Politik

Wie umgehen mit Kolonialismus in Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur?

Die „Freunde und Förderer des Stadtmuseums Tübingen“ haben die Veranstaltungsreihe „Stadtgespräche im Museum“ ins Leben gerufen. Die Reihe besteht aus Vorträgen, einer Diskussion und einer Führung und soll Raum für einen Austausch über verschiedene für die Stadt und das Museum wichtige Themen bieten. Am Donnerstag, den 27. April um 18 Uhr wurde die Reihe mit dem ersten Vortrag „Dekoloniale und Postkoloniale Perspektiven auf das Museum und die Wissenschaft“ von dem Ethnologen Dr. Antony Pattathu eröffnet.

Kolonialismus und die Folgen davon sind Themen, die in den letzten Jahren immer mehr aufkommen. Gerade in Deutschland wurde die Zeit des Kolonialismus oft verschwiegen und kleingeredet. Pattathu kritisiert eine jahrzehntelange „Amnesie“ in Deutschland, wenn es um das Thema Kolonialismus geht. Er hebt aber hervor, dass inzwischen einiges geschieht und eine Debatte darüber stattfindet, unter anderem über Straßennamen. In Tübingen gibt es zum Beispiel auch eine interaktive Karte, die Orte des Kolonialismus in der Stadt zeigt.

Die Rolle des Museums ändert sich

Der Vortrag findet im Museum statt; ungefähr 25 Zuhörer*innen sind anwesend, womit der Raum recht gut gefüllt ist. Mit der Reihe „Stadtgespräche im Museum“ will der Förderverein des Museums auf die sich ändernde Rolle von Museen reagieren: Im Museum soll nicht mehr nur belehrt, sondern auch über Geschichte debattiert werden. Das Ziel ist, die Menschen mehr einzubeziehen und Leute mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen.

Der Referent Dr. Anthony Pattathu hat in Heidelberg und Berkeley studiert, ist aber durchaus auch in Tübingen verwurzelt: Er war lange wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Ethnologie in Tübingen und ist Mitbegründer des „Interdiscipinary Centre for Global South Studies“; inzwischen arbeitet er an der Universität Heidelberg. Sein Schwerpunkt liegt auf „Decolonizing Anthropology“.

Wissenschaftlicher Zugang zum Thema Kolonialismus

Es fühlt sich vertraut nach Vorlesung an, als Pattathu mit wissenschaftlichen Definitionen von Kolonialismus, Postkolonialisums und Dekolonialismus einsteigt. Es sei wichtig, dass Kolonialismus kein abgeschlossener Prozess ist, sondern sich stark auf heutige Strukturen und Denkmuster auswirkt. Post- und dekoloniale Perspektiven beschäftigen sich sowohl mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, als auch mit dem Ziel, heutige hegemoniale Strukturen zu transformieren.

Diese Themen spiegeln sich auch in Politik und Gesellschaft wider. So ist im Koalitionsvertrag festgehalten, dass man koloniale Kontinuitäten überwinden und sich auf Augenhöhe begegnen will. Hier merkt Pattathu an, dass man allerdings auch den Begriff „Augenhöhe“ kritisch sehen könne, weil man sich – bildlich gesprochen – ja nur für kleinere Menschen extra auf Augenhöhe begeben muss. Auch zeigten sich Folgen des Kolonialismus im Alltagsrassismus, zum Beispiel in Sätzen wie „Wo kommst du her?“ Es sei wichtig zu erkennen, dass sich koloniale Denkmuster auch in der Sprache zeigen, dass diese Teil von Kolonialismus sei.

Der Vortrag fand im Stadtmuseum Tübingen statt
Nur schöne Worte, denen keine Taten folgen?

