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Gleiche Bühne für alle? Wenn Frauen auf Festivals benachteiligt werden – Ein Kommentar

Eigentlich sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Aber bei einem Blick auf die Line-ups der diesjährigen Musikfestivals stellt sich die Frage, wo bleiben die weiblichen und genderqueeren Acts. Über die Diversität der Festivals hat die Kupferblau-Redakteurin Paula Jagsch folgende Meinung.

Die Sonne scheint, Musik dröhnt aus den Lautsprechern und tausende Menschen tanzen schwitzend zu lauten Beats. Auf Bühnen bei Rock am Ring treten dieses Jahr Acts wie Bring Me The Horizon, The Prodigy, Slipknot, K.I.Z, Kontra K und Falling In Reverse als Headliner auf. Doch auffällig ist, dass es fast ausschließlich Männer sind. Nur für die Headliner-Band Sleep Token stehen überhaupt Frauen auf der Bühne. Headliner sind die Acts mit dem höchsten Bekanntheitsgrad auf einem Musikfestival. Im Normalfall werden diese Künstler*innen und Bands am stärksten in den Medien beworben, weil sie viele Besucher*innen anziehen sollen. Sie spielen am Ende des Festivaltages, erhalten die längste Spielzeit und werden am besten bezahlt.

Schon 2021 gab es rund um Rock am Ring einen medialen Aufschrei um die ungerechte Verteilung von Künstler*innen auf Festivals. Das Netzwerk Music S Women* bemängelte, dass FLINTA*-Künstler*innen dort seit Jahrzehnten unterrepräsentiert sind. Dazu hat Music S Women* das Bühnenprogramm von Rock am Ring ausgezählt und festgestellt, dass von 2010 bis 2024 durchschnittlich 4,6 Prozent weibliche Musikerinnen auf den Bühnen dieses Festivals standen und nur eine einzige nicht-binäre Person. Auf anderen großen Festivals wie dem Highfield, dem Southside oder dem Wacken Open Air sieht es nicht gerade besser aus.

Was bedeutet FLINTA*?
FLINTA* ist ein Akronym und steht für heterosexuelle und lesbische Frauen* und intergeschlechtliche, nicht-binäre, transgeschlechtliche und agender Personen. Das Sternchen (*) signalisiert, dass die Bezeichnung nicht abschließend ist und weitere geschlechtliche Identitäten einschließen soll, die nicht cis-männlich sind.
Inter* oder intergeschlechtlich bedeutet, dass eine Person mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, die nicht eindeutig in die medizinischen Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ passen. Das kann sich auf Chromosomen, Hormone oder anatomische Merkmale beziehen.
Nicht-binär ist ein Oberbegriff für Geschlechtsidentitäten, die außerhalb des binären Geschlechtersystems von männlich und weiblich liegen. Manche nicht-binäre Menschen sehen sich zwischen diesen Kategorien, außerhalb davon oder sind fluid in ihrer Geschlechtsidentität.
Trans* oder transgeschlechtlich ist ein Sammelbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das Sternchen (*) weist darauf hin, dass der Begriff verschiedene Identitäten umfasst, z. B. trans Männer, trans Frauen oder nicht-binäre trans Personen. Trans* ist nicht dasselbe wie intergeschlechtlich: Intergeschlechtlichkeit bezieht sich auf körperliche Merkmale, während trans* sein eine Frage der Identität ist.
Agender bedeutet, dass eine Person keine oder nur eine sehr geringe Geschlechtsidentität empfindet und sich deshalb weder als männlich noch als weiblich identifiziert. Sie fühlen sich oft außerhalb des Geschlechtersystems. Agender kann unter den nicht-binären Identitäten eingeordnet werden, aber nicht jede nicht-binäre Person ist agender.

