Hier ist nun der dritte Teil unserer Reise durch die Sprachen der Welt, in der wir uns damit beschäftigt haben, wie andere Sprachen mit Geschlecht umgehen. In diesem Teil wollen wir uns nochmal mit zwei Sprachen beschäftigen, in denen das Problem „geschlechtsneutrale Sprache“ nicht so groß ist.
In Teil 1 und Teil 2 dieser Reihe haben wir uns mit umfangreichen grammatischen Problemen und komplexen Konjugationen befasst. Doch nicht alle Sprachen sind so schwierig. Wie bereits erwähnt, besitzen viele Sprachen von vornherein kein grammatisches Geschlecht, die Frage des Genderns kommt also gar nicht auf. Doch auch hier ist es interessant, zu betrachten, welche Rolle Geschlecht spielt und wie die Sprache damit umgeht. Fangen wir also mit einer Sprache an, die vermutlich die wenigsten von uns beherrschen.
Koreanisch
Koreanisch ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Sprache. Nicht nur, dass sie ein eigenes Alphabet hat, dass es mit keiner anderen Sprache der Welt teilt. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Sprachen ist Koreanisch weder eine indoeuropäische noch eine semitische Sprache. Ganz im Gegenteil, die meisten Linguist*innen klassifizieren die koreanische Sprache als isolierte Sprache, also als mit keiner anderen Sprache verwandt, die noch lebendig und der Wissenschaft bekannt ist. Das ist etwas Besonderes, da keine einzige der „großen“ Sprachen der Welt eine isolierte Sprache ist. In Europa etwa ist die einzige vollständig isolierte Sprache Baskisch. Auch Albanisch ist im Spektrum der noch lebenden Sprachen Europas isoliert, ist aber ferner mit anderen Sprachen des Balkans verwandt.
Die koreanische Sprache verfügt über kein grammatisches Geschlecht. Es gibt keine weiblichen und männlichen Substantive oder Adjektive, die Frage von Kongruenz erübrigt sich also, und auch generell stellt die koreanische Sprache für nichtbinäre Menschen keine große Hürde dar. So kann „요리사“ (Aussprache: jolisa) entweder Koch oder auch Köchin bedeuten. Das bezieht sich auch auf Adjektive und Verben. Damit ist die koreanische Grammatik in Bezug auf Geschlecht also ähnlich wie die schwedische: Kein Geschlecht in der Flexion, keine Kongruenz. Doch an einer Stelle geht Koreanisch noch weiter: Nicht einmal Pronomen in der 3. Person gibt es in der Sprache, also kein „er“ oder „sie“. Ja, wenn man recherchiert, wird man folgende Pronomen finden: „그“ (Aussprache in etwa: gö, „er“ oder „sie“) und „그녀“ (Aussprache in etwa: gö-nyeo, nur „sie“). Diese werden allerdings fast nie verwendet. „그“ war ursprünglich ein Demonstrativpronomen und bedeutete „jener“ bzw. „jene“. Die Bedeutungsverschiebung hin zu „er“ fand aber erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts statt, als durch zunehmenden westlichen Einfluss auf der Halbinsel immer Texte aus europäischen Sprachen ins Koreanische übersetzt wurden. „그녀“ bedeutet wörtlich „jene Frau“ und wird genauso wie das zuvor genannte Pronomen äußerst selten verwendet. Das liegt auch daran, dass jedes Wort, das nicht für das Verständnis benötigt wird, weggelassen werden kann. Pronomen sind im Grunde nie erforderlich. Auch im Spanischen oder Italienischen zum Beispiel können sie getrost ausgelassen werden.
