Für die große Wahlnacht im Kino Museum war selbst der größte Kinosaal Tübingens zu klein. Eine Podiumsdiskussion, Live-Übertragungen und viele weitere Programmpunkte hielten die Besucher*innen bis in die frühen Morgenstunden wach.
Während in den USA die letzten Wähler*innen ihre Stimmzettel in die Wahlurnen warfen, füllte sich der Vorraum des Kino Museum schnell. Die Marching-Band Louisiana Funky Butts begrüßte die Besucher*innen mit fetzigen Beats und gab damit den Auftakt für eine lange Nacht. Als sich die Türen zum großen Almodóvar-Saal endlich öffneten, waren die 384 Sitzplätze im Nu belegt, einige Menschen mussten stehen oder fanden auf dem Boden Platz. Was nach der Premiere eines zweiten Barbie-Films klingt, war keine reguläre Kinoveranstaltung. Gemeinsam mit dem Kino Museum veranstaltete das Deutsch-Amerikanische Institut Tübingen wieder eine große Wahlnacht, um die diesjährige Präsidentschaftswahl zu begleiten. Laut dem DAI besuchten mehr als 1.000 Interessierte die Veranstaltung, die nach einer achtjährigen Pause am Wahltag der USA wieder stattfand.
Ein besonderer Ort für eine besondere Wahl
Bei ihrer Eröffnungsrede erinnerte die DAI-Direktorin Katharina Luther an das langjährige Bestehen des DAI, das vor 72 Jahren im Kino Museum eröffnet wurde. „An diesem besonderen Ort wollen wir diese besondere Wahl für uns alle verfolgen“, betonte Luther, die damit Deputy Chief of Public Diplomacy Aisha Talib das Mikrofon übergab.
„It is about respecting the democratic process and supporting a peaceful transfer of power.“
Deputy Chief of Public Diplomacy Aisha Talib, US-Generalkonsulat (FFM)
Talib, die an diesem Abend als Ehrengästin eingeladen war, erinnerte an die guten transatlantischen Beziehungen Deutschlands und der USA und appellierte, den Ausgang der Wahlen – auch der Kongress wurde neu gewählt – friedlich hinzunehmen: „It is about respecting the democratic process and supporting a peaceful transfer of power.“ Weiter betonte die Diplomatin, dass die Vereinigten Staaten und Deutschland unabhängig von dem Wahlausgang ihre guten Beziehungen fortführen würden, „to promote peace, prosperity and security.“ Damit startete das Programm mit einer zweistündigen Podiumsdiskussion, die der Tübinger Amerikanistik-Professor Thomas Gijswijt moderierte.
Kein schnelles Wahlergebnis
Gleich zu Beginn gaben die geladenen Expert*innen eine Einschätzung zum Wahlausgang ab. Während sich lediglich Kenton Barnes, Vizepräsident der Democrats Abroad, optimistisch über einen Sieg der Demokraten-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris äußerte, war der Rest der Runde zurückhaltend. „Es wechselt jede Stunde“, meinte die ehemalige ARD-Washington-Korrespondentin Claudia Buckenmaier. Eine Einschätzung, die die anderen Teilnehmenden teilten.
Mit einem schnellen Ergebnis rechnete niemand, stattdessen gingen die meisten davon aus, dass es zu Nachzählungen und langem Warten auf das endgültiges Ergebnis kommen werde. Doch seit Mittwochvormittag steht fest: Donald Trump konnte die Mehrheit der Wahlleute für sich gewinnen und wird der neue Präsident der USA.
