Es gibt in Deutschland kein verschreibungspflichtiges Präparat, über das immer wieder so rege diskutiert wird, wie die Pille. Trotz ihrer Nebenwirkungen wie Durchblutungsstörungen, Herzinfarkten, Krebs, abnehmender Knochendichte und Depressionen wird die Pille noch immer Millionen Mädchen und Frauen ab 14 Jahren verschrieben. Über die Hintergründe und mögliche Alternativen.
Man hört nicht selten, dass Frauen schon im jungen Alter von Gynäkolog*innen dazu animiert werden, die Pille zu nehmen. 2015 wurden laut der Techniker Krankenkasse noch 44 Prozent der 14 bis 19-Jährigen die Pille verschrieben. 2020 waren es noch knapp 33 Prozent. Die kleine Tablette soll das Wundermittel gegen alle Wehwehchen sein. Von Verbesserung des Hautbildes, über Schmerzlinderung bis hin zu Zyklusregulierung wird die Lösung aller Probleme mit dem Hormonpräparat versprochen.
Für Viele ist allerdings überraschend, dass die Pille zu Beginn genau dafür konzipiert und vermarktet wurde. Die empfängnisverhütende Wirkung ließ sich damals nur in den kleingedruckten Nebenwirkungen finden.
Die Geschichte des Präparats
Die erste sogenannte „Antibabypille” namens Enovid kam im August 1960 in den USA auf den Markt. Eigentlich konnte man sie schon seit drei Jahren erwerben, allerdings wurde sie zunächst als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden vermarktet. Ab 1961 war das gleiche Präparat unter dem Markennamen Anovlar auch in der Bundesrepublik Deutschland käuflich erwerblich, sofern man verheiratet und Mutter mehrerer Kinder war. Offiziell war auch Anovlar ein „Mittelchen gegen Beschwerden”, die empfängnisverhütende Wirkung wurde nur beiläufig als Nebenwirkung in der Packungsbeilage aufgeführt. Diese entsteht dadurch, dass der Körper mit der regelmäßigen Einnahme, die im Abstand von 24 Stunden empfohlen wird, mit künstlichem Östrogen und/oder Gestagen (abhängig vom Präparat) versorgt wird.

Das Östrogen verhindert, dass Botenstoffe zum Auslösen des Eisprungs produziert werden, womit dieser ausbleibt und das Ei nicht befruchtet werden kann. Der Botenstoff Gestagen hat einen Einfluss auf den Schleim im Gebärmutterhals. Dieser wird verfestigt und hindert Spermien am Eindringen, und verhindert somit die Empfängnis und folgende Schwangerschaft. Trotzdem machte die Markteinführung in Deutschland Furore: Einerseits beschrieben Medien das Ereignis als historisch und einen Fortschritt. Andererseits protestierten die Kirchen und setzen die Einnahme fast mit dem Sündigen gleich. Es ziere sich schließlich nicht, sexuelles Verhalten außerhalb der Ehe auf solche Art zu fördern, zudem sei es gegen Gottes Plan, die Planung von Schwangerschaften in die Hand zu nehmen.
Die Pille 65 Jahre später
Bis heute ist sie ein erfolgreich umstrittenes Thema. Während viele Frauen sich heutzutage der Auswirkungen der Einnahme synthetischer Hormone durch den inzwischen weitestgehend enttabuisierten Austausch in diversen sozialen Medien bewusst sind und ihr Eigenwohl den möglichen Nebenwirkungen gegenüber priorisieren, gibt es für viele Frauen keine Alternative.
Wer keine hormonellen Verhütungsmittel verwenden möchte – also keine Pille, keine Depotspritze (die die Fruchtbarkeit noch bis zu ein Jahr nach dem Absetzen beeinträchtigen kann und deshalb für Frauen mit Kinderwunsch ungeeignet ist), keinen Vaginalring oder keine Hormonspirale, die durch einen kleinen Eingriff in die Gebärmutter eingesetzt wird – braucht entweder eine passende Anatomie oder muss bei der Sicherheit der Verhütung Abstriche machen.
Hormonfreie Alternativen wie Kupferspirale sowie Kupferkette und -Ball, die ebenso in die Gebärmutter eingeführt werden (sog. Intrauterinsysteme) und im Fall der Kette in die Gebärmutterwand eingesetzt werden, gelten als invasive Methode. Daher werden sie von vielen Gynäkolog*innen bei jungen und/oder Frauen ohne Kinder ungern eingesetzt.

