Wie wird man eigentlich woke? Und wie bringt man die verschiedenen Seiten des politischen Spektrums zueinander? Damit befasst sich Simon Verhoeven in seinem Film “Alter weißer Mann”. Kann Kritik an alten weißen Männern von alten weißen Männern überhaupt gelingen? Eine Filmkritik von Julia Kollum.
Mit dem provokanten Titel Alter weißer Mann trifft Regisseur Simon Verhoeven einen Nerv der Zeit. Das Narrativ vom privilegierten alten weißen Mann steht hoch im gesellschaftlichen Diskurs. Statt sich jedoch tiefer mit der Materie zu befassen, kratzt der Film leider nur an der Oberfläche und befeuert Stereotype.
Die Storyline
Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) hat es nicht leicht im Leben. Nicht nur als Ehemann und dreifacher Familienvater ist er gefordert, sondern sieht sich auch in seinem Beruf als Marketing Leiter der „Fernstrom AG“ vor Herausforderungen gestellt: der erste Shitstorm! Der Grund dafür ist eine Werbekampagne, die eine klassische, weiße Vater-Mutter-Kind Familie darstellt.
Im Jahr 2024 ist das ein Skandal in den sozialen Medien. Dabei gibt sich Heinz Hellmich doch ganze Mühe sich politisch korrekt zu verhalten. Nicht umsonst erinnern ihn seine Kinder stetig daran, sich nicht wie ein „alter weißer Mann“ zu verhalten. Trotzdem tappt er in allerlei Fettnäpfchen und verwechselt die asiatische Krisenmanagerin und Marketingexpertin Lian Bell (Yun Huang) mit einer asiatischen Kellnerin.
Dieses Dinner ist ein Test. Die wollen wissen, wie alt und weiß ich wirklich bin
Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) in: Alter weißer Mann (2024)
Um sich seine Beförderung dennoch zu sichern, lädt er Lian, seinen Chef und weitere ausgewählte Gäste zum Abendessen ins Hause Hellmich ein, um sich von seiner wokesten Seite zu zeigen. Auf keinen Fall will er das Klischee des alten, weißen Mannes erfüllen. Es stellt sich nur ein Problem: Woher bekommt Heinz Freunde, die nicht dem stereotypisch-deutschen Bild entsprechen? Kurzerhand lädt er alle Menschen mit Migrationshintergrund ein, die er kennt. Doch als dann noch Heinz ganz und gar politisch unkorrekter Vater vor der Tür steht, ist das Chaos perfekt. Ein Jonglierspiel zwischen diskriminierenden Alltagsbegriffen und woken Kampfbegriffen beginnt.
Motto: Viel hilft viel
Der Film wirkt zunächst wie eine riesige Aggregation aus allen Themen, die zur political correctness in den letzten Jahren gesellschaftlichen relevant waren. Alle Akteur*innen werden dargestellt. Die stetig verurteilende Jugend, die die ältere Generation gnadenlos mit der Nase auf ihr alltagsrassistischen Handlungen stößt. Diese wird opponiert von der Generation der Großeltern, die mit der neuen multikulturellen Gesellschaft nichts anfangen kann und sich zunehmend an den Rand gedrängt fühlt. In Mitten dieses Spektrums steht Heinz Hellmich. Er ist zwar bemüht, sich korrekt auszudrücken und Offenheit zu zeigen, doch scheitert er daran viel zu oft auf eine zugegebenermaßen liebevolle Weise.
Gleichzeitig wird der verschiedene Umgang von Menschen mit Migrationshintergrund dargestellt. Der Film hebt hervor, dass es keinen Leitfaden dafür gibt, wie man mit unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen am besten umzugehen hat. Angeschnitten werden darüber hinaus auch die Themen Selbstoptimierung und Bedrohung durch künstliche Intelligenz.
Gut gemeint…
Der Film macht das Thema durch seine offene Haltung deutlich zugänglicher für Menschen, die sich sonst von political correctness distanzieren. Insgesamt gibt sich der Film schlichtend. Er zeigt auf, dass es manchmal von Nöten ist, Toleranz gegenüber Unwissenheit zu zeigen und Verständnis mit älteren Generationen zu haben, die sich bemühen, aber dennoch in Fettnäpfchen treten.
…aber Umsetzung mangelhaft
Aus einer Perspektive, die sich bereits vermehrt mit political correctness und gender auseinander gesetzt hat, dient der Film für ein paar amüsierte Momente und Lacher. Schließlich stellt der Film nur den Zusammenprall verschiedener Welten auf groteske aber auch humoristische Weise dar. Gesellschaftskritik ist in beide Richtungen zu erkennen, jedoch wird nicht tiefer auf die Materie eingegangen und mögliche Beweggründe der einzelnen Akteur*innen werden nur angerissen.
Insgesamt wirkt die Themenauswahl an einigen Stellen etwas gezwungen. Statt sich auf ein Problemfeld zu konzentrieren, werden viele Themen oberflächlich behandelt. Mit gutem Willen lässt sich das als Darstellung der menschlichen Überforderung auslegen. Ohne den guten Willen dienen die Themen künstliche Intelligenz und Selbstoptimierungswahn nur als Platzhalter, um noch ein paar Gags in dem Film unterzubringen.
Der Film positioniert sich so unklar, dass keine eindeutige Botschaft hervorgeht. Zwar haben das Thema und der Titel Alter weißer Mann viel Potenzial, doch wird man nicht wirklich zum Nachdenken angeregt. Vielmehr kann man sich – egal auf welcher Seite man steht – durch den Film bestärkt in seinem Denken fühlen. Das wurde vor allem an der Reaktion der Zuschauenden sichtbar. An manchen Stellen lachten nur die „alten weißen Männer”. An anderen Stellen lachten die „woken” Kinder, mit denen sie gemeinsam im Kino waren. Niemand wurde allzu sehr aus der eigenen Komfortzone bewegt, da Kritik sofort wieder mit einem Gag seitens der eigenen Meinung wieder gut gemacht wurde. Das kann gefährliche Ausmaße annehmen, denn wer Kritik am eigenen Verhalten nicht erkennt, wird sich während des Films nur auf Kosten der anderen Ansichten amüsieren. Zu einer toleranteren Haltung trägt das meiner Meinung nach nicht bei.
Besser wäre es gewesen, den versöhnlichen Ton weiter auszuarbeiten. Um gesellschaftlichen Diskurs voranzubringen, sollte man sich nicht darauf beschränken, möglichst ironisch zu sein. Vielmehr sollte auf ernsthafte, konstruktive Kritik und Kompromisse gesetzt werden.
Beitragsbild: Die Tübinger Kinos