„It’s the economy, stupid“
Amerika stehe wirtschaftlich eigentlich gut da, mit rund drei Prozent Wirtschaftswachstum und relativ niedriger Arbeitslosigkeit, wie der Moderator Gijswijt betonte. Dennoch seien etwa 80 Prozent der Amerikaner unzufrieden mit der aktuellen Lage. „Joe Biden und seine Regierung leiden unter den Folgen der Inflation“, erklärte Buckenmaier. Trotz der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus habe der amtierende Präsident zwar wichtige Impulse wie den Inflation Reduction Act gesetzt, jedoch seien die Preise, insbesondere für Benzin, weiterhin hoch und damit eine große Belastung für die Bevölkerung. Die positiven Effekte seiner Politik würden sich erst in ein paar Jahren bemerkbar machen, ergänzte Brandon Bohrn von der Bertelsmann Stiftung. Harris, so der ehemalige Republikaner-Wähler Lucas Ogden, habe sich im Wahlkampf nicht ausreichend von Biden abgegrenzt: „Um bei den Wählern zu punkten, hätte sie sich als Kritikerin seiner Wirtschaftspolitik präsentieren müssen, aber das konnte sie nicht, weil sie Bidens Vizepräsidentin ist.“
Darum überzeugt Trump viele Wähler*innen
Obwohl Trump ein verurteilter Straftäter ist und sogar ehemalige Beratern öffentlich verkünden, er sei als Präsident ungeeignet, schaffte er es dennoch, als Kandidat für die Republikaner aufgestellt zu werden. Woher kommt sein Erfolg? „Die paar wenigen Republikaner, die sich nach dem Sturm auf das Kapitol offen gegen ihn gestellt haben, haben entweder nicht mehr kandidiert, wurden bei den Primaries abgewählt oder bedroht“, erklärte Buckenmaier. Trump, so Lucas Ogden, komme gut bei Menschen an, die sich nach dem American Dream sehnen. Er überzeuge Menschen, die kein Vertrauen mehr in das politische Establishment haben, ergänzte Bohrn. Astrid Franke verwies auf länderübergreifende Erklärungen für den Erfolg Trumps: Auch in Deutschland und der Europäischen Union gebe es Politiker*innen wie Trump: „Es muss transatlantisch nach größeren strukturellen Veränderungen, die diese Entwicklung sowohl in den USA als auch in der EU erklären, gesucht werden“, betonte die Tübinger Amerikanistik-Professorin.
Welche anderen Themen dominierten den Wahlkampf?
Neben der Wirtschaft spielte im Wahlkampf laut Born auch die Migration eine wichtige Rolle. Wichtig sei außerdem das Thema Abtreibung gewesen, da es viele Menschen zur Wahl mobilisiere, so Barnes. „Ich glaube aber nicht, dass das Thema Abtreibung wahlentscheidend ist“, merkte der Vizepräsident der Democrats Abroad an. Wie Born wissen ließ, war die Lage in Nahost kein zentrales Thema der Wahl. Trotzdem habe der Konflikt Einfluss auf das Wahlverhalten gehabt, da beispielsweise in dem Swing-State Michigan viele Menschen aus Protest zur Biden-Administration nicht zur Wahl gegangen seien.
Das Justizsystem der USA als wichtige Stellschraube
Als die Runde für Fragen an das Podium geöffnet wurde, legte das Publikum sofort los. Auf die Frage hin, wie groß die Angst vor erneuten gewaltbereiten Ausschreitungen im Falle einer Niederlage Trumps sei, reagierte das Podiums fast ausschließlich besorgt. „Wir wissen alle, dass er eine erneute Niederlage nicht akzeptieren wird“, stellte Bohrn fest. Ihm zufolge sei ein Viertel der Amerikaner der Meinung, dass es in Ordnung sei, Gewalt anzuwenden, um politische Ziele zu erreichen.
Wir wissen alle, dass er eine erneute Niederlage nicht akzeptieren wird.