Zudem sinken die Chancen, dass der Körper die Fremdkörper nicht ablehnt erst nach der Geburt eines Kindes. Hat man also nicht den passenden Körperbau, könnte das eingesetzte Implantat migrieren und eine Eierstockschwangerschaft verursachen, die, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt wird, lebensbedrohlich ist. Wer nicht operativ verhüten möchte, und damit eine nicht nur preisspielige, sondern sehr schwierig erreichbare sowie in der Mehrheit der Fälle permanente Unfruchtbarkeit erreichen möchte, muss Abzüge in der Sicherheit machen. Diese wird am sogenannten Pearl-Index festgelegt. Dieser spieglt die Prozentzahl an Frauen, die trotz der korrekt angewandten Verhütungsmethode ungewollt schwanger geworden sind. Während sich die Zahl bei hormonellen Verhütungsmittel bei perfekter Anwendung auf 0-1,5 Prozent beläuft, liegt sie bei mechanischen Verhütungsmitteln wie dem Kondom, Frauenkondom, Diaphragma und der FemCap laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bei 2-18 Prozent.
Wieso aber ist Verhütung „Frauensache“?
Häufig werden Frauen als Verantwortliche angesehen, da sie ja schließlich diejenigen sind, die bei fehlgeschlagener Verhütung die Konsequenzen ertragen -oder eher austragen- müssen.
Laut einer Studie des deutschen Ärzteblattes würde eine „Pille für den Mann“ zur Verhütung in Deutschland auf breite Zustimmung stoßen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov befürworten 70 Prozent der Menschen eine solche Verhütungsmethode „auf jeden Fall“ oder „eher“, wenn Männer durch eine Pille zur Empfängnisverhütung beitragen würden. Unter den befragten Frauen unterstützen 76 Prozent die Idee, bei den Männern sind es 63 Prozent. Weniger Männer können sich jedoch vorstellen, die Pille selbst einzunehmen: 37 Prozent antworteten mit „ja“, 27 Prozent mit „vielleicht“. 21 Prozent lehnen die Nutzung einer „Pille für den Mann“ ab.

59 Prozent der Frauen würden es „auf jeden Fall“ oder „eher“ befürworten, wenn ihr Partner ein solches Medikament nimmt, während 16 Prozent dies „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ gutheißen. Ein Viertel der Frauen machte hierzu keine Angaben. Bei der Frage nach der Verantwortung für die Verhütung zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. 48 Prozent der Männer sind der Meinung, dass die Zuständigkeit gleichmäßig aufgeteilt ist, während nur 25 Prozent der Frauen diese Ansicht teilen. 52 Prozent der Frauen empfinden die Verantwortung als zu stark bei ihnen liegend. Dieser Meinung schließt sich lediglich jeder fünfte Mann an.
Die Pille für den Mann in sozialen Medien
Heute wird auch die Pille für den Mann immer mehr zum Thema. Besonders in sozialen Medien wird viel diskutiert. Häufig stößt man auf diversen Kurzformat- Plattformen auf Videos, in denen die geschockten Gesichter gezeigt werden, wenn ihnen gesagt wird, dass die Forschung an der Pille für den Mann abgebrochen wurde, da die Nebenwirkungen – die dieselben sind, die heute noch Millionen von Frauen in Kauf nehmen, für die teilnehmenden Männer nicht tragbar waren. Dabei stellt sich Frage, was davon faktisch wahr ist, und welche Legenden sich zu Klick-Zwecken schneeballartig weiterverbreiten.
FACTCHECK
Die Pille für den Mann war tatsächlich eine Hormonspritze, die alle acht Wochen verabreicht wurde. Diese erwies sich als wirksam; das Testosteron-Gestagen-Präparat stoppte die Spermienproduktion bei allen 400 Teilnehmern einer internationalen Studie im Jahr 2008. Bei 90 Prozent der Teilnehmer war die Anwendung ohne Nebenwirkungen. Die verbleibenden zehn Prozent berichteten von Depressionen, einer verringerten Libido und Gewichtszunahme. Von diesen sollen besonders ältere Familienväter betroffen gewesen sein. Die 400 Studienteilnehmer stammten aus acht Ländern. In Deutschland nahmen 99 an der Studie (2016) teil.

Die Nebenwirkungen wurden dem synthetischen Gestagen in der Spritze zugeschrieben, da es in der verabreichten Menge dem männlichen Körper praktisch unbekannt ist. Die Studie wurde 2011 eingestellt. Zur dieser Zeit habe es auch kein Interesse seitens der Pharmaindustrie and weiter Forschung gegeben.
Wie ist der jetzige Stand?
Zum heutigen Stand gibt es keine erfolgreiche Pille für den Mann. Eine Studie aus dem Jahr 2024 spricht jedoch von einem möglichen Durchbruch bei amerikanischen Forschern mit der Substanz “YCT529”, welche derzeit in klinischen Studien am Menschen getestet wird.
Zudem präsentieren Start-Ups immer häufiger neue Präparate und Geräte, die Spermien kurz- oder langfristig inaktiv machen sollen können. Sie bieten damit nicht nur Schlagzeilen, sondern machen der Pharmaindustrie Konkurrenz.
Durch Ansätze, wie zum Beispiel thermische Methoden, bei denen Hoden oder Nebenhoden mit verschiedenen Verfahrensweisen werden um die Spermatogenese (Produktion) oder die Spermienmotilität (effektive Bewegung) zu hemmen. Eine dieser Methoden wird durch den sogenannten Hodenring erreicht. Dabei wird der Ring aus Silikon so angelegt, dass der Hoden in den Leistenkanal geschoben wird um die Hodentemperatur von 35°C um zwei Grad zu erhöhen. Um zur Verhütung wirksam zu werden, sollen Anwendende den Ring täglich jeweils 15 Stunden lang tragen. Obwohl der Hodenring nicht als Medizinprodukt zugelassen ist, verkauft die Firma Thoreme einen solchen Ring als Dekorationsgegenstand. Nach eigenen Angaben des Firmengründers Maxime Labrit gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt gäbe es bereits mehr als 15.000 Nutzer. Offizielle Zahlen sind nicht bekannt.
Eine Alternative gibt es nicht, ABER
Trotz einer fehlenden Alternative ist es wichtig zu beachten, dass sich das gesellschaftliche Interesse und feministische Bewegungen positiv auf die Forschung anderer Möglichkeiten auswirkt. Aus der fehlenden Initiative der Pharmaindustrie weiterhin an Präparaten zu forschen wurde ein Konkurrenzkampf, da nun auch privat finanzierte Unternehmen das öffentliche Aufsehen erregen, und den finalen Durchbruch als erste schaffen könnten.

Noch wichtiger aber: die Debatte über die Zuständigkeit der Verhütung gerät weitaus seltener ins Stocken. Es fehlen nur noch die Lösungen. Inzwischen gibt es im Abstand von Monaten neue Ideen, neue Verschläge, neue Konzepte und Inspirationen, die in der breiten Allgemeinheit auf reges Interesse und Unterstützung stoßen. Auch wenn die meisten Ideen und Pläne noch in den Kinderschuhen stecken, so sind es kleine Schritte mit einem festen Ziel: Verhütung zur Menschensache zu machen, die die Gesundheit weder zerstört noch gefährdet.
65 Jahre sind seit der Markteinführung der Pille in Deutschland vergangen. Dieser Geburtstag sollte als Erinnerung gelten, dass die Entwicklung von Alternativen und damit auch besseren Lösungen, viel zu spät in Gang gesetzt wurden, und ab dem jetzigen Moment keine weiteren 65 Jahre benötigen dürfen.
Beitragsbild: Danilo Alvesd auf Unsplash
Ein wichtiger Aspekt, der hier fehlt, ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die viele gebärfähige Menschen mit der Pille (zurück)bekamen – vor allem in Zeiten, in denen Vergewaltigung in der Ehe legal war, aber auch seit jeher in jeglichen Situationen sexualisierter Gewalt (Vergewaltigung – dazu gehört auch Stealthing, etc.) und im Alltag allgemein. Die Sicherheit, und dadurch auch gewonnene Freiheit, die viele Personen dadurch erfahren, sollte nicht vergessen werden.
Außerdem, und auch das fehlt in diesem Artikel, sind Pillen (Kombipillen oder reine Gestagenpillen) für viele auch ein notwendiges Medikament, bzw. das einzige verfügbare Präparat, was bei PCOS, Endometriose, oder anderen Erkrankungen und Beschwerden Linderung verschafft und z.B. auch bestimmte Krebsrisiken senken kann. Ähnlich sieht es auch bei anderen Hormon-/Stoffwechselerkrankungen aus. Es geht um viel mehr als Haut und Verhütung, auch wenn diese zwei Faktoren natürlich sehr wichtig sind.