Warum eine Frauenquote sinnvoll ist

Eine Frauenquote bzw. eine Quote für nicht-männliche Personen ist wichtig, um strukturelle Ungleichheiten abzubauen und Chancengleichheit zu fördern. Sie stellt sicher, dass nicht-männliche Personen in bestimmten Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind, stärker berücksichtigt werden – sei es in Unternehmen, der Politik oder anderen Branchen. Oft liegt es nicht am fehlenden Talent oder Interesse von Frauen, sondern an einer historisch gewachsenen männerdominierten Gesellschaft, die Strukturen gefestigt und Vorurteile geschaffen hat.

Diese Dominanz spiegelt sich in vielen Bereichen wider, so werden beispielsweise Führungspositionen in Unternehmen meistens männlich besetzt. Im Jahr 2023 waren nur knapp 29 Prozent der Führungskräfte in Deutschland Frauen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das Statistische Bundesamt hat außerdem errechnet, dass Frauen im Durchschnitt 16 Prozent weniger als Männer verdienen, dieser Verdienstunterschied pro Stunde wird auch Gender Pay Gap genannt. Gesellschaftliche Normen beeinflussen Berufswahl und Karrierechancen, unter anderem weil technische und leitende Berufe als „männlich“ gelten, während Frauen häufiger in sozialen Berufen arbeiten, die zusätzlich auch noch schlechter bezahlt werden. Frauen arbeiten darüber hinaus häufiger in Teilzeit als Männer. Ein weiteres Hindernis kann der Gender Bias darstellen, also unbewusste geschlechtsbezogene Diskriminierung, die Frauen und nicht-männliche Personen benachteiligt.

Frauen erhalten in der Wissenschaft weniger Anerkennung – ihre wissenschaftlichen Publikationen werden seltener veröffentlicht, trotz gleicher Arbeit. Das haben Forscher*innen im Jahr 2022 durch eine umfassende Analyse, die sich auf Daten von US-amerikanischen Universitäten und Hochschulen stützt, herausgefunden. Auch in der Politik sind Frauen unterrepräsentiert. Im 20. Deutschen Bundestag (2021-2024) waren nur 35,1 Prozent Frauen und 64,9 Prozent Männer vertreten. In Landesparlamenten, Stadt- und Gemeinderäten nehmen Frauen durchschnittlich noch weniger teil, so die Bundesstiftung Gleichstellung. Wenn Frauen gleichberechtigt an der Politik teilhaben können, erhalten Themen, die für sie und ihre Lebenssituationen wichtig sind, mehr Sichtbarkeit. In großen Unternehmen ist in Deutschland eine Frauenquote festgeschrieben. Andere sind da schon weiter: Die Stadt Bern will eine FLINTA*-Quote einführen, sodass ab 2026 mindestens 50 Prozent der städtischen Führungskräfte von heterosexuellen, lesbischen und bi Frauen sowie intergeschlechtlichen, nicht-binären, trans* und agender Personen besetzt werden.

In der Musikbranche sieht es ähnlich aus: Trotz vieler talentierter Künstlerinnen, trans*, nicht-binären und queeren Acts dominieren immer noch männliche Musiker die Line-ups. Das hat auch die Autorin und Kulturarbeiterin Rike van Kleef in einer wissenschaftlichen Studie herausgefunden, in der sie die Line-ups der fünf am meisten besuchten Musikfestivals von 2019 untersucht hat. Auch sie spricht sich dafür aus, dass eine Quote helfen könnte, mehr Vielfalt auf die Bühnen zu bringen, neue Vorbilder zu schaffen und langfristig die Strukturen der Branche zu verändern. Letztlich profitieren alle davon – das Publikum bekommt vielfältige Musik von unbekannteren Künstler*innen zu hören und die Szene öffnet sich für neue Perspektiven.