Brandon Bohrn (Bertelsmann Stiftung)
Thema der Runde war auch das US-amerikanische Justizsystem. Es sei erstaunlich, wie sehr Trump die Justiz verändert habe, so Astrid Franke. Während seiner Amtszeit habe er drei neue Richter am Obersten Gericht ernannt und auch auf unteren Ebenen viele neue Richter eingesetzt, erklärte sie. Joe Biden habe es ihm gleich getan und selbst ebenfalls viele Richterposten neu besetzt. Buckenmaier verwies außerdem auf das fragile Wahlrecht mancher Bundesstaaten: „Es ist erschreckend, wie schnell Menschen in den USA ihr Wahlrecht aberkannt bekommen, aber dass man trotz Verurteilung sehr wohl als Präsidentschaftskandidat antreten kann.“
Project 2025 und Elon Musk
Sorge bereitete dem Publikum zudem das sogenannte Project 2025, das Konzept einer US-Denkfabrik für eine zweite Amtszeit Trumps. Dieser hat sich laut Bohrn inzwischen von dem Paper distanziert. „Ich glaube aber nicht, dass er mit den Policies darin ein Problem hat“, ergänzte er. Außerdem hätten Organisationen, die ihn beraten würden, ähnliche Positionen. Weiter interessierte die Zuschauer*innen noch die Rolle Elon Musks im Wahlkampf. Der Tech-Milliardär hat laut Bohrn etwa 119 Millionen Dollar im Wahlkampf ausgegeben und bei der Verbreitung von Desinformationen mitgemacht. Eine zukünftige Regierungsbeteiligung Musks bezweifelte er allerdings: „Ich glaube nicht, dass er Teil der Regierung sein wird, aber er wird als Unternehmer von weniger Regulierungen profitieren und Verträge mit der Regierung schließen.“
Die deutsche Berichterstattung
Ein Zuschauer wandte sich mit seiner Frage an die US-Amerikaner auf dem Podium und fragte, wie diese die hiesige Berichterstattung zur US-Wahl wahrnehmen würden. „Meiner Meinung nach sind viele deutsche Medien fixiert auf Streit zwischen den Demokraten und Republikanern und das ist nicht gerade produktiv“, merkte Barnes an. Außerdem, so die Einschätzung Ogdens, seien die deutschen Medien sehr einseitig in ihrer Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl. „Dann fehlt das Gespür dafür, wieso viele Menschen Trump wählen“, kritisierte der d.a.i.-Englischlehrer.
Was die Wahl für Deutschland und die Welt bedeutet
Schon die intensive Berichterstattung in Deutschland zeigt: Die US-Wahl hat Auswirkungen auf Deutschland und die gesamte Welt. Entsprechend war die Außenpolitik ein zentrales Thema der Diskussion. Trump sei ein Isolationist, der aus der NATO und anderen Allianzen austreten will, erklärte Barnes. Zudem werde Trump Zugeständnisse an Wladimir Putin machen und dessen Forderungen bezüglich der Ukraine unterstützen. Darüber hinaus sehe der Republikaner Gaza als Teil Israels an. „Für Europa ist Harris besser.“, so der US-Demokrat. Bohrn warnte, dass unter Trump eine weitaus aggressivere Außenpolitik zu erwarten sei als in seiner ersten Amtszeit.
Für Europa ist Harris besser.
Dr. Kenton Barnes (Democrats Abroad)
Harris hingegen stehe für Kontinuität und eine stabile Zusammenarbeit mit der EU. Buckenmaier betonte, dass Europa aber dennoch langfristig seine eigene Sicherheitsstruktur stärken müsse: „Eine größere europäische Einigung diesbezüglich wäre wirklich wünschenswert“, so die Journalistin.
Volles Programm bis zur Live-Übertragung
Nach der Podiumsdiskussion, die auf dem Youtube-Kanal des DAI nachgeschaut werden kann, ging das Programm weiter: Die Louisiana Funky Butts sorgten noch einmal für eine ausgelassene Stimmung und in weiteren Kinosälen wurden diverse US-amerikanische Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Im Vorraum stellten Studierende des Amerikanistik-Masters der Universität Tübingen die sieben sogenannten Swing-States vor, nebendran standen Pappaufsteller der beiden Präsidentschaftskandidaten für Selfies bereit. Als Snacks zwischendurch gab es Hotdogs und Popcorn.
Wen noch mehr Eindrücke aus den USA interessierten, der konnte einer Live-Schaltung zum Journalisten Christian Fahrenbach beiwohnen, der die Wahl direkt aus New York City verfolgte. Er hob das politische Engagement der Bevölkerung hervor: „Viele Wahlkämpfer ziehen für die Wahl in andere Gegenden und machen dort für ein halbes Jahr Wahlkampf“, erzählte er. Im Anschluss interviewten die beiden Kupferblau-Redakteur*innen Janne Geyer und Max Maucher bei einem Podiumsgespräch drei amerikanische Studierende der Tufts University in Boston. Nach ein paar Mobilisierungsübungen war dann endlich Zeit für die Live-Übertragungen von CNN und Fox News, wo die Ergebnisse bis in die frühen Morgenstunden verkündet wurden.
Hinweis: Dieser Artikel entstand im Zuge einer Medienpartnerschaft zwischen der Kupferblau und dem Deutsch-Amerikanischen Institut.
Beitragsbild: DAI