In dem Roman „Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“ von Rachel Joyce dreht sich alles um Musik, die unabwendbaren Veränderungen des Lebens und um eine zauberhafte Liebesgeschichte, wie sie sich heimlich jede*r wünscht. Mit viel Dialogwitz und einer unterschwelligen Melancholie erzählt, ist die Geschichte vor allem eine Lektion über das Leben.
Die Geschichte beginnt und endet in einem kleinen Plattenladen. Dort arbeitet Frank, ein 40-jähriger Junggeselle, der groß ist wie ein Bär. Frank hat eine besondere Gabe – er spürt ganz genau, welche Musik die Menschen um ihn herum brauchen. Auf diese Weise rettet er Ehen, heilt Liebeskummer und macht die Menschen um ihn herum glücklich. Eines Tages fällt vor Franks Laden eine junge Frau in Ohnmacht. Ilse Brauchmann ist schön und mysteriös, und hat Augen wie Vinyl. Doch wenn Frank versucht ihre Musik zu erspüren, hört er nur Stille.
Ilse umgeben viele Geheimnisse. Woher kommt diese Stille, die in ihr klingt? Was macht eine Ausländerin in diesem verlassenen Winkel Englands? Und warum nimmt sie nie ihre Handschuhe ab? Ehe er sich versieht, hat sich Frank, den sonst nichts aus der Fassung bringt, Hals über Kopf verliebt.
„Die große Stille in ihr zog ihn unwiderstehlich an, sie war so tief, eine Stille mit unendlichen Möglichkeiten.“
Nebenbei stehen Frank und die anderen Ladenbesitzer in der Unity Street vor einem Problem. Im Jahre 1988 laufen die kleinen Läden nicht mehr gut und werden von Einkaufszentren verdrängt. Im Ort macht eine große Chipsfabrik auf, weshalb es überall nach Käse und Zwiebeln stinkt. Frank nimmt den tollpatschigen Kit unter seine Fittiche, um ihn vor dem jammervollen Schicksal zu bewahren, dort arbeiten zu müssen. Eine große Immobilien-Firma möchte nach und nach alle kleinen Läden aufkaufen. Frank weigert sich standhaft, diese neuartigen CDs zu verkaufen und glaubt daran, dass Vinyl überdauert („CDs, das ist keine Musik. Das ist Spielzeug“). Die Weigerung, dem Puls der Zeit zu folgen, bringt seinen Plattenladen in die Bredouille. So muss Frank nicht nur das Herz der mysteriösen Ilse Brauchmann erobern, sondern auch eine kleine Ladenstraße retten.
Lektionen über Musik und die Liebe
Die Leser*innen erhalten von Frank ungewöhnliche Lehrstunden über Musik. Dabei geht es weniger um die Technik, sondern um die Gefühle, die Musik auslöst. Die Erzählung wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, in denen sich Frank an die destruktive Beziehung zu seiner Mutter erinnert, welche in ihm die Liebe zur Musik und zu den Schallplatten erweckt hat, aber ihm nie eine normale Mutter gewesen ist. Vor allem klassische Musik wird mit solcher Leidenschaft erzählt, dass man sie plötzlich mit ganz anderen Augen sieht. „Bachs Musik ist wie ein Drogentrip“, schwärmt Franks Mutter. Eine besondere Rolle spielt in der Musik außerdem die Stille: „Die Stille ist der Ort, wo sich Magie ereignet.“ Es ist dieselbe Stille, die Frank auch in Ilse hört, und die ihn so sehr in den Bann zieht.
„Und natürlich ist die Stille am Anfang eines Musikstücks immer anders als die Stille am Ende. […] Weil sich, während du zuhörst, die Welt verändert.“
Allein schon für den melodischen Titel muss man dieses Buch lieben. Rachel Joyce hat mit Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie einen wunderschönen Roman geschaffen, der auf tragisch komische Art und Weise die Schönheit des Lebens und der Liebe feiert. Mit ihrem detaillierten Erzählstil schafft sie es, die kleine Ladenstraße und ihre skurrilen Besitzer zum Leben zu erwecken. Mit viel Situationskomik beschreibt sie die Eigenarten der Figuren und die ebenso holprige wie liebenswerte Annäherung zwischen Frank und Ilse. Aus dem Riesen Frank wird plötzlich ein schüchterner Junge: „Nun, da er seine Füße musterte, fiel ihm auf, dass seine Schuhe groß waren wie Brotlaibe und von Isolierband zusammengehalten wurden. Er fragte sich, warum er noch nie auf die Idee gekommen war, sich neue zu kaufen.“ Durch die detaillierte Beschreibung wirken die Charaktere lebendig und greifbar und vor allem sympathisch. Am Ende wünscht man sich nur noch, dass alle ein Happy End finden.
