In dieser Reihe stellt euch die Redaktion Politik und Wissenschaft der Kupferblau interessante, lehrreiche oder auch kontroverse Lektüre aus dem Bereich der Politik und (Populär-) Wissenschaft vor. Hier findet ihr Bücher zu relevanten Themen, die uns gerade auch als Studierende beschäftigen. Frei nach dem Motto “Must read” – das treibt die Welt aktuell um!
Unser allererster Buchtipp ist Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez. Am 10. Februar 2020 erschien im btb Verlag die deutsche Übersetzung des Sunday Times Bestsellers „Invisible Women“. Das Buch stand in Großbritannien 16 Wochen auf der Bestsellerliste, wurde mittlerweile in 13 Ländern verkauft und gewann zwei Preise. Unsichtbare Frauen ist ein Großprojekt voller akribisch recherchierter, entsetzlicher, aber nützlicher Studien und Statistiken; ein Spitzenkämpfer für Feminist*innen und Feminismus.
Die Autorin dokumentiert die fehlenden Daten über Frauen in Bereichen wie der Arbeitswelt, Forschung, Medizin, Stadtplanung, Politik und KI-Technologie. Weiter führt sie aus, was die Konsequenzen sind, wenn männliche Daten die Grundlage für viele allgemeine Entscheidungen sind, die die ganze Gesellschaft betreffen.
Männer ≠ Frauen
Es geht um einen „Gender Data Gap“, eine Datenlücke, die auf erschreckende Weise zeige, dass alles Männliche als Norm gilt und alles Weibliche als „Abweichung vom Mann“. Die Gender Gap beschrieb die Autorin als Resultat des Gender – dem sozialen Aspekt, der den jeweiligen biologischen Geschlechtern zugeschrieben wird. Cirado-Perez erzählt davon, dass Frauen aus Führungspositionen und Forschungsprozessen ausgeschlossen wurden. Dadurch konnten sie auch nicht in der Forschung repräsentiert werden. Dieses Problem liegt aber nicht nur in der Vergangenheit, sondern betrifft Frauen heutzutage rund um die Welt. Wenn keine weiblichen Studienteilnehmerinnen verwendet werden, können auch keine Daten über Frauen erhoben werden. Die Reaktion eines weiblichen Körpers auf ein Medikament oder die Risiken eines Sitzgurtes für einen Fötus können nun mal schlecht an Männern getestet werden. Den durchschnittlichen Mann als Maßstab für alle Menschen zu nehmen sei fatal. „Frauen sind die Hälfte der Weltbevölkerung – das ist kein Nischenthema.” sagt Cirado-Perez.
Ein Beispiel aus dem Buch:
Die Theorie, der Mann sei die Norm, erklärt, warum beim Testen von Auto-Airbags die Dummies Größe und Gewicht eines durchschnittlichen Mannes haben. Aber ein durchschnittlicher Mann repräsentiert eben nicht einen durchschnittlichen Menschen. Das „Frauen sind ja mitgemeint“ bedeutet jedoch Gefahren für genau diese Frauen. Der männliche Crashtest-Dummie optimiert die Sicherheit eines Mannes bei einem Autounfall – für einen weiblichen Körper sind aber die Gurte, der Abstand zum Airbag oder Höhe des Lenkrads nicht ausgelegt. Bei einem Autounfall seien Frauen demnach 47% mehr gefährdet, starke Verletzungen zu erleiden und sterben mit 17% höherer Wahrscheinlichkeit an dem Unfall. Das ist eines der genannten Beispiele und zeigt eins deutlich: Frauen sind keine Abweichung vom männlichen Geschlecht. Die Daten müssen alle Menschen inkludieren, um gleiche Sicherheitschancen zu bieten.
“Failing to collect data on women and their lives means that we continue to naturalise sex and gender discrimination – while at the same time somehow not seeing any of this discrimination. Or really, we don´t see it because we naturalise it.”
Caroline Criado-Perez
Alles eine Frage der Dokumentation!
In diesem Buch geht es aber nicht um Schuldzuweisungen oder Anklagen darüber, dass Frauen und nicht-männliche Mitmenschen in dieser Situation sind. Criado-Perez hat lediglich die vorhandenen Forschungsergebnisse gesammelt. Durch diese Dokumentation deckte die Autorin die Bereiche auf, in denen die Daten fehlen. Die im Buch präsentierte Dokumentation besteht aus einer Datenmenge von 1331 Quellen. Diese Menge der Daten repräsentiert ein Leben in einer Welt, die für ein ganz anderes Geschlecht ausgelegt ist. Es geht hierbei um ziemlich alle Themen im Leben: von Schutzausrüstungen, die nicht über Brüste passen bis zu Herzinfarkt-Früherkennung, die nicht für Frauen funktioniert.
Daten von allen?
Trotz des vielen Lobes kann man Kritik an diesem Buch üben. Die Autorin scheibt nur von „zwei biologischen Geschlechtern“ – Frau und Mann. Dass aber biologisches wie soziales Geschlecht ein Spektrum sind, ignoriert sie. Sie schreibt von den Idealtypen „Frau“ und „Mann“, als ob diese alle gleich wären und schließt nicht-binäre und trans Menschen vollkommen aus. Auch wurden Therapien und Medikamente häufig nicht an weißen Männern getestet, sondern an versklavten und gefangenen Menschen, Frauen und Männern. Weiter betont sie genau den Unterschied zwischen Frau und Mann, der sowieso viel zu prominent gehandelt wird. Darüber muss weiterhin noch viel diskutiert werden, dennoch kann man Criado-Perez in Ihrem Hauptanliegen zustimmen: Es kann nicht sein, dass eine Bevölkerungsgruppe auf Kosten einer anderen zur Norm wird.
Fazit
Manchmal fragt man(n) sich, warum Feminismus heutzutage immer noch nötig sei. Vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich. Auch wenn das korrekt ist, zeigt dieses Buch den klaffenden Unterschied in den Daten über Männer und Frauen. Dieses Buch zeigt, welche Folgen aus den fehlenden Daten resultieren können. Auch wenn man Kritik üben kann, setzt Criado-Perez ein wichtiges Statement. Ihre Datensammlung zeigt, dass es nicht reicht, nur den „typischen Mann“ zu untersuchen und anzunehmen, dass das für alle Menschen gelte.
Eine wichtige Lektüre und ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung.
Unsichtbare Frauen im btb Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Unsichtbare-Frauen/Caroline-Criado-Perez/btb/e561586.rhd
Beitragsbild: Sophie Vollmer