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Wasser, Erde, Feuer, Luft: Was steckt hinter den Bändigungsformen von Avatar? – Teil 3: Erde

Nach Wasserbändigen, Tai Chi und Daoismus richten wir nun den Blick wieder nach außen, genauer gesagt nach unten. Mit Erdbändigen geht es im dritten Teil der Reihe um eine weitere äußere Kampfkunst, die in ihrer Umsetzung als Bändigungsform ähnlich versiert ist wie das Wasserbändigen.

Die ersten Erdbändiger waren die Dachsmaulwürfe – etwa haushohe, blinde, musikliebhabende Mischwesen aus Dachs und Maulwurf. Wie Maulwürfe orientieren sie sich durch ihren Tastsinn und graben große Tunnelsysteme – allerdings auf eine ganz besondere Weise. Mit einfachen Bewegungen ihrer riesigen Vorderpfoten bändigen sie die Erde um sich herum und und graben sich so durch die Berge des Erdkönigreichs. Die ersten menschlichen erdbändigenden Menschen waren Oma und Shu, ein Liebespaar, das in zwei befeindeten Dörfern auf gegenüberliegenden Seiten eines Berges gewohnt haben. Von den Dachsmaulwürfen lernten sie, Tunnel durch den Berg zu graben, die nur sie wiederfinden konnten, um sich heimlich zu treffen und ihre verbotene Liebe auszuleben. So besagt es jedenfalls der Gründungsmythos der zweitgrößten Stadt des Erdkönigsreichs, Omashu.

Während die Dachsmaulwürfe das Erdbändigen in die Wiege gelegt bekommen und dabei auch keine sonderliche Formenvariation aufweisen, haben die Menschen in Anlehnung an die Dachsmaulwürfe eine äußerst variable Bändigungsform entwickelt, die weitestgehend dem Hung Gar entspricht. Hung Gar, häufig auch Hung Gar Kung Fu, Hung Gar Quan (Hochchinesisch/Mandarin) bzw. Hung Gar Kuen/Kyun (Kantonesisch) zählt zu den südlichen Kung-Fu-Stilen.

Benannt ist es nach der Familie (chin. gar) Hung, welche diese äußere Kampfkunst (chin. quan/kuen) mutmaßlich entwickelt hat. Genauer gesagt handelt es sich dabei um den Teehändler Hung Hei Guan, der im 17. Jahrhundert wohl von Chi Sin Sim Si, einem berühmten Shaolin-Mönch, den südlichen Tigerklauen-Kampfstil lernte und mit dem Kranich-Stil seiner Frau kombinierte. Das Hung Gar Kuen wird daher auch häufig als Tiger Crane Kung Fu bezeichnet. Es gehört zu den fünf Kampfstilen des südlichen Shaolin-Klosters in der Fujian-Provinz, aus denen später auch das Wing Chun hervorging. Viele Charakteristika im Wing Chun gehen mitunter auf das Hung Gar Kuen zurück, insbesondere die bekannte Technik der klebenden Hände (Chi Sao).

Das Symbol für das Element der Erde. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2005-2008, Nickelodeon.

Das klassische Erdbändigen

Hung Gar Kuen zeichnet sich besonders durch seinen festen, geerdeten Stand aus. Für den Reiterstand (Ma Bu) ist diese Kampfkunst von  elementarer Bedeutung. So sehr, dass Schüler*innen des Hung Gar nach traditioneller Schule  über Monate oder gar Jahre hinweg ausschließlich das stundenlange Stehen im Ma Bu trainierten, bevor sie irgendwelche Formen lernten.

Das Hung Gar kennt fünf verschiedene Tierformen: Drache, Schlange, Leopard, Kranich und Tiger. Der Kranich-Stil beinhaltet fließende, agile, ausgiebige Bewegungen; der Leopard-Stil ist gekennzeichnet durch blitzschnelle Attacken aus ruhendem Stand; der Drachen-Stil steht hier für kreisförmige Bewegungen in Koordination mit dem Chi-Fluss; die Schlangenform zeichnet sich durch schnelle, flexible Bewegungen aus und das Angreifen einzelner Öffnungen in der Kampfhaltung des Gegners; die Techniken des Tigers bestehen aus kräftigen Schlägen und heftigen Attacken mit der Tigerklaue, bei der alle fünf Fingerspitzen angespannt nach vorne zeigen. Die Tigerklaue dient sowohl für punktuelle Schläge auf Schmerzpunkte und vulnerable Stellen als auch zum Greifen und Ziehen des Gegners.