Verpasste Chancen
Die realitätsnahe Erzählung hat aber auch ihre tragischen Züge. Besonders zentral ist das Motiv der Vergänglichkeit. Die Vergänglichkeit von Glück, Lebensumständen, Schallplatten und kleinen Läden. Was die Geschichte einem schmerzhaft vor Augen führt, sind die Folgen von verpassten Chancen, fehlendem Mut und was passieren kann, wenn man sich zu sehr selbst im Weg steht. Frank muss lernen, dass manche Veränderungen unabwendbar sind, egal wie sehr man sich weigert sie anzuerkennen. Manchmal pfuscht einem auch das Schicksal in die sorgfältig ausgedachten Pläne hinein und macht dem eigenen Glück einen Strich durch die Rechnung. Eine Mischung aus Sturheit, Angst und Naivität sorgen dafür, dass Frank in einem Moment, in dem er alles in der Hand hat, stattdessen alles verliert. Und als wäre die Hürde im eigenen Kopf nicht genug, kommt bei Frank schließlich auch noch Pech dazu.
„Stille. Eine Stille, die so angespannt, so kompliziert und so schön war, dass er Ilse Brauchmann in einem anderen Leben vielleicht geküsst hätte.“
Eine Chance, die man lange herbeigesehnt hat, ungenutzt vorbeiziehen zu lassen, weil man im entscheidenden Moment Angst bekommt, ist ein allzu menschliches Gefühl. Diese Geschichte ist so voller ungenutzter Möglichkeiten, dass es beim Lesen fast schmerzt. Die Charaktere stehen sich auf ihrem Weg zum Glück vor allem selbst im Weg. Schlussendlich ist es genau diese Unvollkommenheit, die die Charaktere so realistisch und nahbar macht. Am Ende steht Frank vor seinem abgebrannten Plattenladen, einem Berg Schulden und einer Liebesgeschichte, die zu Ende ist, bevor sie richtig angefangen hat. Vor dem Scherbenhaufen seiner Träume stehend, landet Frank dort, wo er nie landet wollte: In der Chipsfabrik.
Neben allen Lektionen, die der Roman vermittelt, ist aber die zentrale Botschaft der Sieg der Liebe über alles. Am Ende wird doch immer alles gut, egal wie lange es dauert. Zumindest in diesem Roman. Denn, obwohl ihre Fehler Frank und Ilse auseinandergebracht haben, können sie einander nie vergessen. 21 Jahre (CDs will schon niemand mehr kaufen) und ein Flashmob später, finden die beiden trotzdem noch zueinander. Und die Geschichte endet, wie sie begonnen hat. Mit einem kleinen Plattenladen.
Bewertung
Die Liebesgeschichte ist mitreißend und gefühlvoll erzählt, ohne dabei kitschig zu werden. Alle Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und im Hintergrund schwellt die Gefahr der Modernisierung, wodurch ein tiefergehendes Thema aufgegriffen wird. Für die zeitlose Handlung mit dem Retro-Flair der Achtzigerjahre gibt es deshalb die volle Punktzahl von 5 Kupferblau-Sternen. Das Buch ist in herkömmlichen Buchhandlungen ebenso verfügbar wie auf Amazon oder direkt beim Verlag. Wer E-Books bevorzugt, findet das Buch auch für den Kindle. Und alle, die ungerne lesen, erhalten es auch als Hörbuch bei Audible oder Bookbeat. Für die Verfügbarkeit gibt es darum 4 Kupferblau-Sterne. Insgesamt handelt es sich um genau das richtige Buch für verregnete Tage auf dem Sofa, am Strand oder in der Bahn – also eigentlich für jeden Anlass. Bei diesem Wohlfühlbuch ist die Prokrastinationsgefahr also ziemlich hoch und es erhält in dieser Kategorie daher ebenfalls 4 Kupferblau-Sterne.
Fotos: © Theresa Heil
Illustration: Hagen Wagner