Mit „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (SDG 13) sind die UN-Nachhaltigkeitsziele auch auf die Lösung der Klimakrise ausgerichtet. Am Montag letzte Woche erklärten die Umweltphysikerin Prof. Dr. Kira Rehfeld und die Politologin Dr. Melanie Nagel im Rahmen des Studium Generale, warum Klimaschutz wichtig ist, warum bislang so wenig geschieht und was wir dagegen tun können.
Kommen eine Politologin und eine Klimatologin in einen voll besetzten Hörsaal – dass eine Natur- und eine Sozialwissenschaftlerin gemeinsam einen Vortrag halten, mag erst einmal wirken wie der Anfang eines schlechten Witzes. Tatsächlich jedoch gaben sich die beiden Rednerinnen größte Mühe, sich inhaltlich gegenseitig zu ergänzen, was ihnen in der Regel auch gut gelang. Unter dem Titel Dem Klima ist egal, wie wir CO2 einsparen, den Menschen nicht – Natur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Klimaschutz (SDG 13) nahmen die Klima- und die Politikwissenschaftlerin sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Klimakrise und deren Bewältigung ein.
Das 13. der Sustainable Development Goals (SDG) lautet in voller Länge: „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“. Damit diese Maßnahmen umgesetzt werden, hält Melanie Nagel die Sozialwissenschaften für unverzichtbar. Diese brauche es, um gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und zugänglich zu machen, so auch beim Klimaschutz. Ein wichtiger Aspekt ist laut der Politologin das soziale und politische Lernen – so wichtig gar, dass sie den sozialen Wandel für wichtiger erachtet als die klimatischen Kipppunkte.
Die Verantwortlichen: Politik und Gesellschaft
Insgesamt nennt Nagel drei große Faktoren für eine erfolgreiche gesellschaftliche Transformation: Governance, Wissen und das bereits erwähnte Politiklernen. Governance meint in diesem Fall die strukturelle Beschaffenheit von Staaten und Regierungen sowie die stärkere Zusammenarbeit dieser untereinander. Sie vergleicht dabei die Effektivität pluralistischer Demokratien, also einem stark unterteilten Staat, wie den USA und korporatistischer Systeme wie der EU. Das Ergebnis: Letztere setzen mehr Veränderungen um in puncto Klimapolitik als erstere – besonders wenn sie Umweltverbände in Entscheidungen mit einbeziehen.
Mit Wissen meint die Politikwissenschaftlerin in diesem Fall das Wissen um das stattfindende diskursive Framing. Dieser Begriff beschreibt, wie verschiedene Akteure eine Thematik, in diesem Fall den Klimawandel, darstellen. Gemeint sind hier hauptsächlich Klimaleugner*innen, allerdings auch der Mediendiskurs sowie die sehr unterschiedliche diskursive Bereitschaft in Industrie und Wirtschaft, Emissionen zu sparen. Dabei hängt die Macht und der politische Einfluss der Befürworter und Gegner von der Anzahl der Kollaborationsverbindungen mit Umweltorganisationen ab. Zudem sei die Bevölkerung eines Landes eine äußerst einflussreiche Institution, gerade durch den Klimagerechtigkeitsdiskurs, da dieser zu Politiklernen führe.
Unter Politiklernen versteht Nagel, dass die Zivilgesellschaft aus der politischen Vergangenheit lernt und diese Erfahrungen auf die aktuelle Politik, also hauptsächlich das Wahlverhalten, entsprechend anwendet. Politiklernen bringe eine Veränderung der vorherrschenden Meinung und Präferenzen, was wiederum zu Veränderungen der politischen Ergebnisse führe.
Abschließend fasst die Politologin zusammen: „Gesellschaftspolitische Dynamiken sind vielschichtig“. Diese würden sowohl kulturelle und diskursive Dimensionen als auch politische Interaktion und Mobilisierung beinhalten. Um die Herausforderung des „menschlichen Systemübergangs“ zur Klimaneutralität zu bewältigen, sei außerdem ein „klares Verständnis der potenziellen Hebel und Hindernisse“ notwendig. Für diesen Systemübergang nennt Nagel allgemein folgende Aspekte als ausschlaggebend: Materielles (finanzielle und sonstige Ressourcen), soziale und politische Institutionen (Wahlsysteme, Veränderungsträgheit) sowie kulturelle Faktoren (Ideologie und politische Kultur).
Naturwissenschaftliche Lösungsansätze
Nach einer halben Stunde beginnt Rehfelds Teil der Rede. Zu Beginn zeigt sie die neuesten wissenschaftlichen Graphiken und Statistiken zu den klimatischen Kipppunkten und dem globalen Temperaturanstieg. Ihr Fazit: Das 1,5-Grad-Ziel hätten wir schon gerissen, die 2 Grad-Grenze könnten wir nur noch erreichen, wenn wir jetzt sofort unsere Emissionen „drastisch reduzieren“ würden.
Im Anschluss stellt die Umweltphysikerin einige Technologien zur CO2-Absorbierung vor, unter anderem auch bioenergy with carbon capture and storage, kurz BECCS: das Absorbieren von CO2 durch Pflanzen, die Gewinnung von Biogas aus diesen und das Abfangen und Speichern der dabei entstehenden Emissionen. Ein ähnliches Konzept wurde bereits im Vortrag der vorherigen Woche vorgestellt (wir berichteten).
Klimakrise erfordert übergreifende Zusammenarbeit
Zum Ende hin betonen die beiden Wissenschaftlerinnen die Relevanz interdisziplinärer Forschung. Diese gehe bereits hervor aus der Überschneidung der SDGs und der damit einhergehenden Überlappung verschiedener Wissenschaftsbereiche. Zudem sei auch für konkrete Lösungskonzepte inter- und transdisziplinäre Kooperation notwendig: Nicht nur zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, sondern auch zwischen Industrie, Ingenieurswissenschaften, Computer Science und Naturwissenschaften. So etwa bei technologischen Lösungen wie Photovoltaik-Anlagen, verschiedenen Speichertechnologien oder auch den bereits erwähnten modernen biotechnologischen Verfahren.
Wer sich für Details wie etwa die klimatologischen Daten interessiert, findet die Folien des Vortrags auf ILIAS. Der Kursordner ist unter folgendem Pfad auffindbar: Veranstaltungen Magazin WiSe 23/24 > Außerfakultäre Veranstaltungen > Studium Generale > Vortragsreihe 17 SGDs. Das Passwort für den Kurs lautet StudGenSDG. Externe ohne ZDV-Uni-Account können per Mail an nachhaltig@uni-tuebingen.de Zugang zu dem ILIAS-Ordner beantragen.
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