Durch die Kombination von Flexibilität und hoher Explosivkraft vereint das Hung Gar Kuen gewissermaßen Yin und Yang. Dieses Prinzip macht sich auch bemerkbar in einer Hung-Gar-Form mit dem Namen Eiserner Faden (Tit Sin Kuen). Mit diesem Namen soll sinnbildlich ausgedrückt werden, im Kampf einerseits beweglich wie ein Faden und andererseits hart wie Eisen zu sein – je nachdem, was die Situation gerade erfordert. Im Erdbändigen können wir, je nach individuellem Kampfstil, besonders die Techniken des Tigers und der Schlange erkennen. Der Bändigungsstil der einfachen Arbeiter und Soldaten des Erdkönigreichs ist zwar kräftig, aber recht rigide und kaum explosiv. Die Dai-Li-Agenten hingegen kämpfen akrobatisch und agil und scheinen sowohl den Kranich-Stil anzuwenden, als auch den wendigen Stil der Schlange.

Um jedes größere Hung-Gar-Element bei sämtlichen erdbändigenden Figuren der Serie einzubauen, ist die Kampfkunst viel zu versatil. Umso interessanter ist, wie bei Avatar verschiedene Charaktere unterschiedliche Aspekte von Hung Gar Kuen beim Erdbändigen anwenden. Einerseits kann dadurch die ganze Bandbreite der Kampfkunst abgedeckt werden. Andererseits wird dadurch auch der Kampfstil, wie bei Avatar üblich, an die jeweilige Figur angepasst. Für dieses Prinzip ist eine Figur der Serie ganz besonders bekannt: Toph Beifong.

Die fürs Erdbändigen notwendige Verbindung zum Boden entsteht durch einen möglichst festen und sicheren Stand, der für die Kontrolle über schweres Gestein unabdingbar ist. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2005, Nickelodeon.

Erdbändigen ist mehr als nur Hung Gar

Toph ist nicht nur durch ihren etwas launischen, aber liebenswerten Charakter eigen, sie sticht auch durch ihren individuellen Bändigungsstil heraus. Für die blinde Erdbändigerin wurde nicht Hung Gar ausgesucht. Sondern eine ganz eigene Kampfkunst, die mit Hung Gar Kuen einiges gemein hat: Southern Praying Mantis. In diesem ebenfalls südlichen Stil wird eine Kampfhaltung eingenommen, die an die Position der namensgebenden Gottesanbeterin erinnert: Die Knie leicht gebeugt, das Gewicht nach hinten verlagert, und die Arme angewinkelt vor dem leicht gerundeten Oberkörper. Während die Beine auch hier für Standhaftigkeit sorgen, sollen die Arme den Oberkörper möglichst gut verteidigen. Southern Praying Mantis ist wohl im 19. Jahrhundert entwickelt worden, etwa zur gleichen Zeit wie die meisten anderen südlichen Kung-Fu-Stile. Anders als beim wesentlich älteren Northern Praying Mantis findet die Handtechnik der Gottesanbeterin, der Mantis Hook, hier jedoch keine Anwendung.

Für die Choreographie von Tophs Kampfszenen wurde Sifu Manny hinzugezogen, einer der wenigen Meister des Southern Praying Mantis Kung Fu. Dieser arbeitete beim Entwickeln von Tophs Kampfszenen eng mit Sifu Kisu und Executive Producer Bryan Konietzko zusammen. Glaubt man der Gründungssage des Southern Praying Mantis, so war die Entwicklerin dieses Kampfstils selbst blind. Die Entwickler der Serie hatten Toph allerdings von Anfang an als blind konzipiert, ohne von diesem Gründungsmythos zu wissen. Grund dafür war, dass Toph aufgrund ihrer Blindheit das Erdbändigen von den ebenfalls blinden Dachsmaulwürfen lernte und so erst ihren eigenen Kampfstil entwickelte. Dass die mutmaßliche Begründerin des realen Southern Praying Mantis selbst blind gewesen sein soll, ist also reiner Zufall, verleiht Toph als Begründerin desKampfstils aber umso mehr Gewicht.

Doch die Vielfalt von Erdbändigen geht noch darüber hinaus, denn es beherrscht von allen vier Elementen die meisten Variationen. Bei der Manipulation von Erde und Gestein sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Das gebändigte Material kann beliebig verformt und bewegt werden. Das macht bereits klassisches Erdbändigen sehr vielseitig anwendbar. Grundsätzlich lässt sich aber jedes mineralhaltige Material bändigen, so etwa auch Kohle, Kristall oder, wie wir von Kyoshi wissen, sogar Glas. Während das von Toph eigenständig entwickelte Metallbändigen genauso wie Sandbändigen von allen erlernbar ist, ist das Lavabändigen jedoch nur einigen wenigen Erdbändiger*innen vorbehalten.

