Democratic Crossroads Politik

Amerika am Scheideweg: zwischen Progressiven und Konservativen

Bei der Vortragsreihe „Democratic Crossroads“ des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) ging es diesen Monat um die Fragen, wer die Gesichter hinter den progressiven und konservativen Bewegungen Amerikas sind und wie diese den aktuellen US-Wahlkampf beeinflussen.

Vor einem kleinen Online-Publikum unterhielten sich am Montag – wie immer unter Moderation des Politikwissenschaftlers Tobias Endler – der Jurist Maximilian Oehl und Katja Muñoz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Im Fokus stand die Frage: Welche Kräfte beherrschen den Wahlkampf zur US-Präsidentschaftswahl im Herbst?

Besonders sei der Blick auf die junge Generation gerichtet, erklärt Moderator Endler. Diese sei noch auf der Suche nach Orientierung und sei daher am ehesten beeinflussbar. Auch stellte er die Frage, ob der jungen Generation die Steuerung abhanden gekommen sei. Ob dies wohl bedeute, dass Labels wie progressive und conservative jungen Menschen besonders wichtige seien? Dem widerspricht Katja Muñoz, sie denkt, dass es jungen Menschen eher um Themen gehe. Sie würden sie eher als pro-civil rights oder pro-abortion identifizieren, um an dieser Stelle zwei heiße Eisen im US-Wahlkampf zu nennen. Dennoch gebe es wichtige Personen, die mit diesem Label verknüpft würden. Wortführer der progressiven Politik Amerikas sei immer noch Bernie Sanders (siehe Beitragsbild). Der Senator des Bundesstaates Vermont ist seit über 40 Jahren in der Politik, bis heute kommen wichtige Vertreter*innen der progressiven Politik aus seinem Umfeld, so auch sein ehemaliger Wahlkampfleiter Zach Exeley, wie Maximilian Oehl erwähnt.

Katja Muñoz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik diskutierte am Dienstag über Zoom mit. Bild: Privat

Dass progressive Politik nicht der Mainstream ist, sei immer wieder zu spüren, meint Oehl. Viele progressive Stimmen hätten es bereits in die Parlamente Amerikas geschafft, viele davon hätten sich jedoch mit der Zeit dem politischen Establishment angenähert, manche seien ihren Werten aber treu geblieben. „Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen,“ sagt Oehl dazu. Damit meint er zum Beispiel Alexandria Ocasio-Cortez, auch AOC genannt, die junge New Yorker Abgeordnete, die so etwas wie das Aushängeschild der politischen Bewegung ist, der sie angehört. Sie sei inzwischen sehr respektiert in den Sälen des Kongresses, und dennoch stehe sie immer noch hinter den Zielen, für die sie gewählt wurde. Dieser Spagat gelinge ihr sehr gut.

Die Progressiven als mächtige Strömung

Auch wenn es nur wenige wirklich progressive Stimmen in der amerikanischen Bundespolitik gibt, merkt man, dass der Weg nach oben führt, gibt Oehl zu bedenken: „Man kann mit einer Handvoll Leute nicht alle Machtlogiken umkehren, aber es ist der Anfang einer Bewegung.“ Dazu meint er noch: Wenn man sich vor Augen halte, auf welcher Plattform Joe Biden im Wahlkampf 2020 kandidierte, merke man, dass die progressive Bewegung eindeutig ihre Fingerabdrücke hinterlassen habe. Das könne man zum Beispiel am Inflation Reduction Act sehen.

Die Spaltung in den USA sei allerdings groß, sagt Muñoz, und spricht dabei auf ihr Forschungsthema an, die sozialen Medien. Männer seien mit höherer Wahrscheinlichkeit konservativ als Frauen, und Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit progressiv. Allerdings gebe es einen beidseitigen Trend, dass Frauen tendenziell progressiver und Männer konservativer würden. Das dies ein Problem für die US-Politik ist, ist bekannt, jedoch nehme das skurrile Ausmaße an. Muñoz erzählt, dass man auf Tiktok in den USA für bestimmte Inhalte bezahlt werden könne. Daher gäbe es Online-Events, bei denen sich linke und rechte Content Creator gezielt streiten würden, da dies Wut auf beiden Seiten provoziere und so für Reichweite und damit auch Profit sorge. Auf eine unheimliche Weise sei das sehr kreativ, meint Moderator Endler dazu. Doch die Spaltung zwischen konservativ und progressiv sei nicht die einzige, die den Diskurs in den USA bestimme.

