Politik

Klimawandel, Wettermanipulation oder Gott? Eine Studie zur Ideologisierung der Hochwasserkatastrophe

Im Juni vergangenen Jahres kam es in großen Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu Überschwemmungen. Ausgelöst wurde das Hochwasser durch massive Regenfälle. Dabei verloren 181 Menschen ihr Leben und zahlreiche weitere ihr Zuhause. Im Internet entstanden schnell Debatten darüber, wie es zu dieser Umweltkatastrophe kommen konnte. Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne und sein Forschungsteam der Universität Tübingen haben eine dieser Debatten untersucht und festgestellt, dass diese weniger sachlich als ideologisch aufgeladen war.

Für die einen ist der Klimawandel schuld, für die anderen die Städteplanung, die Häuser zu nah am Wasser gebaut hat, und wieder andere behaupten, es sei politisches Versagen. Zudem gibt es Menschen, die glauben, militärische Technologie zur Wettermanipulation oder Gott hätten die Hochwasserkatastrophe im Juli des letzten Jahres herbeigeführt. Auch unter dem ZDF-Beitrag „Das Hochwasser und seine Folgen im Westen Deutschlands“ wird heftig über die Existenz des Klimawandels, über politisches Handeln und Verschwörungsmythen debattiert. Viele Menschen versuchen sich selbst und anderen zu erklären, wie es zu diesem Unglück kommen konnte.

Ist der Klimawandel Schuld?

Dieser Debatte widmeten sich auch Olaf Kühne, Lara Koegst, Marie-Luise Zimmer und Greta Schäffauer vom Forschungsbereich Geografie, Stadt- und Regionalentwicklung  der Universität Tübingen, in einer Studie, deren Ergebnisse sie anschließend in der Open-Access-Zeitschrift Sustainability veröffentlichten. Darin untersuchten sie 1000 der Kommentare unter dem oben genannten Video auf ihre Sachlichkeit, Feindseligkeit und Empathie. Neben vielen Beileidsbekundungen und solidarischen Beiträgen, lassen sich in der Kommentarspalte vor allem Debatten über den Klimawandel finden. Für die einen zeigt sich in der Katastrophe die Rache der Natur, die alles wieder ins Gleichgewicht bringen soll. Sie rufen dazu auf, den Klimawandel und seine Auswirkungen endlich ernst zu nehmen und zu handeln. „Da sieht man wieder, wie wichtig Klimaschutz ist. Wenn das Klima aus der Balance ist, gibt es wirklich krasse Wetterextreme, die unvorstellbare Wirkung haben“, schreibt der Nutzer*die Nutzerin F.Y. in einem Beitrag.

„Mit Blick auf künftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen, die im Zuge des Klimawandels und seiner Folgen unvermeidlich sind, stimmen diese Ergebnisse bedenklich.“

Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne

 Die anderen sehen sich durch die Ereignisse nicht veranlasst, ihren Lebensstil zu ändern, und weisen entweder die Tatsache eines menschengemachten Klimawandels zurück oder zumindest dessen Beitrag zur Überflutung. Der Nutzer XXBMWXX schreibt dazu: „Solche Naturkatastrophen sind schlimm und ich habe Mitleid mit wirklich jedem Opfer, aber sorry – ich bin nicht bereit wegen dieses einen Ereignisses meinen Konsum und Lebensstandard zurück zu fahren…“.

Kühne und sein Forschungsteam erkennen zwei utopische Weltanschauungen, die sich nicht in das Link-Rechts-Schema einordnen lassen. Einerseits gibt es die Menschen, die an eine harmonische Einheit von Mensch und Natur glauben, hervorgerufen durch Klimaneutralität, vegane Ernährung und eine regionale Wirtschaft. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die an der Vorstellung festhalten, der Mensch könne weitermachen wie bisher, ohne seinen Lebensstil zu überdenken. Die Anhänger*innen beider Utopien bedienen sich Kühne zufolge nur dann wissenschaftlicher Erkenntnisse und Argumente, wenn diese ihre Weltanschauung stützen.

Bei der Debatte um die Hochwasserkatastrophe geht es stärker darum, die eigene Identität oder die des Gegenübers auf der Einstellung dazu aufzubauen.

Erschreckendes Maß an Verschwörungserzählungen

Dazwischen finden sich immer wieder Kommentare, die sich eindeutig Verschwörungserzählungen bedienen. „Das ist Wetter, und das ist gemacht mit Chemie, die versprüht wird, und Haarp fixiert diese mega Regenzellen. Man, macht endlich eure Augen auf“, lautet nur einer dieser Beiträge. Das Narrativ von Eliten, die durch Wolkenimpfungen das Wetter manipulieren und so künstlich das Hochwasser herbeigeführt haben, lässt sich mehr als einmal finden. Auch HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program – dt. Forschungsprogramm zur hochfrequenten Sonnenaktivität) wird in einigen Kommentaren erwähnt, eigentlich ein Forschungsprojekt, das mit Hilfe elektromagnetischer Strahlung mehr Erkenntnisse über die Ionosphäre bringen soll, jedoch immer wieder zum Gegenstand von Verschwörungserzählungen wird. Die Anhänger*innen dieser glauben ebenfalls, dass durch die Strahlung das Wetter beeinflusst werden kann und zu Ereignissen wie der Hochwasserkatastrophe führt. Hinzu kommen auch die üblichen Verdächtigen wie Chemtrails (Kondensstreifen am Himmel, die angeblich Gifte und Chemikalien enthalten), Bill Gates und 5G. Je weiter man in die Debatte unter dem Video eintaucht, desto erschreckender ist die Masse an Beiträgen, die sich solcher Verschwörungen bedienen und diese verbreiten.

„Wir sehen hier einen irrationalen Schlagabtausch, in dem die Sach- und Verfahrenskonflikte, um die es eigentlich geht, in Identitäts- und Wertekonflikte umgedeutet werden, was wiederum eine Unversöhnlichkeit der Standpunkte zur Folge hat. Das ist exemplarisch für viele Internetdebatten, die die politischen Folgen von Klima- und Wetterentwicklungen zum Thema haben. Für die Zukunft gibt dies Anlass zur Besorgnis, denn produktive Konfliktregelungen sind unter solchen Bedingungen nahezu unmöglich.“

Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne

Wert- und Identitätskonflikt anstatt sachlicher Diskussion

Doch egal welche Weltanschauung die Verfasser*innen der Beiträge vertreten, sie sind nicht interessiert an einer sachlichen Debatte, wie Kühne und sein Team feststellen. Weniger als die Hälfte der Beiträge wurden in der Studie als vollkommen, überwiegend oder zumindest teilweise sachlich eingestuft. Es geht in der Diskussion vielmehr um einen Werte- und Identitätskonflikt, in dem sich unversöhnliche Standpunkte gegenüberstehen. Das Forschungsteam um Kühne zeigt sich daher besorgt, weil somit ein produktive Konfliktregelung beinahe unmöglich ist. Falls ihr mehr über die Erkenntnisse der Studie wissen wollt, findet ihr die Publikation hier.

Bilder: pixabay

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