Die Musikbranche hat ein strukturelles Problem mit Diversität

Obwohl es viele weibliche, nicht-binäre, queere oder trans* Künstler*innen gibt, treten diese kaum auf den großen Festivalbühnen auf. „Oft werden auch ökonomische Gründe genannt, dann heißt es, wir brauchen die männlichen Headliner, weil FLINTA*-Acts weniger ziehen“, so Rike van Kleef im Interview mit dem Magazin tipBerlin. Dabei könne man beispielsweise ohne Probleme ganze Line-ups für Pop-Festivals mit FLINTA*-Headliner*innen wie Olivia Rodrigo, Dilla, Charli xcx und Kim Petras besetzen. Dazu sagt Rike van Kleef: „Wenn man es als Festival ernst meint, könnte man ja auch erstmal damit anfangen, den Mittelbau [des Line-ups] mit mehr FLINTA*-Acts zu besetzen.“

Denn wenn nicht-männliche Personen auf Musikfestivals seltener oder gar nicht gebucht werden, hat das gleich doppelt negative Folgen für ihre Karrieren: Mit einem Auftritt auf einem großen Festival geht oft eine riesige Sichtbarkeit einher, sowohl auf dem Festival an sich als auch in den Medien und auf Social Media. Wenn so ein Festivalauftritt ausbleibt, dann fehlen den Künstler*innen wichtige Auftrittsmöglichkeiten und Spielpraxis – essenzielle Faktoren, um sich in der Branche zu etablieren.

„Wenn man es als Festival ernst meint, könnte man ja auch erstmal damit anfangen, den Mittelbau [des Line-ups] mit mehr FLINTA*-Acts zu besetzen.“

Rike von Kleef im Interview mit dem Magazin tipBerlin

In der Zwischenzeit sammeln männliche Künstler und männlich besetzte Bands weiter Erfahrungen, knüpfen Kontakte und festigen ihre Position, was ihnen wiederum bessere Chancen auf zukünftige Bookings verschafft. So setzt sich die Chancenungleichheit immer weiter fort. Erst wenn nicht-männliche Künstler*innen regelmäßig auf Festivalbühnen präsent sind, werden sie als selbstverständlicher Teil der Musikbranche wahrgenommen und können wirklich gleichberechtigt daran teilhaben. Außerdem wird die Künstler*innenwelt diverser, wenn auch die Teams im Hintergrund diverser aufgestellt werden.

Die Musikbranche kann sich wandeln

Einige kleinere Musikfestivals aus Deutschland, wie das Reeperbahn-Festival, Rocken am Brocken oder das About Pop, versuchen schon mehr zu machen, indem sie sich der Selbstverpflichtung von Keychange angeschlossen haben – die bekannten Festivals fehlen noch. Keychange ist eine internationale Initiative, die vollständige Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche erreichen und diese damit nachhaltig verändern will. Sie unterstützt FLINTA*-Künstler*innen sowie Musiker*innen mit Talentförderprogrammen, Netzwerken und Mentoring. Besonders bekannt ist die 50:50-Pledge: Festivals und Musikorganisationen verpflichten sich, ihre Line-ups und Teams mit einer Quote von 50 Prozent mit FLINTA*-Personen zu besetzen. Das Ziel: Weniger Barrieren, mehr Vielfalt und eine fairere Musikszene für alle, die darin stattfinden wollen.

Natürlich stehen nicht nur die Festivals und ihre Organisator*innen, sondern die gesamte Musikbranche in der Verantwortung, schließlich ist diese auch von patriarchalen Strukturen betroffen. Noch dazu spiegeln Festivals nicht nur musikalische Trends wider, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen. Die Dominanz männlicher Acts ist kein Zufall, sondern das Resultat von jahrzehntelang geprägten Strukturen, die es aufzubrechen gilt. Doch es bewegt sich etwas: Initiativen wie Keychange zeigen, dass Veränderung möglich ist, wenn Veranstalter*innen bewusst neue Wege gehen. Auch das Publikum kann dazu beitragen, indem es Vielfalt einfordert und Künstler*innen abseits der bekannten Namen unterstützt.

Beitragsbild: Paula Jagsch

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