Reinsetzen, Zuhören, Mitmachen. Am Montag, 28. November fand die – für dieses Jahr – letzte Veranstaltung der offenen Erzählbühne im Café Haag statt. Es folgt ein Bericht über diesen Wohlfühlabend voller guter Geschichten.
Es ist kurz vor halb neun. Von draußen aus der Kälte kommen die Menschen in Gruppen ins Café Haag und verteilen sich und ihre Winterjacken im Raum. Drinnen ist es warm und jeder Tisch bis auf den letzten Platz besetzt. Angeregt plaudern die Leute miteinander, bestellen sich etwas zu trinken und machen es sich gemütlich. Zwischen den Tischen gehen Hanna und Marlene hin und her und sammeln Namen für ihren Hut, aus dem später die Erzähler*innen gezogen werden.
Dann geht es los. Marlene eröffnet die Veranstaltung diesmal mit einer herzlichen Begrüßung und startet anschließend als erste Erzählerin des Abends. Spätestens nach dem zweiten Satz ihrer selbst geschriebenen Geschichte hat sich das quirlige Stimmengewirr im Raum in aufmerksame Stille verwandelt. Die anwesenden Personen schauen entweder gebannt auf die Bühne oder verträumt in die Gegend. Viele von ihnen haben ihren Kopf auf die Hand gestützt oder lehnen sich entspannt zurück. Alle hören zu, genießen die Geschichte. Die Stille wird zwischendurch nur von einigen herzlichen Lachern unterbrochen und am Ende von lautem Applaus abgelöst. Ein neuer Name wird aus dem Hut gezogen. Die nächste Geschichte beginnt und die Menge taucht wieder ab in die geschilderte Welt. Insgesamt werden an diesem Abend acht Geschichten erzählt. Dabei reicht das Angebot von Zirkusgeschichten über Reiseberichte bis hin zu einer Anekdote über das erstmalige verknallt sein.
Von fiktiv bis selbst erlebt ist alles dabei. Jedes Mal variiert das Programm in Länge und Inhalt, zwischendrin ist aber auch immer eine kleine Pause von ca. 20 Minuten vorgesehen. Was genau erzählt wird, hängt natürlich von den Erzähler*innen ab. Ob Profierzähler*in oder blutige*r Anfänger*in ist dabei vollkommen egal. Diesmal stehen übrigens sechs der acht Erzähler*innen zum ersten Mal auf der Erzählbühne!
Geschichte entsteht auf der Bühne
Das Konzept hinter dem Format der Erzählbühne gestaltet sich sehr frei, hat aber dennoch ein paar konzeptionelle Orientierungspunkte: Jede Person, die erzählen möchte, hat auf der Bühne 10 Minuten Zeit um eine Geschichte ihrer Wahl vorzutragen. Die Erzählung soll dabei möglichst frei – also ohne Text oder Spickzettel – vorgetragen werden.
„Geschichten wirken anders, wenn man frei erzählt“
Hanna Nennewitz
findet Hanna Nennewitz, Moderatorin und Initiatorin der Offenen Erzählbühne Tübingen. Vor fast zwei Jahren gründete sie mitten im Lockdown die Erzählbühne, zusammen mit Marlene Krekeler. Das erste Jahr fand das Format gezwungenermaßen online via Zoom statt. Anders als heute saß das Publikum nicht an Tischen in einem Lokal, sondern mit dem Laptop eingekuschelt unter der Decke im Bett, jede*r bei sich Zuhause. Seit Ende letzten Jahres finden die Erzählabende jedoch regelmäßig im Café Haag statt, die kuschelige Stimmung ist zum Glück geblieben. Termin ist dafür immer der letzte Dienstag im Monat. Ausnahmsweise wurde die Erzählbühne im diesem November auf den Montag verlegt.
Das Konzept Erzählbühne stammt eigentlich aus Berlin, den Zugang zum Geschichtenerzählen hat Hanna über ihre Mutter, die selbst professionell als Erzählkünstlerin auf der Bühne steht. Bei der Offenen Erzählbühne Tübingen übernimmt Hanna die Organisation, bzw. Kommunikation mit der Location sowie die Moderation der Abende. Marlene kümmert sich ebenfalls um die Moderation und darüber hinaus um die Social Media-Präsenz des Formats. Seit einigen Monaten haben die beiden Zuwachs in ihrem Team. Anfangs als Einzelaktion gedacht, kümmert sich Fotograf David Klumpp nun als fester Bestandteil der Erzählbühne um das Bildmaterial der Abende. Alle drei sind dabei für die Veranstaltungsreihe ehrenamtlich tätig.
Erzählbühne ist kein Wettbewerb!
Im Gespräch mit den Organisator*innen tritt vor allem eine Tatsache über die Erzählbühne hervor: Sie ist gedacht als ein Wohlfühlort an dem jede*r willkommen ist und sich auf die Bühne trauen darf, aber niemals muss. Dabei sind vor allem die Zuschauer*innen ausschlaggebend. „Ich liebe das Publikum.“, sagt Marlene. Es gehe darum, dass sich die Menschen trauen können, aus ihrer Komfortzone und auf die Bühne treten. Und das, ohne die Befürchtung, bewertet zu werden. Beim Publikum spüre man so eine ‚Zuhörfreude‘. David, der heute auch zum ersten Mal eine Geschichte erzählt hat, fügt ein: „Es ist egal ob drei oder 50 Leute da sind”, die Stimmung sei immer die gleiche. Auf die Frage, inwiefern sich die Erzählbühne zu ähnlichen Formaten wie beispielsweise dem Poetry Slam unterscheide, betont Hanna: „Die Erzählbühne ist kein Wettbewerb.“ Dadurch gebe es auch eine niedrigere Hemmschwelle, sich auf die Bühne zu trauen. Gerade für Ungeübte ist diese Freiheit der Erzählbühne eine einladende Gelegenheit, sich auf der Bühne auszuprobieren.
Die nächste Offene Erzählbühne findet statt am Dienstag, 31. Januar 2023 um 20 Uhr im Cafe Haag.
Hier findet ihr den Instagram Account der Erzählbühne.
Fotos: David Klumpp
Toller Text! Vielen Dank für den super Beitrag. Auch eine klasse Beschreibung der Stimmung. Hat mich direkt gecatcht, nächstes mal bin ich definitiv dabei. Bis Dienstag 🙂
Liebe Grüße!