Vor einem halben Jahr stimmte der Senat knapp für die Beibehaltung des Namens der Universität. Nun stellt sich die Frage: Wie geht’s weiter? Dazu veranstaltete der StuRa am 12. Dezember eine Podiumsdiskussion zum erinnerungspolitischen Konzept der Universität. Die Anwesenden sprachen sich gegen eine erneute Abstimmung in naher Zukunft aus, und diskutierten darüber, ob eine Professur zu jüdischer Geschichte eine „Zierde“ sein könne.
Knapp war das Ergebnis der Abstimmung über die Namensänderung der Universität nach vorangegangener, intensiver Debatte. Die für diese Entscheidung benötigte Zweidrittelmehrheit im Senat konnte im Sommer nicht erreicht werden. Der Name bleibt also – aber wie geht’s jetzt weiter? Ein halbes Jahr nach der Abstimmung widmete sich eine Podiumsdiskussion, veranstaltet vom Studierendenrat (StuRa), dieser Frage. Was wurde bereits an Konzepten erarbeitet, und was sind mögliche nächste Schritte?
Als Gäste waren geladen Noemi Goldberg von der jüdischen Studierendenunion Württemberg (JSUW); Moritz Rothhaar vom Arbeitskreis ‚Politische Bildung‘ des StuRa; sowie Prof. Dr. Monique Scheer, Prorektorin der Universität für Internationales und Diversität. Die Moderation des Abends übernahm Hanna Veiler, Vizepräsidentin der jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD).
Auf Begrüßung und eine kurze Einführung in das Thema mit einem Rückblick auf die Debatte des Sommers durch Veiler folgte die Einstiegsfrage nach einer möglichen erneuten Abstimmung. Auf dem Podium herrschte große Einigkeit, dass es eine solche in naher Zukunft nicht geben werde, da dies weder der Debatte zuträglich sei, noch ein anderes Ergebnis bringen würde. Dazu müssten sich erst die Mehrheitsverhältnisse im Senat ändern, so Rothhaar, was schwierig sei, weil eine Mehrheitsfindung vor allem an den Professor*innen im Gremium gescheitert sei.
„Der Prozess vor der Abstimmung war ein Beispiel dafür, wie Debatten an der Uni ausgetragen werden sollten.“
Prof. Dr. Monique Scheer, Prorektorin
Scheer wollte das so nicht stehen lassen und merkte an, dass es offiziell keine Bestandsaufnahme gebe, wie welche Statusgruppe abgestimmt hat. Viele ihrer Kolleg*innen seien hin- und hergerissen gewesen und hätten nicht aus Prinzip gegen eine Namensänderung, sondern für ein erinnerungspolitisches Konzept gestimmt. Dies gelte es jetzt auszuarbeiten. Dabei könne man sich die Debattenkultur an der Universität im Vorfeld der Abstimmung zum Vorbild nehmen.
Aktuelle Debatte
Wie aber soll diese weiterführende Debatte nun aussehen? Goldberg von der JSUW betonte, dass die jüdischen Studierenden weiter Druck hinsichtlich einer Namensänderung machen wollen – insbesondere mit Blick auf zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft. Jüdische Studierende sollten sich an der Universität Tübingen willkommen fühlen können, ohne den Namen der Institution negativ im Hinterkopf haben zu müssen. Man sei hier offen für das Gespräch und für Konzepte, sei aber bisher kaum in die Strategieentwicklung der Universität eingebunden gewesen. Eine Schwierigkeit sei, dass die jüdischen Studierenden zahlenmäßig stark in der Minderheit seien.
„Wir sehen die Gegner der Namensänderung in der Verantwortung, jetzt mit konkreten Konzepten nachzulegen.“
Moritz Rothhaar, Mitglied der Verfassten Studierendenschaft
Rothhaar bekräftigte daraufhin, dass die Verantwortung hier nicht allein bei der Gruppe jüdischer Studierender liegen dürfe, sondern von der Universität ausgehen müsse. Besonders diejenigen, die in der Debatte das Argument anführten, die Beibehaltung des Namens diene der Erinnerungskultur, müssten jetzt mit konkreten Konzepten aufwarten.
Änderungen am Leitbild der Universität
Scheer als Vertreterin der Universität nahm dies als Gelegenheit wahr, die momentan ablaufenden Prozesse innerhalb des Rektorats zu erläutern. Generell sei allen das Gespräch mit den Studierenden zu diesem Thema wichtig. „Deswegen bin ich ja heute da“, sagte sie. Im Rektorat habe man seit der Abstimmung im Juli einiges zu tun; man habe aber mit konkreten Schritten bis zum Amtsantritt der neuen Rektorin warten wollen. Dementsprechend arbeite man erst seit Oktober verstärkt an diesem Thema.