Die einzige Stelle, wo uns vereinzelt Geschlecht im Koreanischen begegnet, sind Ehrentitel. Hierunter versteht man die Anreden, die Koreaner*innen entsprechend sozialem Status füreinander benutzen. Dieses so genannte Honorativsystem ist sehr komplex und geht tief in die Grammatik ein. Pronomen zum Beispiel existieren in einer normalen und in einer höflichen Form. So bedeutet „나“ (na) so viel wie „ich“, wenn man es gegenüber Freund*innen oder Familie verwendet. Gegenüber Lehrer*innen, Chef*innen und generell höhergestellten Personen benutzt man jedoch „저“ (in etwa: dschö), die höfliche Form desselben Wortes. Für die 2. Person Singular („du“) gibt es keine höfliche Form, und zwar deshalb, weil die 2. Person aus Höflichkeit komplett vermieden wird.
Nur an einer Stelle treffen wir auf Geschlecht, und zwar im Wortschatz. Denn selbstverständlich gibt es unterschiedliche Worte für „Mutter“, „Vater“ und andere Familienbezeichnungen. Hier wird für die Ehrenanrede das Affix „님“ (nim) angehängt, um es höflich zu machen. Hier einige Beispiele:
Grundform | Ehrenform | Übersetzung |
할아버지 (harabeodschi) | 할아버님 (harabeonim) | Großvater |
어머니 (eomeoni) | 어머님 (eomeonim) | Mutter |
형 (hyeong) | 형님 (hyeongnim) | Älterer Bruder eines Mannes |
딸 (ttal) | 따님 (ttanim) | Tochter |
Hier gilt wieder die Regel: Die persönliche Beziehung bestimmt, welche Form benutzt wird. Man würde vielleicht über seine eigene Mutter als „어머니“ (eomeoni) sprechen, über die Mutter eines anderen allerdings als „어머님“ (eomeonim), da man dieser als Mitglied einer anderen Familie natürlich Ehre entgegenbringen muss. Nichtbinäre Menschen fallen hier natürlich heraus. Dies ist allerdings nur ein Problem, wenn man mit der Person verwandt ist, denn nur familiäre Ehrentitel enthalten Geschlecht (wie eben die Wörter für „Mutter“, „Vater“, „Schwester“, etc.). Andere Personen werden meistens mit ihrer Berufsbezeichnung angesprochen (die ja, wie bereits besprochen, immer geschlechtsneutral sind), plus das Affix „님“ (nim), was die Ehrenanrede bildet. Einen Professor, bzw. eine Professorin („교수“, gyosu), könnte man also mit „교수님“ (gyosunim) ansprechen. Bei Personen mit gleichem oder niederigerem Status kann man das „nim“ weglassen.
„Ich glaube nicht, dass es so etwas wie geschlechtsneutrale Anreden in der Familie gibt,“ sagt Sangmyeong, 24, Student aus Seoul. „Generell wird die LGBT-Community in Südkorea aber immer mehr akzeptiert,“ erzählt er. Es gebe auch inzwischen mehrere Popstars, die offen trans sind, wie die Sängerin Harisu oder die YouTuberin Pung-ja. Ganz so weit wie etwa die US-Westküste sei sein Land aber noch nicht, sagt er: „Zufälligerweise fand heute das Seoul Queer Culture Festival statt. Und weißt du, was auf der anderen Seite passiert ist? Die Anti-Queer-Kundgebung war dort. Vielleicht ist es unvermeidlich, diesen Konflikt zu erleiden, um die Dinge zu verbessern.“
Englisch
Zu guter Letzt noch einige Anmerkungen zur englischen Sprache, da auch sie einige Besonderheiten aufweist. Zuerst einmal: Englisch ist bekanntlich eine weitestgehend geschlechtslose Sprache – unter „teacher“ kann man sowohl eine Lehrerin als auch einen Lehrer verstehen. Generell gibt es im Englischen deutlich weniger Flexion als in nahezu allen anderen europäischen Sprachen, weshalb sie so einfach zu lernen ist: Grammatische Fälle gibt es kaum noch (vorwiegend bei Pronomen: he, him, his), Flexion mit Bezug auf Person gibt es im Präsens nur in der dritten Person (he, she, it, das „s“ muss mit …) und in der Vergangenheit schon gar nicht.
