Kultur

7 Künstler*innen, 6 Minuten, 0 Requisiten

Vergangenen Mittwoch, am 20.04., fand der 183. Poetry Slam im Landestheater Tübingen statt – voller Spannung und Nervosität. Von der Kritik an der Tübinger Doppelmoral und den schönen Freuden des Alters, war alles zu finden. Die Kupferblau war Backstage dabei.

Es gibt Pizza und Kaltgetränke. Ich treffe die Poet*innen 20 Minuten vor Veranstaltungsbeginn im Restaurant des Landestheater Tübingen, von Aufregung ist hier wenig zu spüren. Obwohl sich die 6 Slamer*innen nicht kennen, ist die Atmosphäre entspannt, fast familiär. Verantwortlich ist dafür vor allem Eine: Asli Kücük, die mir direkt das Du anbietet. Das mache man hier grundsätzlich so.

Seit fast zwei Jahrzehnten organisiert die 46-jährige jeden Monat den Poetry Slam hier im Landestheater Tübingen. Das Format ist so unkompliziert und erfrischend wie sie selbst: 7 Künstler*innen, 6 Minuten Redezeit und keine Requisiten auf der Bühne. Beim Poetry Slam präsentieren unterschiedlichste Menschen ihre selbstgeschriebenen Texte vor Publikum. Inhaltlich darf es buchstäblich um alles gehen. Vorhand auf, Scheinwerfer an, nur du und dein Text. Keine Gitarre, kein Stofftier, kein Gesang.

Vorfreude im Saal, Nervosität hinter den Kulissen

20 Uhr. Das Publikum findet sich in den dunkelroten Sitzen ein. Die Luft ist warm, manche tuscheln noch. Dann tritt der Moderator auf die Bühne und es wird still. Vor allem junge Menschen sind anwesend, und trotz der Masken kann man die Erwartung an einen spannenden Slam sehen. Backstage steigt die Nervosität. Tübinger Student Levi Lay ist heute das erste Mal dabei, durch seine Zeit beim Theater habe er schon öfter vor Publikum gestanden. Aber ein Poetry Slam ist doch nochmal anders, so ganz allein und nur mit dem Text in der Hand. Man gibt etwas von sich preis.

Levi Lay

Von Tübinger Doppelmoral und Freude im Alter

Der Abend fesselt. Die Poet*innen könnten unterschiedlicher nicht sein, und so sind auch ihre Texte vielfältig. Innerhalb der zwei Stunden fühlt man als Zuschauer*in so ziemlich das gesamte Spektrum an Gefühlen: Da gibt es einen Text der richtig wehtut, über große Themen wie Liebe und Herzschmerz. Darauf bringt die nächste Slamerin das ganze Publikum zum Lachen, übt mit Augenzwinkern Kritik an Klimaschutzpolitik. Man fühlt sich schuldig und aufgerüttelt als über Bildschirmzeit und Aus-dem-Hamsterrad-ausbrechen gesprochen wird. Die 17-jährige Christina Lapinski hält den Tübinger Alternativen den Spiegel vor, sie spricht über die Doppelmoral des ach so grünen Städtchens am Neckar und hat dabei keine Angst, jemanden auf den Schlips zu treten. Highlight des Abends dürfte aber sie sein: Die 86-jährige Waldtraut Koneczny rührt den Saal fast zu Tränen, als sie davon spricht, nochmal so richtig das Leben zu genießen, ganz ohne Scham und gesellschaftliche Erwartungen an das Alt werden.

Christina Lapinski

Gerne wieder!

Dass dies kein verbissener Wettbewerb ist, bekommen spätestens zur Siegerehrung auch die Zuschauer*innen mit. Waldtraut, die es kaum fassen kann, bekommt als Preis ein Notizbuch und Stifte. Mit „Unicorns“, wird stolz betont. Gegen 22 Uhr liegen sich die Poet*innen, der Moderator und Asli Küzük vor einem begeistert klatschenden Publikum in den Armen und lächeln breit. Auch Asli ist rundum zufrieden. Nicht alle Slams seien immer gleich gut, aber heute wäre es wirklich toll gewesen. Nachdem sich die Tür hinter der letzten Zuschauerin schließt, machen sich auch die Künstler*innen auf den Heimweg. Das gute Gefühl, dass dieser Mittwochabend hinterlassen hat, wird wohl noch eine Weile bleiben. Auch für mich steht fest: Nächsten Monat gerne wieder!

Für Interessierte: Hier der Link der Webseite des LTT – für den nächsten Poetry Slam findet man hier die Karten: https://www.landestheater-tuebingen.de/Spielplan/Extras.html?id=148

Fotos: Inga Lenßen

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