Kultur

Neid – Aspekte eines gefräßigen gelben Gefühls

Es handelt sich um eine unliebsame Emotion, welche für einen Augenblick oder über Jahre anhalten kann. Sie kann in den verschiedensten Formen auftreten, ob bezogen auf bessere Noten, die einnehmende Persönlichkeit oder einfach tolle Konzertkarten: Neid. Ein Blick auf ein Gefühl, dessen Empfindung oft nur ungern zugegeben wird. 

Nach einigen Semestern an der Uni habe ich schon viele Seminare besucht, viele Texte gelesen, viele Dinge gelernt und vergessen. An eine Seminarstunde, in der Goethes „Wandrers Sturmlied“ gelesen wurde, musste ich jedoch häufiger zurückdenken. Folgende Notiz habe ich mir damals unter das Gedicht notiert: Neid als Urgewalt unserer Existenz. Leider liegt es mir an dieser Stelle fern, die Bedeutung des Neids in „Wandrers Sturmlied“ im Detail darlegen zu können, da ich zugeben muss, dass ich das Gedicht nur punktuell verstanden habe. Dennoch hat mich dieses Gedicht fasziniert und hat in mir die Frage aufgeworfen, was hinter Neid steckt und worin die Macht dieses Gefühls liegt. 

Was das Objekt des Neids verrät

Zunächst kann sich Neid auf materielle Güter beziehen, die von einer anderen Person besessen werden, ebenso können aber auch Fähigkeiten oder Leistungen beneidet werden. Entscheidend ist, dass diese Dinge „für den Neider aber im Bereich des Erreichbaren zu liegen scheinen“, so formuliert es der Münchner Philosophie-Professor Karl-Heinz Nusser.  

Neid ist ein Gefühl für das ich mich schäme. Nicht nur, weil mich dessen Empfindung zu einer missgünstigen Person machen kann, sondern auch, weil im Neid ein Stück von mir selbst steckt. Denn das jeweilige Objekt oder der Bezugspunkt des Neids verrät doch viel über meine Wünsche und vielleicht auch über meine Fehler. Anders formuliert: Sage mir, was oder wen du beneidest und ich sage dir, wer du bist. Denn der Mensch entwickelt Neidgefühle nur in Bereichen, die für ihn persönlich relevant sind. Lerne ich auf einer WG-Party eine Kommilitonin kennen, die grandios Stepptanzen kann, so ruft dies keinen Neid in mir hervor, da ich noch nie Stepptanz lernen wollte oder selbst Stepptanz getanzt habe. Dies sähe aber vielleicht anders aus, wenn ich seit Jahren vom Stepptanzen träume, aber aufgrund von (wahlweise) Zeit, Geld oder Motivation von meinem Ziel der Stepptanz-Performance noch weit entfernt bin.

Zwischen Todsünde und Selbstauskunft

Dem Neid ist in der volkstümlichen Farbsymbolik die Farbe Gelb zugeordnet. Das lässt sich darauf zurückführen, dass diese Emotion starke körperliche Empfindungen auslöst, dies wiederum ruft einen Gallenstau hervor und die neidende Person wird daher gelb vor Neid.

Es gibt zwar neben dem Neid noch viele andere negative Gefühle, er hat jedoch den besonderen Status, eine der sieben Todsünden zu sein. Neid, Trägheit, Geiz, Stolz, Wollust, Völlerei und Zorn wurden von Papst Gregor dem Großen im fünften Jahrhundert nach Christus zu den sieben Todsünden auserkoren. Innerhalb der christlichen Tugendlehre handelt es sich hierbei um die verwerflichsten Empfindungen oder Verhaltensweisen, die ein Mensch aufweisen kann.

Neid ist eine der sieben Todsünden. Bild: unsplash.

Die moderne Psychologie ruft an diesem Punkt jedoch zur Differenzierung auf. So schreibt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, dass Gefühle keinen moralischen Kategorien unterworfen werden sollten, da sie zunächst nur etwas über die eigene Wahrnehmung des Selbst und der anderen verraten. Auch unangenehme Gefühle sollten insofern wahrgenommen und benannt werden. Geht es jedoch um die Auswirkungen, die unsere Gefühle auf unsere Handlungen haben, so ist nun Kontrolle wichtig. Denn unsere Handlungen unterliegen unserem Bewusstsein und damit unserer Kontrolle. Insofern müssen die Handlungen, die durch Gefühle hervorgerufen werden, ethischen Prinzipien entsprechen.

