Seit der Erstausstrahlung Ende November ist der Hype um die Netflix Serie “Wednesday” nicht zu übersehen. Auf sämtlichen sozialen Medien begegnen uns Nachahmungen der Tanzszene und wer sich ein Outfit á la Wednesday Addams zusammenstellen möchte, braucht nicht mehr lange nach Tipps zu suchen. Neben dem Unterhaltungsfaktor, den die Serie unanfechtbar mit sich bringt, kommt das Spin-Off der Kult-Filme und Comics The Addams Family aber noch mit ganz anderen Päckchen daher.
Anders sein. Und doch beliebt. Seit der Erstausstrahlung am 23.11. hat es die neue Netflixserie „Wednesday“ in den letzten Wochen geschafft, den Streamingrekord der Serie „Stranger Things“ zu überholen. Dadurch ist sie nicht nur schon jetzt eine der erfolgreichsten Serien überhaupt, sondern auch in aller Munde. TikTok, Reddit, Instagram, überall tauchen Clips aus der Serie auf, erscheinen Interviews mit Hauptdarstellerin Jenna Ortega, die Wednesday Adams in der Serie verkörpert. Ähnlich wie „Stranger Things“ lebt „Wednesday“ vom Seltsamen und Gruseligen, vor allem aber von der Andersartigkeit ihrer Charaktere. Allen voran steht Wednesday, der wortkarge, intelligente, und auch irgendwie mörderische Sprössling aus der „Adams Family“.
Achtung: Spoiler
In „Wednesday“ stehen die anderen Familienmitglieder als Nebenfiguren im Hintergrund. Den Fokus legt die neue Serie auf die Tochter in der Addams Family, Wednesday. In der Handlung kommt Wednesday auf ein Internat (ähnlich wie bei Harry Potter) voller junger Menschen, die ebenso anders sind wie sie. Zumindest ist das die Idee ihrer Eltern, denn wie sich schnell herausstellt, ist sie hier ebenso eine Außenseiterin wie an anderen Schulen auch. Grund dafür ist ihre Persönlichkeit.
Netflix kündigt die Serie offiziell als “übernatürlich geprägter Detektivspaß” an. Neben ihrem neuen Leben in Nevermore, muss Wednesday lernen “ihre aufkeimenden übersinnlichen Fähigkeiten zu meistern, eine monströse Mordserie vereiteln, die die Stadt in Atem hält, und das übernatürliche Geheimnis aufdecken, in das ihre Eltern vor 25 Jahren verstrickt waren.” Die Serie selbst dreht sich als coming of age story, die an einer Schule spielt, ganz um die Gefühlswelt von Teenagern – eine Altersgruppe die sich nur zu gut damit auskennt, wie es anfühlt, nicht dazuzugehören, es aber unbedingt zu wollen – und vereint damit das Gruselige der Addams Family mit dem klischeehaften Teenager-Serien-Charme, wie wir ihn aus Riverdale kennen.
Tim Burton als Regisseur
Der Hype um die Serie ist auch dem Namen Tim Burtons geschuldet. Burton ist unter anderem bekannt für Alice im Wunderland, Charlie und die Schokoladenfabrik und Planet der Affen. Seine Handschrift zeichnet das Bizarre und Horrorhafte aus – perfekt für das Addams-Family Spin-Off. Er führte Regie in den ersten vier von acht Folgen der Serie.
Die Addams Family:
Die Fernseh-Kultfamilie bestehend aus lauter grotesken und monsterartigen Figuren aus den 60er Jahren erlebte in den 90ern einen neuen Aufschwung durch eine Neuverfilmung und erfreut sich auch in den letzten Jahren durch zwei animierte Kinostreifen an großer Beliebtheit (The Addams Family, Teil 1 und 2 auf Netflix).