Da überrascht es nicht, dass auch Flexion in Bezug auf Geschlecht kaum vorhanden ist. Nur bei sehr wenigen Personenbezeichnungen gibt es eine weibliche Form, den meisten werden wohl zuerst Wörter wie actress, waitress und landlady einfallen. Da es in der englischen Sprache so wenig Geschlecht gibt, geht der Trend dahin, dieses Phänomen komplett aus der Sprache zu verbannen. Das generische Maskulinum wird also universalisiert, mit der Prämisse, für alle zu gelten. Der Trend ist also umgekehrt als im Deutschen, wo mit Wörtern wie Gästin neue weibliche Formen erfunden werden, wo vorher keine waren.
Während dieser Artikel geschrieben wird, verbreiten Zeitungen die Todesnachricht der britischen Schauspielerin Glenda Jackson. Das Statement ihres Agenten lautet: „Glenda Jackson, two-time Academy Award-winning actress […], died peacefully at her home“. Der „Guardian“, eine als liberal geltende Zeitung, titelt hingegen: „Glenda Jackson, fearless actor […], dies aged 87“. Weibliche Formen fallen im Englischen zunehmend aus der Mode, da sie eine Trennung darstellen, die von vielen Muttersprachler*innen als unnötig angesehen wird: Wenn das Wort „teacher“ nicht verrät, welches Geschlecht eine Lehrkraft hat, wieso sollte man dann das Wort „landlady“ verwenden und damit vermitteln, dass die Vermieterin eine Frau ist?
Dass die englische Sprache innovativ und auch dynamischer als viele andere ist, zeigt sich auch in den geschlechtsneutralen Pronomen, die sie besitzt, denn Pronomen sind bekanntlich der einzige Teil der Sprache, der streng geschlechterspezifisch ist. Hier gibt es das Pronomen „they“, welches historisch gesehen ein so genanntes generalisierendes Pronomen ist, also eines, dessen Bezugsperson laut Oxford English Dictionary „unbekannt, irrelevant oder geheim“ ist. (Ein solches gibt es auch auf Deutsch, und zwar „man“). Entgegen zahlreicher Einwände, „they“ sei eine neue Erfindung, wurde es laut dem Oxford English Dictionary schon 1375 erstmals aufgezeichnet (damals noch in der Schreibweise „þei“).
Heute allerdings hat „they“ eine neue Bedeutung hinzugewonnen, und zwar als Pronomen für nichtbinäre Menschen. Es gibt hier eine ganze Liste an Alternativen, darunter „xe“, „zie“ und „per“, die aber selbst in den progressiven Kreisen von New York, Portland oder San Francisco teilweise als obskur bis satirisch wahrgenommen werden. „They“ hat sich hier zum Goldstandard entwickelt und ist für viele Menschen unter 40 aus dem Wortschatz kaum noch wegzudenken. Nicht nur deshalb, weil es für nichtbinäre Menschen funktioniert, sondern auch, weil es als Comeback der generischen 3. Person Singular das generische Maskulinum „he“ ersetzt hat, und weil man, wenn man als generalisierendes Pronomen „one“ verwendet, wie König Charles klingt. Wenn man von einem Touristen gefragt wird „Where can one eat in this town?“ könnte man fast meinen, royaler Besuch sei anwesend.
Noch eine interessante Sache ist zu erwähnen: Seit dem letzten Jahrhundert wird „you guys“ als Alternative zu „you“ verwendet, wenn es sich auf mehr als eine Person bezieht. Diese Bezeichnung ist tatsächlich recht alt, ist aber seit ca. den 80er-Jahren wieder in Mode und wurde ursprünglich hauptsächlich mit Surfern in Kalifornien assoziiert. Inzwischen hat sie sich aber in großen Teilen des Landes durchgesetzt. Mit dem neuen Trend zu inklusiver Sprache steht „you guys“ allerdings plötzlich in der Kritik. Es stimmt zwar, dass die Wendung sowohl für Männer, Frauen, als auch für alle dazwischen verwendet werden kann und auch so verstanden wird, entsprechend der Logik des generischen Maskulinums. Streng genommen bezieht es sich dem Wortlaut gemäß aber eben nur auf „guys“.