Die nächsten Schritte beträfen dabei vermutlich das Leitbild der Universität, welches man neu diskutieren wolle. Dort könne man das Thema durch zeitgemäße Formulierungen prominent platzieren. Goldberg begrüßte dies: Das Leitbild solle schließlich die Werte der Institution abbilden und dazu gehöre auch die klare Haltung gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Wenn das schon im Namen nicht deutlich werde, dann zumindest im Leitbild.
Dozentur für jüdische Geschichte
Der zweite große Punkt auf der Agenda der Universität ist die Professur zu jüdischer Geschichte, welche der damalige Rektor Prof. Dr. Bernd Engler unmittelbar nach der Abstimmung im Sommer in Aussicht stellte. Diese Option werde nun ernsthaft diskutiert, so Scheer. In Deutschland gebe es nicht viele Lehrstühle dieser Art, weswegen ein solcher für die Universität von großer Bedeutung wäre. Spannend sei dabei vor allem die Frage nach der Ausgestaltung der Professur: Welchen Zeitraum möchte man erforschen? Die Zeit der Universitätsgründung oder doch eher die Zeit nach 1945? Zu beiden bestünde großer Forschungsbedarf.
„Ein Lehrstuhl für jüdische Geschichte wäre eine Zierde für die Universität.“
Monique Scheer
Keinesfalls wolle sie aber die jüdische Geschichte nur als Geschichte der Diskriminierung erforscht sehen, sondern auch als Geschichte von vielfältigem, jüdischem Leben. Gerade deshalb wäre dieser Lehrstuhl eine Zierde für die Universität. Zu all diesen Fragen stehe die Universität im Austausch mit Experten, müsse aber auch die organisatorischen und finanziellen Beschränkungen in diesem Prozess berücksichtigen.
„Die Professur ist wichtig, muss aber mehr sein als eine Zierde für die Universität.“
Moritz Rothhaar
Aus Sicht der Studierendenschaft ist die angestrebte Professur wichtig, sollte aber nicht bloß Prestigeobjekt sein. Die mit ihr erzielte Forschung dürfe nicht in der „akademischen Bubble“ verbleiben, so Rothhaar, sondern müsse auch gesellschaftlich Wirkung zeigen – gerade im Angesicht verstärkter antisemitischer Tendenzen. Scheer bestätigte daraufhin, dass Öffentlichkeitsarbeit ein wesentlicher Bestandteil dieser Professur sein müsse.
Rolle der Studierenden
Zum Ende der Diskussion kam die Runde noch auf die Rolle der Studierenden in dieser Debatte zu sprechen. Veiler fragte konkret nach den Ideen der Studierendenschaft, sowie nach dem Handlungsspielraum, den die Universität den Studierenden hier einräumen will. Wieder herrschte große Einigkeit hinsichtlich der Wichtigkeit des Gesprächs und des respektvollen Umgangs miteinander. „Wir haben das Bestreben, eine sehr diverse Gemeinschaft zu sein. Wir dulden keine Diskriminierung und arbeiten stetig an unseren Antidiskriminierungsverfahren“, betonte Scheer. Dies müsse noch stärker an die Studierenden herangetragen werden, zum Beispiel im Studium Generale.
Rothhaar merkte zudem an, dass die Studierendenschaft unterschiedlich stark politisiert sei. Während einige sehr interessiert und aktiv seien, legten viele den Fokus hauptsächlich auf ihr Studium, für welches die Frage nach dem Namen quasi egal sei. Daher sei auch die Frage wichtig, wie sich das Thema in die Ausbildung der Studierenden zu mündigen Bürger*innen integrieren lasse. Dies könne auch, aber nicht nur durch die Professur geschehen. Der Einwand erschien auch im Hinblick auf die überschaubare Zahl von unter zwanzig Besucher*innen der Veranstaltung durchaus berechtigt.
„Wir sind zuversichtlich, dass die Namensänderung früher oder später passieren wird.“
Noemi Goldberg von der Jüdischen Studierendenunion Württemberg
Abschließend äußerte Goldberg nochmals den Wunsch nach verstärkter Einbindung und Unterstützung der jüdischen Studierenden bei diesem Thema. Auch wenn die Änderung des Namens vorerst nicht weiter aktiv angestrebt werde, so zeigte sie sich doch optimistisch, dass dies früher oder später geschehen werde.
Fotos: StuRa, Jonas Graue