Der neue Barbie-Film ist liberalfeministisch und explizit erklärend anstatt subtil. Trotzdem fand unsere Redakteurin ihn unterhaltsam und kann viel Interessantes mitnehmen – beispielsweise eine Erklärung dafür, warum junge Männer in die Manosphere, in extremen Sexismus, abrutschen. (Überraschung: Der Grund ist der Kapitalismus.) Schließlich erklärt der Film uns, was eigentlich nochmal ein Mensch ist. Haben wir das etwa vergessen?
Im Kinosaal des Ateliers herrscht am Mittwochabend eine großartige Stimmung. Der Film ist ausverkauft; es müssen Leute an der Abendkasse nach Hause geschickt werden. Schon bei der Werbung hört man lautes Lachen aus dem Publikum, gelegentliche Reaktionen oder Kommentare. Und man weiß: Wir alle sind hier wegen Barbie.
Ich erinnere mich an keinen Film, der je so sehr Gesprächsthema in meinem Freundeskreis gewesen wäre, auf den so viele Menschen so gespannt gewartet hätten. Die Einschätzung, die ich im Vorhinein gegenüber meinen Freundinnen abgab – „Ich glaube, dass er unterhaltsam, aber nicht, dass er gesellschaftskritisch werden wird“ – hat sich im Wesentlichen bewahrheitet. Das Publikum lachte nicht nur bei der Werbung, sondern auch während des Films, häufig und laut. Und ein Kinobesuch lohnt sich allein wegen der großartigen Stimmung, dem Gemeinschaftsgefühl im Vorführungssaal. Doch wie könnte man Gesellschaftskritik von einem Film erwarten, der von mächtigen gesellschaftlichen Institutionen so entscheidend geprägt – oder gar geschaffen – wurde?
Als würde ein Kind mit Barbies spielen
Auch was die Erzählstruktur und erzählerische Elemente betrifft, habe ich Kritik zu üben. Die ersten Szenen sind bereits aus dem Trailer bekannt. Das Barbieland mit seinen Eigenheiten wird vorgestellt. Barbie schwebt vom Dach in ihr Auto hinein, schüttet ein leeres Glas über ihrem Mund aus und geht auf Zehenspitzen. Um die Zuschauenden nicht zu verwirren, erklärt eine Erzählerin, dass kein Kind eine Barbie je die Treppe nehmen ließ, sondern sie direkt vom Obergeschoss in ihr Auto setzte.
Die Hauptfiguren des Films sind die „stereotypische“ Barbie (Margot Robbie) und der „Beach-Ken“ (Ryan Gosling). Das Barbieland wird aber von noch viel mehr Barbies und Kens bevölkert, zum Beispiel von der Präsidentinnen-Barbie oder der Physikerinnen-Barbie. Im Gegensatz zu unserer Welt wird das Barbieland von den Frauen regiert; die Männer spielen Nebenrollen.
Kurz darauf stellt Barbie fest, dass ihre Zehen den Boden berühren, sie Cellulite hat und über den Tod nachdenkt. Der Grund dafür ist eine magisch anmutende Verbindung mit einer Person in der Menschenwelt. Diese Verbindung wird ebenfalls erklärt, aber nicht verständlich. Barbies Ziel ist also: in die Menschenwelt reisen, diese Person finden und wieder „normal“ – fröhlich, sorglos, konform und schön – werden. Wie genau das funktionieren soll, wird nicht ersichtlich und dieses Ziel wird nach einiger Zeit sowieso aufgegeben, neue Probleme müssen gelöst werden. Der Film fühlt sich „hin und her“ an: eine schöne Metapher für Kinder, die mit Barbies spielen und ständig neue Ideen haben, wohin das Spiel sich entwickeln soll. Beim Zuschauen allerdings bisweilen anstrengend.
“Tell don’t show”
Explizite Erklärungen ziehen sich durch den Film. Nur wenige Botschaften werden subtil vermittelt. Gegen Ende hält eine Figur einen langen Monolog darüber, dass gegensätzliche und unerfüllbare Anforderungen an Frauen gestellt werden; in der feministischen Literatur nennt man dieses Phänomen „double-bind“. Gemeint ist: einem weiblichen Ideal kann man überhaupt nicht entsprechen; eine Frau ist immer entweder zu prüde oder zu promiskuitiv, zu laut oder zu leise, zu ehrgeizig oder zu unterwürfig. Doch anstatt eine Figur zu zeigen, die unter den Anstrengungen, eine „perfekte Frau“ zu sein, zerbricht – was dem Prinzip „show don’t tell“ entsprechen würde – lässt der Film eine Figur das Konzept erklären.
