Am 9. Juni finden in Tübingen gleichzeitig die Wahl zum Europaparlament sowie die Kommunalwahl statt. Dabei werden gleich mehrere Gremien neu besetzt. Doch was passiert in diesen Gremien überhaupt? Und welche Bedeutung besitzen diese? Hier findet ihr die Antworten auf eure Fragen zu den Wahlen.
Na, hattet ihr auch schon eure Wahlbenachrichtigung im Briefkasten? Wenn ja, hebt sie gut auf, denn in knapp einem Monat dürft ihr damit zum Wahllokal spazieren und eure Stimme bei den Kommunalwahlen und den Wahlen zum EU-Parlament abgeben. Viele von euch fragen sich vielleicht: Was macht der Gemeinderat überhaupt? Und welche Relevanz besitzt meine Stimme für das EU-Parlament? Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung bei verschiedenen Wahlen ganz unterschiedlich. Bei der Bundestagswahl 2021 begaben sich 85,8 Prozent der Wahlberechtigen in Tübingen an die Wahlurnen, bei der Europawahl im Jahr 2019 jedoch nur 75,8 Prozent. Bei der zeitgleichen Kommunalwahl waren es sogar nur 70,5 Prozent. Mangelndes Wissen über die gewählten Organe könnte einer der Gründe sein. Doch das muss nicht sein!
Was geht in Tübingen?
Bei der Kommunalwahl werden gleich zwei Gremien neu gewählt: Der Gemeinderat und der Kreistag. Wenn man nicht in der Innenstadt, sondern in einem der Teilorte (Bebenhausen, Bühl, Hagelloch, Hirschau, Kilchberg, Pfrondorf, Unterjesingen oder Weilheim) wohnt, darf man zusätzlich auch den jeweiligen Ortschaftsrat wählen.
Der Gemeinderat
Der Gemeinderat ist die Vertretung der Wähler*innen bei der Stadt. In Tübingen hat der Gemeinderat 40 Mitglieder, die sieben Fraktionen angehören, dies sind (in absteigender Größe) die Grünen, SPD, Tübinger Liste, CDU, die Linke, die FRAKTION (in Verbindung zu die PARTEI), die FDP und die DiB (Demokratie in Bewegung). Die AfD stellt keine Fraktion, und auch dieses Jahr wird sie nicht zur Wahl antreten. Vorsitzender des Gemeinderates ist Kraft seines Amtes Oberbürgermeister Boris Palmer.
Oft wird die Kommunal- und Lokalpolitik kleingeredet, vor allem im Angesicht von großen Gremien wie Land- und Bundestag. Unwichtig ist er jedoch keineswegs! Der Gemeinderat entscheidet über alle Themen, die die Stadt Tübingen betreffen, das bedeutet zum Beispiel den Bau von Wohnraum, Parks und Grünflächen, Schulen und Kindergärten. Er befasst sich auch mit verkehrspolitischen Fragen, entscheidet also über Radwege, Parkhäuser und Straßen. Jedoch hat er noch viele weitere Aufgabenfelder. Grundsätzlich ist es seine Aufgabe, Gelder der Stadt sozial gerecht und vor allem sinnvoll zu verteilen. Diese Gelder kommen zum Teil durch Gebühren in die Stadtkasse, zum anderen sind es jedoch auch Fördermittel des Landes, des Bundes oder auch der Europäischen Union, die dem Gemeinderat zur Verfügung stehen. Damit ist der Gemeinderat alles andere als unwichtig. Alles, was vor unserer Haustür passiert, muss erst über den Schreibtisch des Gemeinderates. Zudem ist es wichtig, seine Rolle nicht zu unterschätzen. Auch wenn Boris Palmer gerne als Macher gesehen wird, kommen viele Denkanstöße aus dem Gemeinderat.
Der Ortschaftsrat ist ein ähnliches Gremium. Er entscheidet über Dinge, die den jeweiligen Tübinger Teilort betreffen. Außerdem berät er den Kreistag bei Entscheidungen, die auch die Teilorte betreffen. Denn niemand weiß so viel über einen Teilort wie die Menschen, die dort leben.
