Gute Nachrichten für alle introvertierten, Vintage-liebenden Bücherwürmer – wir liegen voll im Trend! Dark Academia ist eine immer populärer werdende Subkultur, die auf Social Media junge Menschen und Studierende begeistert. Doch Dark Academia ist mehr als nur eine ästhetische Strömung – es ist ein Lebensstil.
Als ich Abiturientin war, führte mich der Studieninfotag nach Tübingen und damit direkt vor das pompöse Aushängeschild der Uni – die neue Aula. Schon damals hat das Gebäude Eindruck auf mich gemacht und mich auch ein wenig eingeschüchtert. Ein Jahr später kehrte ich als Ersti nach Tübingen zurück – nichtsahnend, dass es mich als Anglistik-Studentin keineswegs in die Neue Aula verschlagen würde, sondern in den (nur minimal) weniger eleganten Brechtbau. Noch heute hat es immer wieder etwas Erhabenes, durch die die Neue Aula zu laufen. Auch wenn dieses Gefühl ganz schnell endet, wenn man in den muffigen Hörsälen auf knarzenden Holzbänken sitzt, die den Eindruck erwecken, sie könnten jederzeit unter dem eigenem Körpergewicht zusammenkrachen. Trotzdem – Studieren macht direkt mehr Spaß, wenn die Umgebung zu einem passt und man das Gefühl hat, hier hin zu gehören.
Damals wusste ich noch nicht, dass ich mit meiner Liebe für altertümliche Gebäude und Literatur einmal „in“ sein würde. Darüber in Kenntnis gesetzt wurde ich erst vor kurzem über Pinterest. Mein Board war voller Buch-Klassiker, retro-Mode und Vintage-Ästhetik – eindeutig Dark Academia lautete die Diagnose.
Was ist Dark Academia?
Optisch handelt es sich dabei um eine Mischung aus Gothic und Vintage. Antiquierte Bücher, handgeschriebene Briefe und dunkle Räume in mittelalterlichen Bauten sind beliebte Motive. Gekleidet in weite Blusen, Tweedjacken und Rollkragenpullover wirken die Influencer*innen aus der Dark Academia Szene, als wären sie direkt einem 50er Jahre Coming-of-Age Film entsprungen. „Vintage Emo“ lautet die Bezeichnung des Urban Dictionary.
Auf YouTube findet man unzählige Videos darüber, wie man am besten sein Zimmer im Dark Academia Style einrichtet und welche Bücher und Filme man unbedingt gelesen haben muss. Immer wieder fallen Buchtitel wie „Das Bildnis des Dorian Grey“ von Oscar Wilde, „Northanger Abbey“ von Jane Austen oder „The Secret History“ von Donna Tartt, sowie Filme wie „Mona Lisas Lächeln“ (2003) oder „Harry Potter“. Als Dark Academia Meisterwerk gilt vielen der Film „Club der toten Dichter“ (1989), in dem Schüler eines Eliteinternats ihre Begeisterung für Literatur entdecken.
Eins haben fast alle Bücher und Filme gemeinsam: sie spielen vor einer historischen (oder historisch angehauchten) Kulisse und beschäftigen sich mit akademischer Lehre, Kunst und der Liebe zur Literatur, meistens mit mystischem Unterton. Doch Dark Academia ist mehr als nur eine ästhetische Strömung oder eine Vorliebe für Historienfilme. Sie zelebriert Bildung, Philosophie und Sprachen (bevorzugt Altgriechisch und Latein). Diese Romantisierung des Lernens ist das zentrale Motto des Dark Academia Trends.
Dark Academia ist kein neues Phänomen, aber erst in der Pandemie ist die Subkultur zum Trend geworden. Warum das so ist, liegt laut der New York Times an den Schließungen der Schulen und Universitäten. Die jungen Menschen sehnen sich nach Bildung, die im Corona-Jahr zu kurz gekommen ist. Auf Plattformen wie TikTok und Instagram erreicht der Trend viele junge Menschen, die alleine im Homeschooling sitzen und sich dadurch als Teil einer Gemeinschaft fühlen können, wenn es auch nur virtuell ist.
Kritik an Dark Academia
Aber wie bei allem im Leben, gibt es auch hier einen Haken. Sobald man die rosarote Dark Academia-Brille absetzt, gibt es einige Kritikpunkte, über die man früher oder später stolpert. Ein Vorwurf lautet, dass Dark Academia ungesunde Verhaltensweisen wie Rauchen und Alkoholmissbrauch romantisiert und psychische Krankheiten verharmlost, besonders unter Studierenden. In „Der Club der toten Dichter“ begeht einer der Schüler Selbstmord, da sein Vater ihm seine Leidenschaft für das Theaterspielen verbietet.
Wer die Buch- und Filmempfehlungen aufmerksam gelesen hat, dem fällt auch auf, dass sie eins gemeinsam haben – sie stammen von englischsprachigen Autoren und spielen in einem westlichen Setting. Dark Academia wird nachgesagt, ein elitäres, eurozentristisches Weltbild zu glorifizieren und zu wenig divers zu sein. Durch den Fokus auf hauptsächlich klassische Literatur europäischer Autor*innen sowie die Vorliebe für alte mittelalterliche Universitäten, finden kulturelle und literarische Einflüsse aus anderen Teilen der Welt kaum Beachtung. Außerdem drehen sich populäre Dark Academia-Geschichten zumeist um weiße, privilegierte Jugendliche. Ein Beispiel hierfür ist der Film „The Riot Club“ (2014), der sich um einen Studentenclub in Oxford dreht, in dem junge Männer aus reichen Familien einen Lebensstil führen, als würden die Regeln der Gesellschaft nicht für sie gelten.
Dark Academia braucht mehr Diversität
Es ist nichts falsch daran, klassische europäische Literatur zu mögen. Aber wer nicht offen für Neues ist, dem entgeht vielleicht eine tolle Möglichkeit, inspirierende Werke außerhalb der eigenen Kultur zu finden.
„The lack of diverse voices in dark academia doesn’t appear to be done intentionally so it is only by acting intentionally that this lack of diversity can be undone.“
– Ariel Yisrael, themadameblue.com
– So heißt es in einem Online-Artikel auf der Kulturseite Madame Blue. In diesem Sinne zum Schluss eine Empfehlung mit Dark Academia-Vibes: Die Netflix-Serie „Eine gute Partie“ (2020) basiert auf dem Roman von Vikram Seth. Im Indien der 1950er Jahre versucht die junge Literaturstudentin Lata sich gegen eine arrangierte Ehe zu wehren und ihren eigenen Weg zu gehen.
Grundsätzlich finde ich es super, dass durch Dark Academia junge Menschen ihre Liebe zum Lesen und Lernen entdecken. Wenn man die Augen offenhält, findet man sicherlich auch weitere tolle nicht-europäische Filme und Serien, die dort hineinpassen. Und eines Tages können wir die Dark-Academia-Atmosphäre hoffentlich auch wieder live in der Neuen Aula erleben und Vorlesungen auf knarzenden Holzbänken hören.
Fotos: Theresa Heil