Ungefähr eine Milliarde Menschen sind von Korallen abhängig. Viele Korallenriffe sterben in Folge des Klimawandels rasant – mit gravierenden Folgen für Mensch und Umwelt. Bei einem Online-Vortrag des Tübinger Wissenschaftsmagazins Science Notes erzählen die Forscher*innen Yusuf El-Khaled und Carin Jantzen von ihrer Arbeit als Retter*innen der Korallen.
Unser Planet geht vor die Hunde. Die schleppenden Verhandlungen beim UN-Klimagipfel in Glasgow empören nicht nur Klimaaktivist*innen von Fridays For Future. Sie erwecken auch den Anschein, dass wir noch Zeit haben. Aber die haben wir nicht, sind sich Dr. Carin Jantzen und Dr. Yusuf El-Khaled einig. Nicht, wenn wir eines der vielfältigsten Ökosysteme des Meeres retten wollen. „Wir müssen alles dafür tun, den Klimawandel aufzuhalten“, sagt Jantzen bei dem Online-Vortrag des Tübinger Wissenschaftsmagazins Science Notes vergangenen Donnerstag (04.11.2021). Die Korallenriffökologin leitet die Öffentlichkeitsarbeit von SECORE, einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die sich für die großflächige Wiederaufforstung von Korallenriffen einsetzt. Rund 90 Minuten berichteten Jantzen und El-Khaled, Forscher im Bereich Marine Ökologie der Uni Bremen, von ihrer Arbeit für den Erhalt von Korallenriffen. Denn: Knapp 30 Prozent der aller Korallenriffe sind bereits gestorben, weitere 40 Prozent sind bedroht. Aber warum sind Korallen eigentlich so wichtig?
„Korallenriffe sind eine Art Frühwarnsystem für den globalen Klimawandel“
Warmwasserriffe befinden sich vor allem in Küstennähe und nahe urbanen Räumen, erklärt El-Khaled. Sie bedecken zwar nicht mal ein Prozent der weltweiten Ozeanoberfläche, trotzdem nehmen sie eine Schlüsselrolle für das Überleben vieler Arten, besonders in Küstennähe, ein. Das liegt an den vielen Funktionen der Riffe. Sie sind nicht nur für andere Ökosysteme überlebenswichtig, auch für Menschen übernehmen sie viele Aufgaben. Korallen sind eine Art natürlicher Küstenschutz. Durch ihre Struktur brechen sie große Wellen, was bei Stürmen und Orkanen für Regionen in Küstennähe wichtig ist. Außerdem schaffen sie einen Artenreichtum, der für die maritime Biodiversität zentral ist. „Korallen beherbergen mehr als 1 Millionen Arten“, so El-Khaled. Korallen sind Nahrungsquellen für viele Tiere und steigern die Produktivität ganzer Regionen, da sie durch ihre faszinierende Optik viele Tourist*innen anziehen. Etwa eine Milliarde Menschen ist von Korallen wegen dieser Funktionen abhängig. El-Khaled erklärt, dass Korallenriffe einen ökonomischen Wert von ca. 170 Milliarden Dollar pro Jahr besitzen.
Korallenriffe dienen auch als eine Art Frühwarnsystem für den globalen Klimawandel, sagt der Bremer Meeresbiologe. Die in den vergangenen Jahren immer deutlicher gewordene Korallenkrise sei somit eine Art Spiegel für die globale Klimakrise. Korallen leiden besonders unter zwei Faktoren: Die Ozeanerwärmung sorgt dafür, dass viele Organismen, die Korallen zum Überleben benötigen, sterben. Zusätzlich schadet die Ozeanansäuerung den Korallen. Sie hängt vor allem mit dem Anstieg an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre zusammen. Neben diesen beiden globalen Faktoren stellen einige lokale Faktoren wie Überfischung und Tourismus eine echte Bedrohung für Korallen dar. Sind Korallen gestresst, geben ihre Symbionten toxische Stoffe ab, sodass die Koralle diese Partnerschaft beendet. Man erkennt solche gefährdeten Korallen an ihrer weißen Färbung, der sogenannten Korallenbleiche. Sind Korallen einmal gebleicht, ist es sehr schwer, sie wiederherzustellen. In den meisten Fällen sterben gebleichte Korallen – mit fatalen Folgen für die Region.
