Sonnwendfeuer
Kultur

Tübinger Sonnwendfeuer unter den Sternen

Tanz ums Feuer, Heilkräuter sammeln und Kränze binden – was nach mittelalterlichen Riten klingt, wird auch heute noch an vielen Orten zelebriert, und zwar zur Sommersonnenwende. Auch in Tübingen hat diese alte Tradition überlebt und alljährlich wird ein Sonnwendfeuer auf der Salzwiese im Französischen Viertel abgebrannt. 

Mit dem 21. Juni 2023 kam die kürzeste Nacht und somit der längste Tag des Jahres auf der Nordhalbkugel – eine Zeit für Dankbarkeit, Ausgelassenheit und altes Brauchtum. Dank des Vereins Sonnwendfeuer e.V. konnte auch in Tübingen die Mittsommernacht ausgiebig gefeiert werden. Bereits am vergangenen Wochenende bereiteten Helfer*innen des Vereins den etwa drei Meter hohen Stapel aus verschieden dicken, kurz gesägten Stämmen vor. 

Zuschauende versammeln sich um das aufgeschichtete Feuerholz  © Sophie Traub

Musik, Tanz und Bewegungskunst 

Als wir die kleine Straße zur Salzweise entlang laufen, lässt sich bereits die Kühle des Abends erahnen und vereinzelt singen die ersten Grillen ihr Nachtlied. Auf der Wiese sind mehrere Grillstellen vorbereitet, auf denen jede*r selbst mitgebrachtes Essen zubereiten darf, es gibt sogar eine kleine Bar in einem Zelt. Die meisten Gäste haben allerdings eigene Getränke dabei und sitzen oder liegen auf ausgebreiteten Decken rund um das aufgeschichtete Feuerholz. Ausgelassen wird gelacht und geredet bis die Sonne untergeht. 

Die Salzwiese erscheint wie eine andere Welt: Kinder laufen um den Holzstapel, spielen auf der Wiese, alle barfuß. Ein großer Hütehund trabt gelassen durch die Menschen und lässt sich, mal hier, mal dort, streicheln. Trommler*innen, Flötist*innen und Gitarrist*innen haben ihre Instrumente mitgebracht und spielen auf, sogar ein Dudelsack ist mit von der Partie. Um 22:00 Uhr ist es dann so weit und das Sonnwendfeuer wird entzündet. Hartmut Wolfgang, Vereinsmitglied seit drei Jahren, ist der Verantwortliche für das Feuer – wie am vergangenen Wochenende aufgeschichtet wurde und wie nun entzündet wird, liegt bei ihm. Er kriecht in die kleine Öffnung auf der einen Seite des aufgeschichteten Holzes und entzündet den Stapel. Später erzählt er uns, dass es den Verein Sonnwendfeuer e.V. seit fünf Jahren gibt und neue Mitglieder stets willkommen sind. „Ich mache einfach gerne Feuer“, lacht der alte Mann und verschränkt die Arme vor seinem Blaumann. 

Als es immer dunkler wird, sind dann auch die Sterne zu sehen, kaum zu unterscheiden von den Funken des großen Feuers, die hoch in die Nachtluft fliegen und irgendwann verglühen. Verschiedene Künstler*innen sammeln sich um das noch immer lodernde Feuer und entzünden ihre Levi-Stöcke und Pois (zwei Gegenstände für die Feuerjonglage) an den Flammen – sie präsentieren elegant-feurige Bewegungskunst. Das Feuer brennt noch hell als wir gegen 2:00 morgens die Salzwiese verlassen. 

Entzündetes Sonnwendfeuer auf der Salzwiese  © Sophie Traub

Gesegnete Ernte und baldige Hochzeit 

Die Tradition der Sonnwendfeuer ist bis ins 14. Jahrhundert zurück dokumentiert. Verschiedene Bräuche prägen die Sommersonnenwende, ganz im Glauben, durch bestimmte Handlungen in dieser besonderen Nacht Einfluss auf die Zukunft nehmen zu können. So wird dem Sonnwendfeuer selbst besondere Kraft zugeschrieben – die Flammen, so die Sage, enthalten Sonnenenergie, die auf verschiedene Arten von den Menschen aufgenommen werden kann, selbst das simple Betrachten des Feuers kann schon Heilwirkungen und Glück bescheren. Die Asche des Sonnwendfeuers soll gute Ernte bescheren, daher wurde und wird sie von Landwirt*innen aufgesammelt und auf deren Wiesen und Äcker gestreut. 

Die Sonnenenergie kann aber auch auf andere Weise aufgenommen werden: Die an diesem Tag gebundenen Kränze und Sträuße aus Heilkräutern und -blumen sollen deren Träger*innen nicht nur schmücken, sondern auch Heilung und Segen bringen – je näher man die Sträuße oder Kränze ans Feuer hält, desto stärker wirkt dann der Zauber. Man legt die Kräuter und Blumen später unters Kopfkissen oder hängt sie zuhause auf.

Ein Tanz ums Feuer herum soll Fruchtbarkeit und Glück bringen und ein von zwei Liebenden gewagter Sprung übers Feuer, Hand in Hand, soll eine baldige Hochzeit und Kindersegen zur Folge haben.

Wie bei den meisten vorchristlichen Festbräuchen hat die katholische Kirche auch zur Sommersonnenwende etwas Eigenes beigetragen – am 24. Juni wird Johannistag gefeiert, die Geburt Johannes’ des Täufers. Auch an diesem Tag werden Feuer entzündet, die Johannisfeuer, und es wird ausgelassen gefeiert. Verdrängen konnte dieser neuere Brauch die herkömmliche Tradition allerdings nicht.

 

Falls ihr selbst Interesse an der Zelebrierung der Sommersonnenwende in Tübingen habt, dann könnt ihr über die folgende Mailadresse Kontakt zu Sonnwendfeuer e.V aufnehmen: sonnwendfeuer-tuebingen@gmx.de.

Fotos: Sophie Traub 

Ähnliche Beiträge

1 Kommentar

  1. […] zu genießen. Hierzu wurde in einem Artikel über die Sommersonnenwende bereits Einiges benannt (hier zum Artikel). Es soll an dieser Stelle ausreichen, zu sagen, dass man vor der Weihnacht vom Julfest sprach (auch: […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert