Eine Durchschnittsmiete von 17 Euro pro Quadratmeter und ein Mietenanstieg von 50 Prozent in den letzten zehn Jahren. Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay findet klare Worte für den Tübinger Wohnungsmarkt: „In Tübingen sieht es für Mieter*innen besonders schlecht aus.“
Wer sich auf Online-Portalen schon einmal auf Wohnungssuche begeben hat, kann ein Lied singen von der verzweifelten Suche nach bezahlbarem Wohnraum. Jährlich steigen die Mieten rasant an – ein bundesweiter Trend. Entsprechend groß war am Dienstag das Interesse an dem Gespräch mit Caren Lay, Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Linken im Bundestag, im Gemeindehaus Lamm. Sie sprach mit Ralf Jaster, Direktkandidat für die Bundestagswahl von Die Linke Tübingen, Gunnar Laufer-Stark von der Nestbau AG und Julian, einem Bewohner des besetzten Hauses „Siggi11“ (wir berichteten), über das Thema Mieten. Das Podium tauschte sich mit dem Publikum über die aktuelle Situation in Tübingen, Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum sowie die Ursprünge der stetig steigenden Mieten aus.
In Tübingen sind die hohen Preise schon lange spürbar
„Der Tübinger Wohnungsmarkt hat inzwischen solche Auswüchse angenommen, dass Menschen, die durchschnittlich viel Geld verdienen, keine Chance mehr auf bezahlbaren Wohnraum haben“, stellt Gunnar Laufer-Stark zu Beginn des Gesprächs ernüchtert fest. „Wir hätten hier eine möblierte Wohnung auf der Wanne für ganze 36,5 Euro pro Quadratmeter und dann kommen da noch die Nebenkosten hinzu“, zitiert er ein Inserat, das auf einer Wohnungsplattform angeboten wird. „Oder ein Ein-Zimmer-Apartment mit Einbauküche auf der Wanne für 24 Euro pro Quadratmeter.“ Begleitet wird er dabei von empörten Zwischenrufen aus dem Publikum, dem solche Angebote merklich bekannt sind.
Besonders Familien treffen die hohen Preise
Insbesondere Familien fänden in Tübingen nur schwer bezahlbare Wohnungen, merkt der Vorstandsvorsitzende der Nestbau AG an. Vermieter*innen würden die Mietpreise an die Einkommen der Mitarbeitenden des Cyber Valleys anpassen. Eine Familie, bei der die Eltern als Pflegekräfte im Uniklinikum arbeiten, könne da nicht mithalten. Außerdem richteten Vermieter*innen ihre Angebote immer häufiger auf Wohngemeinschaften aus, um so pro Zimmer mehr Geld verlangen zu können. „Eine Familie kann es sich einfach nicht leisten, 400 Euro pro Zimmer zu zahlen“, betont Laufer-Stark.
Hinzu käme, dass viele Räume gar nicht zur Miete angeboten werden. Laut Leerstandsmelder gibt es in der Region Tübingen-Reutlingen aktuell 198 gemeldete leerstehende Wohnungen. Auch steige laut dem Nestbau-Gründer der Wohnraum pro Person an. Da ältere Menschen oft keine barrierefreien Alternativen in der Nähe fänden, blieben sie in ihren großen Wohnungen, obwohl sie den Platz eigentlich nicht mehr bräuchten. Um hier gegenzusteuern, baut die Nestbau AG barrierefreie Wohnungen, um einen Umzug attraktiver zu machen. „Aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, bemerkt Laufer-Stark. Als gemeinwohlorientierte Aktiengesellschaft baut die Nestbau AG mit dem Geld ihrer Kleinanleger bezahlbare Mitwohnungen. Laut Website geht es ihr nicht um Gewinnmaximierung, die abfallende Rendite falle mit zwei Prozent vergleichsweise gering aus.
Durchschnittliche Miete sogar höher als in Berlin
Als Caren Lay, die seit 2009 für Die Linke im Bundestag sitzt, das Wort ergreift, zieht sie eine ernüchternde Bilanz ihrer bisherigen Arbeit für bezahlbares Wohnen: „Ich muss zugeben, das war bisher ein nicht wirklich erfolgreicher Kampf.“ Die Politik hätte viele Jahre lang das Falsche getan und seitdem nichts. „In Tübingen sieht es für Mieter*innen besonders schlecht aus mit einem Mietenanstieg von 50 Prozent in den letzten zehn Jahren und einer Durchschnittsmiete von 17 Euro pro Quadratmeter.“ Damit liege der Wert sogar höher als in Berlin.