Auch wenn man selbst in der Realität des liberalen Amerikas selten darauf hingewiesen wird, dass „you guys“ nicht geschlechtsneutral ist, versuchen immer mehr Menschen, die Wörter zu ersetzen. Eine überraschende Alternative lautet: „y’all.“ Dieses Pronomen stammt eigentlich aus dem tief-republikanischen Süden, und wenn man es verwendet, klingt man doch etwas wie ein Southerner. Und doch hat sich „y’all“ in den letzten Jahren einer echten Alternative zu „you guys“ entwickelt und ist immer mehr auch im Sprachgebrauch von liberalen Amerikaner*innen an der Westküste zu finden, die kulturell geradezu der Gegenpol zum Süden ist, wo vielerorts noch nach der Bibel gelebt wird.
Wie steht es also um inklusive Sprache?
Drei Beobachtungen folgen aus diesem Artikel. Erstens: Im Mittelpunkt der Frage, ob Sprache das metaphorische Schlachtfeld für den Kampf für Gleichberechtigung darstellt, steht verständlicherweise, ob es in einer Sprache überhaupt Geschlecht gibt. In vielen Ländern, in denen geschlechtslose Sprachen gesprochen werden, stellt sich diese Frage schließlich gar nicht. In Europa gehören dazu unter anderem Finnland, Ungarn und die Türkei, außerhalb von Europa kommen noch Länder wie Japan, Kasachstan, Haiti oder Myanmar dazu.
Das ist nur ein Bruchteil der Liste Länder mit geschlechtslosen Sprachen, doch es soll verdeutlichen, dass dies durchaus eine Norm in den Sprachen der Welt darstellt. Natürlich gibt es auch Extreme in die andere Richtung: Auf Polnisch gibt es durch die Kombinierbarkeit von Geschlecht und Belebtheit fünf Substantiv-Klassen. Auf Swahili sind es sogar 18. Der mutmaßliche Rekordhalter ist Tuyuca, eine indigene Sprache mit etwas über tausend lebenden Sprecher*innen in Kolumbien und Brasilien, in der es Schätzungen zufolge zwischen 50 und 140 Klassen geben soll.
Die zweite Beobachtung ist, dass das Interesse der Bevölkerung an inklusiver Sprache auch davon abhängt, wie westlich die Gesellschaft in einem Land geprägt ist. Generell ist das Gendern in Europa weiter verbreitet als außerhalb. Doch auch innerhalb von Europa gibt es Unterschiede. Die Recherche zu diesem Artikel hat gezeigt, dass vor allem zwei Länder Europas durch eine weit verbreitete Anwendung inklusiver Sprache herausstechen: Schweden und Deutschland. In anderen Ländern, wie etwa in Frankreich, werden die Hahnenkämpfe um den Point Médian und das „iel“ teilweise noch auf einem Niveau geführt, das bei uns schon seit Jahren nicht mehr zum Alltag gehört. Selbst die First Lady Brigitte Macron hat sich schon lautstark öffentlich gegen inklusive Sprache positioniert.
Und jetzt? Klar ist, die Sprache wird sich weiterhin verändern, so wie sie das immer getan hat. Inklusive Sprache wird sich weiter verbreiten, heute, morgen, oder in hundert Jahren. Vielleicht gerät sie aber auch in einem halben Jahrhundert komplett aus der Mode. Voraussagen kann das niemand. Wie am Anfang erwähnt, ändert sich Sprache von selbst, das ist geradezu ein Naturgesetz. Daher ist es auch unsinnig, sich darüber zu streiten, egal auf welcher Seite man steht. Das einzige, was man tun kann, ist zuzuschauen und zu observieren. Natürlich schadet es dabei auch nicht, die eine oder andere Sprache zu lernen. Denn dabei lernt man auch viel Wertschätzung für Menschen und ihre Kulturen, und das ist wohl das Wichtigste.
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