Wie war das nochmal? „Lebe jeden Tag, als wäre es der Letzte“. Die Meisten von uns können solche Weisheiten nicht mehr hören. Wer muss denn noch einmal daran erinnert werden, dass man das Leben in vollen Zügen genießen sollte? So klischeehaft das auch klingen mag, in den Sprüchen steckt doch auch ein wenig Wahrheit. Manchmal müssen wir uns bewusst machen: Irgendwann hat alles ein Ende. In seinem Roman „Am Ende sterben wir sowieso“ führt uns Adam Silvera diesen Gedanken so zeitlos wie tragisch vor Augen.
Mitten aus dem Leben herausgerissen
Ein Anruf kurz nach Mitternacht. Plötzlich, wie aus dem Nichts – und die Mitteilung, dass dir noch maximal 24 Stunden Lebenszeit bleiben. Wie würdest du deinen Tag gestalten, mit dem Wissen, dass es gleichzeitig dein Letzter sein wird? In seinem 2017 erschienenen Roman „Am Ende sterben wir sowieso“ (Original Titel: „They Both Die at the End“) schildert Adam Silvera eine solche Welt, in der man an seinem letzten Tag diese Vorwarnung per Anruf erhält.
Nun befinden sich Mateo und Rufus in derselben Situation – zwei Jungs und deutlich zu jung, um sich aus dem Leben verabschieden zu müssen. Zu Beginn kennen sich die beiden zwar nicht, aber im Verlauf des Romans kreuzen sich ihre Wege, indem sie durch die App „Letzte Freunde“ aufeinandertreffen. Auch wenn sie es im Augenblick vielleicht noch gar nicht erahnen können, werden sie gemeinsam ein ganzes Leben an einem einzigen magischen und gleichzeitig tragischen Tag erleben. Eine zwar kurzlebige, aber dennoch ergreifende und zutiefst berührende Geschichte der beiden, die uns die Augen öffnet und zeigt, was es heißt, den Tag tatsächlich gelebt zu haben.
„Vielleicht ist es besser, es an einem Tag richtig gemacht zu haben und glücklich gewesen zu sein, anstatt sein ganzes Leben falsch zu leben.“
aus »Am Ende sterben wir sowieso« (Adam Silvera)
Lieber etwas riskieren oder ewig bereuen, sich nicht getraut zu haben?
Besonders bewundernswert ist Mateos Entwicklung. Aus dem eher ängstlichen, menschenscheuen und in seiner eigenen Welt versunkenen Jungen, der sich beinahe nicht dazu bewegen konnte, Zeit außerhalb seiner Wohnung zu verbringen, wird ein ganz anderer Mensch. Mutig verlässt er seine Höhle, um ohne drängende Gedanken endlich seinen Wünschen nachzugehen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Leser*innen mit ihm sehr gut mitfiebern können – unsere eigene Sorgen finden sich häufig in Mateos Gedanken wieder. Wer hat denn noch nie eine Chance verpasst, nur weil die Entscheidung zu riskant erschien? Oder eine einmalige Möglichkeit nur wegen der ewigen Angst vor dem Unbekannten versäumt? Oft stehen wir uns dabei selbst im Weg.
Gerade dazu ermutigt der Roman seine Leser*innen: Der Schritt ins Ungewisse mag sich beängstigend anfühlen – aber ohne spontane Abenteuer und unvergessliche Begegnungen wäre das Leben mit großer Sicherheit unvollständig.
Seien es Vertrautheit, Wertschätzung oder enge Bindungen – Freundschaften bereichern unser Dasein. In diesem Buch ist es nicht anders. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte. Zwar verbindet ihr gemeinsames Schicksal die beiden Jungs auf einer emotionalen Ebene, im Ganzen bringen die Nebenfiguren die wahre Freundschaft zum Vorschein – sie scheuen sich auch nicht davor zurück, ihre liebsten Freunde in ihrer verbleibenden Zeit treu zu begleiten.
„Man wird zwar in eine Familie hineingeboren, aber man findet Freundschaften. Bei manchen wird man feststellen, dass man sie besser hinter sich lässt. Andere sind jedes Risiko wert.“
Autor Adam Silvera über Freundschaften
Wie verdammt wertvoll unsere Zeit ist
Auch wenn der Tod im Verlauf des Romans allgegenwärtig ist, handelt es sich weder um ein Buch, das trocken Wissen vermittelt, noch dazu zwingt, eine bestimmte Sichtweise einzunehmen. Vielmehr ist das anspruchsvolle Thema in eine nette (und herzzerreißende) Geschichte verpackt, die fraglos von einem elegischen Unterton begleitet wird. Uns erscheint das Thema meist doch so befremdlich, denn wir haben noch so viele Träume zu verwirklichen und so viele Ziele in zu erreichen. Gleichzeitig öffnet der Roman seinen Leser*innen die Augen: Unsere Zeit ist begrenzt.
„Ich kann dir nicht sagen, wie du um mich trauen sollst. Ich kann dich nicht davon überzeugen, keine Schuldgefühle zu haben, wenn du meinen Todestag vergisst oder wenn du feststellst, dass Tage, Wochen oder Monate vergangen sind, ohne dass du an mich gedacht hättest. Ich will einfach nur, dass du lebst.“
Protagonist Mateo zu seiner besten Freundin Lidia, als sie von der schockierenden Nachricht erfährt
Einen dankbaren Blick auf das Leben einzunehmen und dabei all die gemeinsamen Momente wertzuschätzen, solange dies möglich ist – das ist alles, was zählt. Schlussendlich wissen wir bis heute nicht, was dahinterkommt. Nur eines steht fest: die Liste der Fragen ist endlos. Wie gestaltet man seinen letzten Tag, mit dem Wissen, dass es keinen mehr geben wird? Würden wir unsere Ängste überwinden, um unsere letzten Wünsche zu erfüllen? Und wie nimmt man Abschied – davon ausgegangen, dass es sich dafür überhaupt die Möglichkeit ergibt?!
Die Wahrheit des Klischees
Jedes Buch trägt etwas Magisches in sich. Mal als Flucht vor der Wirklichkeit in die schöne Literatur, ein anderes Mal als Bibliothek des Wissens – und manchmal auch als eine Stütze, wenn man mit schwierigen Emotionen zu kämpfen hat. Wenn sie nicht gerade im verstaubten Regal stehen, schildern Bücher spannende Utopien, die uns in ihre Welt hineinsaugen oder berührende Geschichten, für die man am liebsten die Taschentücher auspacken würde. Bücher können aber viel mehr: Sie öffnen neue Perspektiven. Gerade der Roman „Am Ende sterben wir sowieso“ führt uns vor Augen, wie abrupt etwas enden kann und wie kurz das Leben doch ist, um nicht jeden Augenblick wertzuschätzen.
Beitragsbild und Illustrationen: Kamilla Berentei, unsplash.com (Danielle MacInnes)