Sie teile die Analyse von Laufer-Stark. Hinzu komme, dass große Wohngesellschaften wie Vonovia regelmäßig die Mieten erhöhten und das, obwohl sie immer wieder wegen mangelnder Instandhaltung in der Kritik stünden. Dadurch erhöhe sich auch der lokale Mietenspiegel. Hinzu komme das Geschäft mit den Nebenkosten: „Solche Firmen erzielen durch eine Erhöhung der Nebenkosten zusätzliche Gewinne, auch aufgrund von fehlenden politischen Regelungen“. Steigende Mieten passierten demnach nicht automatisch: „Die Mieten steigen nicht, sie werden erhöht“.
Nur Bauen ist keine Lösung
Eine Maßnahme, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sieht Lay beim sozialen Wohnungsbau. Sie verweist allerdings darauf, dass der Bau von Sozialwohnungen nicht automatisch zur Lösung beitrage: „Den Status einer Sozialwohnung behält eine Wohnung nur für eine begrenzte Zeit, danach fällt sie aus der Mietpreisbindung“. Anschließend könne sie regulär am Markt vermietet und verkauft werden. In Tübingen gibt es bis zu 40 Jahre Bindungspflicht beim Bau von Sozialwohnungen. Je nachdem, für wie lange Vermieter*innen Wohnraum unter der ortsüblichen Vergleichsmiete anbieten, erhalten sie also Zuschüsse von Stadt und Land. In Wien gilt die Bindung für immer, das fordert Lay auch in Deutschland. So solle verhindert werden, dass mehr Wohnungen aus der Bindung fallen, als nachgebaut würden.
Politische Maßnahmen – Wäre ein Mietendeckel durchsetzbar?
Podium und Publikum sind sich einig: Die Politik müsse an mehreren Stellen ansetzen. Neben dem Bau langfristiger Sozialwohnungen, müssten die Mieten vom Markt entkoppelt werden. Wohnungen in staatlichem Besitz sollten nicht weiter privatisiert werden und es brauche mehr Initiativen wie die Nestbau AG, die gemeinnützigen Wohnungsbau betreibt. Außerdem müsse eine Art Mietendeckel her, um die Spekulation auf Wohnraum zu verhindern. Eine solche Regelung sei verfassungsrechtlich möglich, obwohl das Bundesverfassungsgericht 2021 den Berliner Mietendeckel gekippt hatte: „Das Problem war, dass die Zuständigkeit für eine solche gesetzliche Regelung beim Bund und nicht beim Land liegt, nicht, weil ein Mietendeckel grundsätzlich verfassungswidrig ist“, betont Lay.
„Das Vorgehen gegen rechtswidrige Mieten wurde individualisiert.“
Caren Lay, Bundestagsabgeordnete von der Linken
Die bundesweite Mietpreisbremse habe in den letzten Jahren viele Schlupflöcher zugelassen und sei deshalb oft umgangen worden. Mieter*innen hätten selbst juristisch gegen Betrug vorgehen müssen: „Das Vorgehen gegen rechtswidrige Mieten wurde individualisiert“, stellt die Linken-Politikerin fest. Mit dem Bruch der Ampel-Regierung verlängerte der Bundestag die Mietpreisbremse auf Grund fehlender Mehrheiten nicht.
Privatisierung von Wohnungen als Ursprung der Krise
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs mussten viele neue Wohnungen gebaut werden. Diese waren von Anfang an an eine Art Mietendeckel, eine bundesweiten Mietpreisbindung, gekoppelt, um steigende Preise als Folge des Wohnungsmangels zu verhindern. Ein Großteil dieser Wohnungen sei in der Hand von gemeinwohlorientierten Genossenschaften oder den Bundesländern und Kommunen gewesen, erzählt Lay. Während der Regierung Schröders hätten dann nach und nach Immobilienkonzerne die Gebäude unter günstigen Steuerbedingungen gekauft, während der Mieterschutz abgebaut worden sei. Während dieser Zeit gründete sich auch Vonovia, eines der größten Wohnunternehmen Deutschlands. Wie Ralf Jaster anmerkt, habe auch Baden-Württemberg vor einiger Zeit 20.000 landeseigene Wohnungen, darunter Wohnungen in Tübingen, verkauft. Diese gehörten heute zum Teil Vonovia.
Beitragsbild: Sonia Leibold