Was kann man gegen diese Entwicklung tun?
Um dem Korallensterben entgegenzuwirken, forsten Carin Jantzen und ihr Team die Riffe wieder auf. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen vor Ort werden Korallenlarven zunächst an sogenannten Siedlungssteinen gezüchtet. Das sind Steine aus unbedenklichen Materialien, die so geformt sind, dass sich die jungen Korallen gut an ihnen verankern können. Jeder Stein beherbergt dabei eine Koralle. Die Korallen wachsen dann in einer geschützten, zeltartigen Konstruktion, dem sogenannten Coral Crib, direkt im Meerwasser auf. Denn: „Korallenbabys sind ziemlich picky, sie mögen es gern gemütlich“, erklärt Jantzen schmunzelnd. Die kleinen Korallen benötigen zum Wachsen eine genau auf sie abgestimmte Umgebung. Haben sie die richtige Größe erreicht, werden die mit Korallen bewachsenen Siedlungssteine in bestehende Riffe ausgesetzt. Durch ihre besondere Form verhaken sie sich selbst in der Riffstruktur. Mit der Zeit überwachsen die Korallen die Siedlungssteine und integrieren sich so in das Riff. Obwohl die Aufzucht von Korallen mittlerweile gut funktioniert, ist sie nicht das Wundermittel gegen das Korallensterben. Es sei sehr schwierig, große Flächen zügig aufzuforsten. Um die Siedlungsrate zu verbessern, greife SECORE auf unterschiedliche Methoden zurück, denn um dem Flächenproblem zu begegnen, „müssen wir auf Masse gehen“, so Jantzen. Eine Hilfestellung sei das sogenannte Conditioning, bei dem Siedlungssteine für vier bis sechs Wochen ins Meer kommen, bevor Korallen auf ihnen angesiedelt werden. So kann sich ein Substrat bilden, das den kleinen Korallen gut beim Wachsen hilft. Eine andere Methode, um das Wachsen der Korallen zu unterstützen besteht darin, Siedlungssteine mit verschiedenen Designs auszuprobieren.
Am Ende steht fest: Bloßes Aufforsten wird die Korallenriffe nicht retten. Das hätte schwerwiegende Folgen für Mensch und Natur, da Korallen wichtiger Bestandteil der Meere sind. Eine schnelle und effektive Bekämpfung des Klimawandels ist die einzige Chance, Korallenriffe nachhaltig zu erhalten, sind sich die Forscher*innen sicher. Gegen die Übersäuerung der Meere gebe es bislang keine vielversprechenden Methoden, allerdings sei der rasche Anstieg der Temperaturen das dringendere Problem. „Kann man bei dieser Perspektive noch optimistisch bleiben?“, steht als Frage gegen Ende im Chat. Yusuf El-Khaled lacht. „Na ja, wenn wir nicht optimistisch wären, dass wir die Korallen retten können, wären wir heute Abend nicht hier.“ Auch Carin Jantzen meint: „Wenn wir jetzt entschieden etwas gegen den Klimawandel tun, können wir es noch schaffen.“ Am Freitag endet der Klimagipfel in Glasgow. Ob die Korallen in Zukunft auf bessere Bedingungen hoffen können, bleibt abzuwarten. Klar ist allerdings, dass es viele weitere Korallen-Kindergärten geben wird, um die sich Teams von Forscher*innen kümmern werden.
Die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit dem ICRS2022 ausgerichtet. Thomas Susanka, Herausgeber der Science Notes, moderierte sie.
Bilder: Yusuf El-Khaled, SECORE International
Beitragsbild: pexels.com