Noch direkter werden die Zuschauenden angesprochen, wenn der Film die vierte Wand bricht. Als Barbie sich weinend als „nicht mehr schön“ bezeichnet, unterbricht die Erzählerin die Szene mit dem Kommentar „Wenn das glaubwürdig sein soll, hättet ihr eine andere Schauspielerin als Margot Robbie auswählen müssen.“ Sie erntet dafür viele Lacher, auch einen von mir. Wir lachen oft aus Überraschung und ich bin überrascht, dass so direkt auf die Kritik in meinem Kopf reagiert wird. Eine kluge Lösung, doch eine etwas faule. Wenn die Drehbuchautor*innen bezüglich dieses Widerspruches so selbstreflektiert waren, warum haben sie die Szene nicht weggelassen oder umgeschrieben?
Ken rutscht in die Manosphere
Der Film macht zwei Aussagen über Geschlechterthemen. Die erste lautet: Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ist gut. Und die zweite ist eine Erklärung dafür, warum Männer in die Manosphere, in extremen Sexismus abrutschen.
Ken wird von Barbie nicht geliebt. Sie nimmt ihn für selbstverständlich, schenkt ihm keine Beachtung. Er definiert sich nur über sie, glaubt, er sei nichts ohne sie. Als er mit ihr in die Menschenwelt reist, entdeckt er das Patriarchat. Er ist begeistert davon, dass ihm hier allein aufgrund seiner Männlichkeit Macht zusteht. Da er keine Ausbildung hat, gelingt es ihm nicht, in eine tatsächliche Machtposition zu gelangen, aber das Patriarchat findet er trotzdem super. Auch die anderen Kens sind leicht vom Patriarchat zu begeistern.
Kens Entdeckung des Patriarchats ist eindeutig der lustigste Teil des Films. Vielleicht bringt er den ganzen Kinosaal zum Lachen, weil das Thema so extrem aktuell ist: rechte und antifeministische Bewegungen erstarken schon seit Jahren, viele Männer politisieren sich über das Internet, werden von misogynen „Coaches“ beeinflusst. Der Film beschäftigt sich mit diesem Thema und bietet Erklärungen. Man könnte ihm Psychologisierung (Ken rutscht in antifeministische Ideologien ab, weil Barbie ihn nicht liebt) oder gar ein Hereinfallen auf die rechten Argumentationen vorwerfen. Schließlich sind die Kens zu Anfang in der Barbiewelt aufgrund ihrer Männlichkeit marginalisiert und daher so leicht von einer Umkehr der Geschlechterverhältnisse zu überzeugen. Auch Incels, Pick-up-Artists oder viele andere Rechte glauben, aufgrund ihrer Männlichkeit unterdrückt zu werden. Die Erklärung, dass sie deswegen in extremen Sexismus abrutschen, ist unzureichend, da Männer in unserer Welt nicht unterdrückt werden.
Das Patriarchat als Entschädigung für das Unglück im Kapitalismus
Doch eine andere Interpretation erkennt in Kens Situation – keine Liebe zu bekommen, ein abhängiges Dasein ohne Sinnerfüllung zu führen – eine Metapher für das unglückliche Leben im Kapitalismus.
Anhaltspunkte für eine solche Interpretation finden sich in der feministischen Theorie. Die Philosophin Silvia Federici beschreibt, wie Handwerker und städtische Behörden Ende des 15. Jahrhunderts eine Allianz eingingen, um Frauen vom Arbeitsmarkt auszuschließen und in die unbezahlte Hausarbeit zu drängen. Proletarische Frauen dienten von nun an als gemeines Gut, das die Arbeiter für den Verlust von Land zur allgemeinen Nutzung entschädigen sollte.