Jurist Maximilian Oehl. Bild: Maximilian Goedecke

Auch zwischen den Generationen gebe es Konflikte, merkt Endler an. Er fragt bei Maximilian Oehl genauer nach, ob er denkt, dass es Dialoge zwischen den Generationen gebe. Teils teils, antwortet er. Klar sei, dass sich junge, progressive Menschen in erster Linie untereinander organisieren. Der Erfolg von Bernie Sanders jedoch habe gezeigt, dass es keine Berührungsängste zwischen den Generationen gebe. Er sieht eine andere Konfliktlinie als bedeutsam für den Dialog und zwar die zwischen Reformorientierung und Status Quo-Bewahrung.

Konfliktlinien bestimmen den Wahlkampf

Diese beiden Lager gebe es sowohl bei den Progressiven als auch bei den Konservativen: Die einen wollen das System umbauen, die anderen auf bestehenden Strukturen aufbauen. Diese Konfliktlinie beinhalte natürlich viel Konfliktpotenzial. Jedoch spiele auch das Alter der beiden Kandidaten eine Rolle. Beide seien gut doppelt so alt wie der durchschnittliche Amerikaner, daher stelle sich die Frage, wie sie es schaffen, jüngere Menschen zu erreichen. Das sei wichtig, da die größte Bevölkerungsgruppe im Gegensatz zu Deutschland nicht die von 50 bis 60 sei, sondern die von 20 bis 30.

Die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland (links) und in den USA (rechts). Bilder: CIA

Muñoz sieht hier bei den beiden Lagern unterschiedliche Strategien. Beim progressiven Lager gehe es, im ganz klassischen Sinne, einfach darum, Nicht-Unterstützer*innen auf die eigene Seite zu holen. Im konservativen bzw. Trump-Lager gehe es eher darum, Unterstützer der Gegenseite gezielt zu demobilisieren. Dies könne dadurch geschehen, dass man gezielt negative Aspekte der Biden-Regierung hervorhebt.

Als Beispiel nannte sie, dass sich viele Mitglieder afroamerikanischer Communities finanziell abgehängt fühlten und Trump geschickt dadurch punkten können, dass er aufzeige, wie viel Geld die USA unter Biden in die Ukraine geschickt habe. Dadurch könne man Wählerinnen und Wähler, die ohnehin nicht für Trump zu gewinnen seien, zu dem Gedanken verleiten, dass Biden genauso schlimm wie Trump sei. Das könne sie dann komplett von der Wahl abhalten. Es gehe also darum, gezielt die Wahlbeteiligung zu kalibrieren, erklärt Muñoz. Dass die Existenz der amerikanischen Demokratie bei einer Wiederwahl Trumps auf dem Spiel steht, geschieht dann schnell in Vergessenheit.

Und in Deutschland?

In Deutschland sei das anders, meint Oehl auf Endlers Nachfrage. Hier seien die Einstellungen von Nichtwähler*innen am kongruentesten zur AfD, daher gehe es rechtspopulistischen bis rechtsextremen Kräften in Deutschland eher darum, im Becken der Nichtwähler zu punkten. Eine Demobilisierung der Gegenseite sei also nicht notwendig. Auch hier gebe es jedoch eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Demokratie und damit, wie mit Themen wie Sozial-, Wohnraum- und Gesundheitspolitik umgegangen wird. Zudem sorgt der Umgang mit dem Ukraine-Krieg oder dem Krieg im Nahen Osten auch hierzulande für eine Spaltung. „Wenn die demokratischen Parteien es nicht schaffen, diese Probleme mittelfristig zu lösen,“ meint Oehl, „dann wird es schwierig sein, unsere demokratischen Systeme zu verteidigen“.

Nach einer anschließenden Fragerunde endet das Zoom-Meeting nach knapp anderthalb Stunden. Spannend geht es am 16. Mai weiter, hier wird Tobias Endler mit Francis Fukuyama über die Zukunft der liberalen Demokratie sprechen. Die Diskussion wird live übertragen, man kann jedoch auch im DAI die Debatte verfolgen und dabei ein Freigetränk genießen. Fukuyama ist einer der renommiertesten Politikwissenschaftler der Vereinigten Staaten, es lohnt sich also, dabei zu sein.  Alle Diskussionen aus der Reihe „Democratic Crossroads“ können auf dem YouTube-Kanal des DAI nachgesehen werden.

Hinweis: Dieser Artikel entstand im Zuge einer Medienpartnerschaft zwischen der Kupferblau und dem Deutsch-Amerikanischen Institut.

Beitragsbild: FlickreviewR auf Wikimedia Commons

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