Fest stehe, dass Dekolonisierung ein Prozess sei, für den beide Seiten Verantwortung übernehmen müssen und für den es keinen Bauplan geben könne. Pattathu stellt aber auch die Kritik dar, die es an dem Konzept der Dekolonisierung gibt: Oft sei das Ganze rein symbolpolitisch; es werde keine wirkliche Veränderung angestrebt. Wenn beispielsweise in den USA oder in Kanada weiße Menschen darauf hinweisen, dass sie auf geraubtem Land leben, geschehe dies nicht mit der Intention, dies auch zurückzugeben. Außerdem werde sich zwar mehr mit dem globalen Süden beschäftigt, aber er werde nicht wirklich an der wissenschaftlichen Ebene beteiligt. Globale Arbeitsteilung werde hier nicht wirklich aufgebrochen. Zudem werde die emotionale Arbeit auf die marginalisierten Gruppen abgewälzt und ihnen werde die Verantwortung übertragen, über das Thema aufzuklären.

Ein Beispiel für wirkliche Taten sei Restitution, also die Rückgabe von geraubten Kunstwerken an die Länder, aus denen sie ursprünglich stammen. Frankreich habe den Prozess 2017 angestoßen; inzwischen gebe es auch in Deutschland ein paar Fälle. Pattathu sieht dies als einen ersten Schritt, merkt aber an, dass es auch Probleme aufzeigt. Zum Beispiel werde die Frage aufgeworfen, an wen im Land das jeweilige Kunstwerk zurückgegeben werden sollte.

Schwieriges Erbe – Umgang mit Kolonialgeschichte im Museum

Kulturelle Orte wie Theater oder Museum laufen natürlich Gefahr, koloniale Kontinuitäten zu reproduzieren. Wie man mit dem Thema im Museum umgehen kann, zeigt die Ausstellung „Schwieriges Erbe“ im Lindenmuseum in Stuttgart. Pattathu ist Teil einer Begleitgruppe, die eine andere Perspektive auf die Ausstellung bieten sollte. Diese beschäftigt sich mit dem kolonialen Hintergrund des Namens und der Objekte im Museum sowie der Stadtgeschichte. Hierbei wurden unter anderem rassistische Begriffe geschwärzt und Besucher*innen können selbst entscheiden, ob sie rassistische Exponate anschauen wollten. Außerdem gibt es einen Audioguide, der die Perspektive von BIPoC-Personen auf die Ausstellung darstellt. Eine Station des Audioguides spielte Pattathu beim Vortrag ab. Hier wurde eindrücklich deutlich, was Betroffene beim Betrachten rassistischer und stereotypischer Darstellungen fühlen.

Die Begleitgruppe der Ausstellung sammelte auch Ideen für einen Heilungsprozess. Sie benennt Kolonialismus als Wunde, die verheerende Folgen hinterlassen hat. Die Heilung ist ein kontinuierlicher Prozess und eine sehr emotionale Arbeit. Pattathu macht deutlich, dass bei diesem Prozess Betroffene im Zentrum stehen müssen und kritisiert, dass sich die Diskussion zu oft um die Befangenheit von Weißen dreht.

Spannende Fragen werden angerissen

In der anschließenden Fragerunde werden durchaus ein paar interessante Themen angerissen, zu einer wirklichen Diskussion kommt es aber nicht. So geht es darum, was dies für die Museumspraxis im Stadtmuseum konkret bedeutet; hier sei es wichtig, weniger Leute unbewusst auszuschließen und auch BIPoC-Communities miteinzubeziehen. Auch wird angerissen, welche Rolle Universitäten für die Aufarbeitung spielen und wie wissenschaftlich der Zugang zum Thema sein sollte. Auf die Frage, wie weit wir in der Gesellschaft mit der Aufarbeitung des Themas Kolonialismus seien, gibt Pattathu eine recht positive Einschätzung ab: Es sei schön zu sehen, dass es viel thematisiert wird und er habe das Gefühl, dass das Thema trotz teilweisem Gegenwind angenommen werde.

Am Ende geht es um die Kirche, die ja mit Missionen durchaus am Kolonialismus beteiligt gewesen sei. Diese halte sich, was das Thema angehe, aber eher bedeckt. Ein interessanter erster Vortrag der Reihe „Stadtgespräche im Museum“ neigt sich damit dem Ende zu. Getränke und Snacks laden dazu ein, auch nach Vortrag und Fragerunde zu bleiben und sich zu unterhalten. In den kommenden Monaten kann man auf weitere Veranstaltungen gespannt sein.

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