Ken hat in der Menschenwelt keine tatsächliche Macht. Er hat kein Geld, keine Bildung, keine Kontakte und daher will niemand ihn einstellen, erst recht nicht in einer Machtposition. Er gehört zu den unteren Klassen. Doch das Patriarchat entschädigt ihn dafür. Und es gibt ihm etwas, womit er sich beschäftigen kann, anstatt über die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus nachzudenken. Laut Silvia Federici hat die Einführung von strengen Geschlechterrollen nämlich einer Entsolidarisierung, einer Spaltung der Arbeiter*innen-Klasse in Männer und Frauen gedient.
Gleichberechtigung ist gut
Der Film bewertet sowohl das Patriarchat, von dem die Kens sich so leicht begeistern lassen, wie auch das Matriarchat der Barbie-Welt als schlecht. Als Alternative dazu wird eine gleichberechtigte Gesellschaft geboten. Verantwortungsvolle Positionen, wie beispielsweise die eines Richters, sollten sowohl von Männern als auch von Frauen bekleidet werden können.
Radikale feministische Kritik ist das nicht. Selbstverständlich bin auch ich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Doch die Aussage des Films ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Liberal-Feminismus, wie er im Mainstream angekommen ist: Die Gesellschaft muss nicht von Grund auf verändert, sondern ein wenig reformiert werden, sodass sowohl Männer als auch Frauen in Machtpositionen sind. Dass diese Macht anders und gerechter strukturiert werden könnte, zieht der Liberal-Feminismus nicht in Betracht.
“Seid Menschen”
Zum Schluss des Films wird noch einmal die vierte Wand gebrochen. Eine Figur fragt: „Und was ist nun mit Barbie? Welches Ende bekommt sie?“
Barbie muss sich entscheiden, ob sie zum Menschen werden will. Mittels einer Vision von lachenden und spielenden Menschen wird ihr gezeigt, was Menschlichkeit bedeutet: sie umschließt Altern, Trauer, Tod – aber auch Liebe und Lebendigkeit.
Trotz ihres Kitsches berührt mich die Szene. Sie erinnert mich an eine Szene zu Anfang des Films: Barbie trifft an einer Bushaltestelle eine alte Frau und sagt ihr „Du bist wunderschön.“ Warum finde ich das berührend und warum fühlt es sich gleichzeitig viel zu simpel und irgendwie idiotisch an, das berührend zu finden?
Ein kulturell so bedeutsamer Film wie Barbie spricht zu uns. Seine Botschaften sind prägend für unsere Generation, unseren Zeitgeist. Es geht hier nicht um fiktionale Puppen, um das Gedankenexperiment einer Puppe, die ein Mensch werden will, sondern es geht um uns. Noch viel spannender ist die Frage, warum der Film sich genau für diese Botschaften entschieden hat. Was will er uns sagen und was sagt es über unsere Welt aus, dass er uns genau dies sagen will?
Der Film sagt uns: „Seid Menschen.“ Doch warum müssen wir das gesagt bekommen? Wir sind Menschen. Wir sind keine Puppen, keine Barbies. Warum wird uns in der epischen Endszene eines Filmes, den eine ganze Generation sehnsüchtig erwartet hat, erklärt, was Menschlichkeit bedeutet? Ist es leere Sentimentalität, zur einfachsten Sache der Welt aufgefordert zu werden?
Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass es in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich ist, ein Mensch zu sein. Wir versuchen ständig, keine Menschen zu sein. Wir verdrängen den Tod, wollen uns durch Cremes und Botox vom Altern abhalten und uns durch Technik unsterblich machen, wir wollen nicht fühlen, nicht in der Welt verortet, sondern ein digitales Ich sein, überall und nirgends. Wir versuchen, keine Menschen mehr zu sein, sondern distanzierte Wesen an der Schnittstelle von Mensch und Maschine.
Dann berührt es uns eben, wenn ein Film uns erinnert, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.
Beitragsbild: Verleih.
Ja wir sind Menschen, abet dir ist schon klar, in welch oberflächigen gefühlskalten Welt wor leben oder? Ich hatte dieses Jahr viele auf und abs. Ich spürte mich selbst nicht mehr. Bei der letzen Szene kamen mir nach Monaten die Tränen.
Deine Meinung klingt eher wie die von Barbie. Ist dich alles toll, warum was ändern. Oder hattest noch nie wirklichen Kummer, der zur Gefühlskälte führte? was ich dir niemals wünsche. Wir leben Im Wohlstand in der Plastikwelt. Viele haben das Menschsein verlernt.