die eigene Barriere des Nicht-Wissens aber lässt sich anscheinend selbst nach vielen Stunden lernen, lesen und studieren niemals ganz überwinden. Warum ist Studieren so häufig von dem Gefühl begleitet, dass alle anderen viel mehr wissen? Und warum fühlt man sich mit diesem Gefühl immer wieder so allein?
Wissen – eine Frage der Spezialisierung
Das Publikum, das an der Universität zusammenkommt, ist eine Gruppe von Menschen deren (Wissens-)hintergründe sich in vielen Fällen deutlich unterscheiden. Gerade in Studiengängen, in denen Spezialisierungen frei gewählt werden können, gibt es bei vielen Themen keine einheitliche Basis mehr. Während sich Student*in A mit einer Thematik gerade zum ersten Mal auseinandersetzt, hat sich Student*in B mit dem Stoff vielleicht schon eingehend beschäftigt und kann so mit entsprechend vertieftem Wissen auftrumpfen.
In vielen Fällen ist die Barriere des Nicht-Wissens also einfach eine Frage der Spezialisierung. Je nach Schwerpunkt, ist sie bei verschiedenen Themen größer oder kleiner, und: Sie existiert in dieser Form bei allen Studierenden.
Aber, auch wenn eigentlich jede*r an der Universität über einen fragmentierten Wissensschatz verfügt, so begegnet man doch immer wieder Komiliton*innen, die den Anschein erwecken, als ob sie alles Relevante wüssten; oder man ertappt sich selbst dabei, dass man alles daran setzt, die eigenen Lücken nicht zugeben zu müssen.
Wissen ist Macht – Die Barriere und der Bluff
Eine Universität ist ein Ort des Wissens – und genau das wird in Vorlesungssälen und Seminarräumen immer wieder deutlich. Wer mehr weiß – und das zeigen kann – verspricht sich höheres Ansehen und einen besseren Ruf. Das kann zu einem Phänomen führen, mit dem sich der deutsche Sozialwissenschaftler Wolf Wagner schon in den 70er Jahren auseinandersetzt.
Wagner beschreibt in seiner Arbeit den sogenannten Uni-Bluff, den er an Hochschulen bemerkt. Unter den Begriff fasst er bestimmte Verhaltensweisen die Studierende und auch Lehrende an Universitäten an den Tag legen, um sich selbst zu profilieren und intelligenter und informierter zu wirken als sie eigentlich sind.
Dazu gehört es zum Beispiel, einfache Gedanken in komplizierten Sätzen zu äußern oder auf etablierte Denker und Theorien anzuspielen. Ziel ist es nicht, Wissen zu ‚erfinden‘, wo gar keines ist, sondern das eigene Wissen aufzupolieren und besser, aber auch einschüchternder darzustellen. Wagner formuliert die These, dass dieser Uni-Bluff (der als fester Teil eines akademischen „Habitus“ gesehen werden kann, um ganz im Sinne des Bluffens an dieser Stelle Bourdieus soziologische Theorie anzusprechen), ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen akademischen Karriere ist.
Unabhängig davon, ob man Wagners Theorie zu hundert Prozent übereinstimmt, liefert sie einen interessanten Hinweis für die Erforschung der Barriere des Nicht-Wissens und ihrer Macht.
Letztlich ist die Frage nach Wissen oder Nicht-Wissen nämlich oft eine Frage der Selbstdarstellung. Bewegt man sich in einem Umfeld wie dem Universitären, in dem Wissen nicht nur mit Macht, sondern gleichzeitig auch mit einer guten Reputation verbunden ist, spürt man schnell den Druck, seine Kenntnisse jederzeit beweisen zu müssen. Nicht nur im Vorlesungssaal, sondern auch bei Gesprächen auf dem Gang mit Komilliton*innen. Dabei kommen dann der am Rande erwähnte Philosoph oder die kurz angesprochene, wichtige Theorie genau richtig. Mit ihnen lässt sich zeigen: “ich bin hier richtig, ich darf hier sein”. Die eigene Unwissenheit gibt man in diesem Kontext nur ungern zu.
Wissen zeigen ist nicht falsch – Über Unwissenheit sprechen sollte man trotzdem
Ist es also falsch, stolz auf den eigenen Wissensschatz zu sein? Nein. Schließlich ist die Universität ein Ort des Wissens und des freien Austauschs – und das ist auch gut so. Trotzdem ist es wichtig, der Barriere des Nicht-Wissens Aufmerksamkeit zu schenken. Vor allem zu Beginn des Studiums kann sie frustrierend und nicht zuletzt ausgrenzend wirken – zum Beispiel, wenn Studierende aus einem nicht-akademischen Umfeld mit der universitären Art der Selbstdarstellung weniger vertraut sind als ihre Kommilliton*innen aus Akademikerhaushalten.
Wichtig ist deshalb, nicht nur über das eigene Wissen, sondern auch über das eigene Unwissen zu sprechen. Zumindest in Gesprächen mit Mitstudierenden. Denn: Offenheit bereichert und sie zeigt: Das Gefühl, die dümmste Person im Hörsaal zu sein, ist kein individuelles Problem einzelner, bedauernswerter Studierender, sondern vielmehr eine universelle Studienerfahrung.
Beitragsbild und Fotos: Paula Baumgartner