Antrieb in Richtung Gerechtigkeit – Neid als Motor 

Neid kann ein Gefühl mit lähmendem Charakter sein, dessen Empfindung als belastend wahrgenommen werden kann. Doch auch wenn es den Ruf eines negativen Gefühls hat und von der christlichen Tugendlehre als schwere Verfehlung eingestuft wurde, so wird Neid in der heutigen Psychologie und Philosophie durchaus auch als wichtiger Stimulus betrachtet. Denn im besten Fall führt die Wahrnehmung von Neid zur Fokussierung der eigenen Ziele und Interessen. Insofern ist die Empfindung dieser Emotion nicht unbedingt als negativ einzustufen, sondern kann auch den Anstoß für Veränderung bieten – und somit im besten Fall ein Schritt in Richtung Zufriedenheit sein. Somit kommt es, wie wohl bei den meisten Gefühlen, stark auf den Umgang damit an: Lasse ich mich davon einnehmen oder betrachte ich es als Signal, um mich damit auseinanderzusetzen, weshalb Neid in mir geweckt wird? Und gibt es daran anknüpfend Möglichkeiten, um in mir die Ursache des Neids zu beseitigen? 

Vergleich kann zu Neid führen. Bild: unsplash.

Nicht nur auf individueller, auch auf gesellschaftlicher Ebene kann Neid als Antrieb dienen: Dessen Empfindung kann dazu anregen, auf ungerechte Verhältnisse aufmerksam zu machen und gerechtere Verhältnisse anzustreben. Schon Aristoteles hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob es möglich wäre, Neid durch eine gleiche Verteilung von Besitztümern zu beseitigen. Er kam jedoch zu dem Ergebnis, dass zur Beseitigung von Neid eine Veränderung der seelischen Haltung relevanter sei als eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Laut Aristoteles kommt somit der Erziehung und der Einstellung des Einzelnen die entscheidende Bedeutung zu.

Der US-amerikanische Philosoph John Rawls schlägt eine andere Richtung als Aristoteles ein. Rawls unterscheidet zwischen dem allgemeinen Neid und dem besonderen Neid: Der allgemeine Neid lässt sich auf die Grundstruktur der Gesellschaft zurückführen, der besondere Neid hingegen ist der Neid einzelner Individuen. Der allgemeine Neid entspringt einer Ungleichverteilung von Gütern und besitzt daher eine Berechtigung. Bei besonderem Neid hingegen handelt es sich nicht um eine objektive Güterdifferenz, sondern Individuen stufen Differenzen unbegründeterweise zu ihrem Nachteil ein, woraus dann der Neid folge. Dies wird von Rawls als unbegründet und somit als Laster eingestuft. Allgemeiner Neid hingegen gibt den Anstoß für das Streben nach einer gerechteren Gesellschaft – diesbezüglich erfüllt Neid gemäß Rawls somit eine wichtige gesellschaftliche Funktion.

Neid ist nicht gleich Neid 

Somit gibt es Neid in verschiedenen Schattierungen von Gelb, es gibt ihn auf individueller und auf kollektiver Ebene. Neid kann berechtigt sein oder auch ein Zeichen der Unzufriedenheit mit sich selbst. Er kann lähmen und Missgunst hervorrufen, er kann aber ebenso Steine ins Rollen bringen. 

Zum Schluss bleibt mir nur zu sagen, dass ich vielleicht ein bisschen neidisch auf jene Kommiliton*innen bin, die mit mir gemeinsam im Seminar sitzen und Goethes Lyrik ganz offensichtlich besser verstehen als ich.

Weh! Weh! Innre Wärme,
Seelenwärme,
Mittelpunkt!
Glüh entgegen
Phöb Apollen;
Kalt wird sonst
Sein Fürstenblick
Über dich vorübergleiten,
Neidgetroffen

Beitragsbild: Canva

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