Der Charakter Wednesday Addams
Dass die liebe Wednesday besonders ist, dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass sie auf eine Schule voller Outcasts geschickt wird. Wednesday ist nicht sehr gesprächig, empathisch oder gesellig. Dazu zeichnet sich ihre Rolle durch Zielstrebigkeit, sehr gute Noten und einen eigenen, sturen Willen aus. Außerdem bewegt sich Wednesday ungewöhnlich mechanisch, spricht monoton und blinzelt kaum. Keine Umarmungen, nicht mal den kleinsten Körperkontakt kann sie ertragen, gegen Farben, so heißt es, sei sie allergisch und die Szenen, in denen sie lächelt, lassen sich an zwei Händen abzählen. All diese Eigenschaften tragen zum Eindruck bei, dass Wednesday Addams einfach anders ist. Mit einem Blick in den Kriterienkatalog zur Diagnose von psychischen Erkrankungen – dem DSM-5 – kann man feststellen: Die offensichtlichen Besonderheiten Wednesdays werden unter der Kategorie Autismus allesamt aufgelistet. Weitere Punkte die als beispielhafte Symptome aufgezählt werden, sind Schwierigkeiten im Verbalisieren von Emotionen oder dem Aufbau von Beziehungen. Ebenfalls Punkte, die man bei genauerer Auseinandersetzung mit Wednesday erkennen kann.
Wir sagen: Bravo! Denn damit reiht sich eine weitere Figur zu den neurodivergent-kodierten Film- und Serien-Figuren ein. Neben Sherlock (aus der Serie Sherlock Holmes), Sheldon Cooper (the Big Bang Theory), Amelie Poulain (Die fabelhafte Welt der Amelie), Sam Gardener (Atypical) und Eddie Munson (Stranger Things) steht nun also auch offiziell Wednesday Addams und gemeinsam machen diese Figuren das Spektrum der Neurodivergenz, der Ausprägungen von Autismus und ADHS sichtbar – wenn auch die Schreiber*innen diese Neurodivergenzen nie offen aussprechen, sondern stets unausgesprochen lassen. Die „Diagnose“ bleibt den Zuschauenden überlassen.
Reaktionen auf Fiktion und Wirklichkeit
Wednesday wird gefeiert, nachgeahmt, bejubelt! Ein Charakter, der inspiriert. Bei all dem Hype stellt sich jedoch eine Frage: Wie reagieren wir im echten Leben auf Personen wie Wednesday? Auf social media werden immer mehr Stimmen laut, die kritisieren, dass der Hype um Wednesday nur auf dem Bildschirm existieren kann. In Wirklichkeit werden Menschen die „anders sind“, die autistisch sind, die ADHS haben ausgegrenzt und gemobbt. Wie echt ist also unsere Faszination für den Charakter? Und kann die Repräsentation von neurodivergent-kodierten Charakteren in Filmen und Serien für mehr Respekt und Toleranz im echten Leben führen?
Gibt uns Wednesday Hoffnung?
Ja, unsere Faszination mag echt sein, weil sie sich in dem geschützten Rahmen namens Fantasie abspielt. Hier müssen wir uns nicht rechtfertigen vor anderen, müssen nicht interagieren und uns in Folge dessen selbst hinterfragen. Und ja, die mediale Präsenz kann einen Einfluss haben auf unsere Realität. Sie kann dazu führen, dass wir uns – so wie wir beim Schreiben dieses Artikels – intensiver mit der Gesamtthematik auseinandersetzen. Sie kann dazu führen, dass das eigene Auge für beispielsweise Autismus im Alltag geschärft wird. Sie kann dazu führen, dass wir dazu lernen, was den Umgang mit betroffenen Personen angeht. Ganz schön viel kann… Letztlich steht und fällt dieses Potenzial nämlich mit den Zuschauenden und damit, ob diese sich aktiv damit auseinandersetzen und sich nicht nur berieseln und unterhalten lassen. Stichwort: Reflexion.
Die Tatsache, dass auf den sozialen Medien solche Debatten geführt und die Thematiken angesprochen werden, lässt hoffen.
Fotos: ©Netflix und ©Columbia Tri-Star Filmgesellschaft mbhH