Tophs Kampfhaltung repräsentiert die Körperform einer Gottesanbeterin. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2006, Nickelodeon.

Der Kampfstil der Kyoshi-Kriegerinnen

Das Erdkönigreich ist kulturell als einzige der vier Nationen nicht nur chinesisch, sondern in Teilen auch koreanisch und japanisch geprägt. Am meisten zeigt sich das anhand der Kyoshi-Insel, welche besonders starke Einflüsse der Kultur der japanisch-indigenen Ainu aufweist. Avatar Kyoshi war nicht nur namensgebend für die Insel, sondern auch für eine Riege mutiger nicht-bändigender Kriegerinnen, die sich die Patronin ihrer Insel zum Vorbild genommen haben. 

Der Kampfstil der Kyoshi-Kriegerinnen ist eine Mischung aus verschiedenen japanischen Kampfkünsten. Das sieht man bereits bei ihrem ersten Aufritt in Avatar, als Suki Sokka einige Techniken beibringt. In dieser Szene fallen die Rüstungsgewänder der Kriegerinnen besonders auf, welche fast vollständig der Rüstung von Kyoshi entsprechen. Die Outfits der Kriegerinnen erinnern nicht nur an die Mode der Ainu, sondern auch an die Hosenröcke der japanischen Kampfkünste. Besonders das traditionell geprägte Aikido ist für dieses Kleidungsstück bekannt. 

Das Prinzip, das den Techniken dieser modernen Kampfkunst zugrunde liegt, findet sich auch im Kampfstil der Kriegerinnen: Das Nutzen der Energie eines Angreifers gegen ihn selbst. Anstatt einen Angriff aggressiv zu kontern, wird die Angriffsbewegung aufgenommen, fortgeführt und mit dem Gegner am Boden beendet. Im Aikido geschieht das durch Bewegungen, die auf das Zentrum des Angreifers, also die Körpermitte ausgerichtet sind, um diesen völlig mühelos aus dem Gleichgewicht und somit zu Fall zu bringen. Derartige Wurftechniken lassen sich auch bei den Kyoshi-Kriegerinnen beobachten und sind typisch für viele japanische Kampfkünste.

Die Kyoshi-Kriegerinnen kämpfen hauptsächlich mit zwei Fächern, den vorderen hier zum Schild geformt, tragen jedoch auch stets ein Schwert bei sich. Bild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2006, Nickelodeon.

Auch Fächer können Waffen sein

Die Kriegerinnen haben sich jedoch von Avatar Kyoshi nicht nur modisch, sondern auch kämpferisch inspirieren lassen. Kyoshi ist besonders bekannt für ihren ikonischen Kampffächer, welcher auch ein wesentliches Element der Kriegerinnen darstellt. Das Kämpfen mit dem Fächer ist ebenfalls einer japanischen Kampfkunst entnommen, dem Tessenjutsu. Während jutsu japanisch ist für Technik, bezeichnet tessen einen eisernen, teilweise auch hölzernen Kriegsfächer. Im japanischen Mittelalter wurde er von den Samurai vom Mode-Accessoire zur getarnten Kriegswaffe entwickelt. So konnten sie auch dann noch kämpfen, wenn sie ihr Schwert nicht bei sich trugen oder es im Kampf verloren. Zwar ist der Kampfstil der Kriegerinnen japanisch, einige ihrer Fächer-Figuren weisen jedoch eine starke Ähnlichkeit auf mit der Fächer-Form des chinesischen Taijiquan. Damit wäre selbst der einzige japanisch geprägte Kampfstil im Avatar-Universum chinesisch beeinflusst.

Im nächsten und letzten Teil der Reihe geht es mit dem Element der Luft abermals um eine innere Kampfkunst. Wer bis dahin noch ein wenig in den äußeren Kampfstilen des Südens verweilen will, findet im Internet genügend Videos zu Hung Gar Kuen oder schaut einfach einen Bruce-Lee-Film.

 

Beitragsbild: Avatar – Der Herr der Elemente, 2005, Nickelodeon. (Ein Soldat des Erdkönigreichs steht im Ma Bu und bändigt zwei Steinsäulen aus dem Boden.)

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