Der Kreistag
Dieses Gremium vertritt die Bürger*innen des ganzen Landkreises. Er wird also gemeinsam mit den Menschen in Rottenburg, Mössingen und Co. gewählt. Den Vorsitzt des Kreistages übernimmt der*die Landrät*in. Hier werden Entscheidungen koordiniert, die den Landkreis betreffen, darunter fallen das Netz des TüBus (da die Busse auch in andere Gemeinden fahren, fällt der ÖPNV unter die Aufgaben des Kreistages) und die Unterbringung von Geflüchteten im Kreis Tübingen. Auch das Thema Müll wird auf Kreisebene geregelt.
Geschätzt eins von drei Gesetzen kommt von der EU
Sie ist wohl die Königin in der Kategorie „Warum soll ich da wählen?“: die Europawahl. Mit über 400 Millionen Stimmberechtigten ist die Wahl zum Europäischen Parlament die zweitgrößte demokratische Wahl der Welt, übertrumpft nur von der Parlamentswahl in Indien (die ebenfalls zur Zeit abgehalten wird).
Mit seinen mehr als 700 Abgeordneten hat das EU-Parlament – wie auch die Kommission – oft den Ruf als „Abstellkammer der nationalen Politik“ inne, das jedoch zu Unrecht, denn es ist ein unverzichtbares Organ der europäischen Politik, das leider viel zu oft im Schatten der Kommission steht.
Tatsache ist, dass circa 25 bis 36 Prozent der Gesetze, die in Berlin beschlossen werden, ihren Ursprung auf EU-Ebene haben. Der genaue Prozentsatz variiert nach Bereich, denn auf verschiedenen Themengebieten hat die EU unterschiedliche Kompetenzen. In den Bereichen Umwelt- und Landwirtschaftspolitik kommen sogar bis zu 80 Prozent der Gesetze aus der EU, bei der Justiz immerhin noch die Hälfte. Doch auch in der Wirtschafts-, Finanz-, und Arbeitsmarktpolitik arbeitet die Bundesregierung bis zu einem Drittel nach Vorgaben von oberster Stelle: von der EU.
Welche Rolle spielt hierbei jedoch das EU-Parlament? Grundsätzlich hat das EU-Parlament einige Kernaufgaben. Zuallererst ist es damit beauftragt, Gesetze der Europäischen Union zu verabschieden. Die Gesetzesvorschläge kommen aus der Europäischen Kommission, das Parlament hat jedoch immer ein Mitspracherecht und kann Gesetze, die nicht dem demokratischen Willen entsprechen, aufhalten. Jedes Gesetz unterliegt also der demokratischen Kontrolle der Wähler*innen Europas.
Zudem ist das Parlament das demokratische Kontrollorgan der EU. Es wählt den Kommissionspräsidenten, bzw. in diesem Fall die Kommissionspräsidentin, kann diese jedoch auch durch ein Misstrauensvotum zu Fall bringen. Eine der wichtigsten Aufgaben jedoch: Das Parlament entscheidet über den Haushalt der EU. Damit hat das Gremium das Recht, darüber zu bestimmen, wo das Geld hingeht, das der EU zur Verfügung steht. Und das ist gar nicht so wenig: 2023 verfügte das Parlament über ein Budget von fast 187 Milliarden Euro!
Dazu kommen noch einige kleine Aufgaben: Das Parlament entscheidet über internationale Abkommen und neue EU-Mitgliedstaaten, es kann Untersuchungsausschüsse einsetzen und die Kommission auffordern, Gesetzesvorschläge zu machen. Als bevölkerungsreichster Mitgliedstaat der EU entsendet Deutschland 96 Abgeordnete nach Straßburg, mehr als jedes andere Land. Darauf folgen Frankreich, Italien, Spanien und Polen. Sie haben jeweils zwischen 80 und 50 Sitzen. Deutschland hat damit einen großen Einfluss auf die europäische Politik.
Und was habe ich damit jetzt zu tun?
Europa steht wie immer vor Krisen, egal ob es aufkeimender Rechtsextremismus oder dramatische Klimaveränderungen sind. Diese Probleme zu bekämpfen, ist die Aufgabe aller Ebenen der Entscheidungsfindung. Um zum Beispiel eine nachhaltigere Welt zu realisieren, braucht es nicht nur ein gewilltes EU-Parlament, sondern auch entschlossene Gemeinderäte und lokale Verantwortungsträger, die Probleme ganz pragmatisch angehen. Es gibt vieles, was man tun kann, eins ist jedoch das mindeste: Wählen gehen!
Beitragsbild: Max Maucher